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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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zu componiren; und ferner war zu besorgen, daß ihn dieselbe Freude am Ein¬
zelnen dazu bringen könne, zu viel mit "Druckern" zu malen, in einzelne Redens¬
arten, Bilder und Vergleiche übergroßes Gewicht zu legen, und so ans einem
eigenthümlichen Wege in dieselben Fehler zu verfallen, welche mir an der Dar¬
stellung des jungen Deutschlands für eine Entartung des Geschmacks halten müsse".
Diese Gefahr war bei ihm um so größer, da sein dichterisches Schaffen nicht
in einem üppigen Zuströmen der Einzelheiten besteht, sondern man seiner Erzäh¬
lung ansieht, daß er Charakterisirendes sucht, und sich des Erworbenen als eines
Fundes freut.

Was Auerbach nach den Dorfgeschichten Poetisches geschaffen, zeugte, daß er
selbst diese Gefahr für seine Dichterznknnft empfand und redlich bemüht war, was
ihm fehlte, zu erwerbe". Er schrieb sein Trauerspiel, Andre Hofer, ohne daß
es ihm gelang, in demselben den Gesetzen künstlerischer Komposition Genüge zu
thun. Er hat jetzt seinen neuen Roman mit demselben Streben geschrieben.
Auch hier ist der Erfolg nicht vollständig.

Eugen, der uneheliche Sohn eines Prinzen und eines Hoffräuleins, dem
gleich nach der Geburt seine Mutter verschwunden war, der als Proletarierkind
auf den Straßen gebettelt hatte, später, von einem Verwandten aufgefunden und
adoptirt, als Graf Falkenberg eine Officiersearrivre gemacht hatte; ein Schwärmer
für Menschenglück und Bürgertugend, hat als Stabsofficier in den suddenschent
Aufständen vou 4-8 uuter deu Insurgenten gefochten, ist gefangen worden und
ans seinem Gefängniß entflohen. Zweierlei beherrscht seine Seele: die Sehnsucht
nach einer Mutter, die er nie gekannt hat, und der Trieb, in dem deutschen
Volke für Realisirung seiner Ideale von Menschenglück und Freiheit zu arbeiten.
Er erkennt, daß dies nur dadurch geschehen könne, daß der Einzelne in kleinem
Kreise sich tüchtig und stark zu machen suche in allen Geschäften und Beziehungen
des täglichen Lebens, und hat deshalb den Entschluß gefaßt, seine Heimath nicht
zu verlassen, obgleich ihn das Gesetz als Missethäter verfolgt. Er trifft im An¬
fange des Romans einen jungen Schullehrer, welcher zu Fuß nach einem Dorfe
reiste, um dort eine Dorfschule zu übernehmen. Dieser junge Mensch hat eine
Sehnsucht uach Amerika, wo seiue Schwester mit einem Flüchtling verheirathet
ist. Der Gras bewegt ihn leicht, Namen und Documente mit ihm zu vertauschen,
übergiebt ihm seine Baarschafr, seineu falschen Paß und seinen angenommenen
Namen und tritt als der neue Schulmeister in der Gegend ans. Zunächst ver¬
weilt er einige Zeit in einem andern Dorfe an der Straße, lernt dort in dem
Schullehrer Dreeger einen feste", consequenten, sehr tüchtigen Menschen kennen,
außerdem eine Baronin Stephanie, welche ein warmes Interesse an ihm zu neh¬
men beginnt, einige tüchtige Menschen unter dein Landvolke und einige Originale
von Schulmeistern, hat mit Dreeger und der Baronin häufige Unterhaltungen
über Menschenbildung und Menschenglück und tritt endlich den Marsch nach seinem


zu componiren; und ferner war zu besorgen, daß ihn dieselbe Freude am Ein¬
zelnen dazu bringen könne, zu viel mit „Druckern" zu malen, in einzelne Redens¬
arten, Bilder und Vergleiche übergroßes Gewicht zu legen, und so ans einem
eigenthümlichen Wege in dieselben Fehler zu verfallen, welche mir an der Dar¬
stellung des jungen Deutschlands für eine Entartung des Geschmacks halten müsse».
Diese Gefahr war bei ihm um so größer, da sein dichterisches Schaffen nicht
in einem üppigen Zuströmen der Einzelheiten besteht, sondern man seiner Erzäh¬
lung ansieht, daß er Charakterisirendes sucht, und sich des Erworbenen als eines
Fundes freut.

Was Auerbach nach den Dorfgeschichten Poetisches geschaffen, zeugte, daß er
selbst diese Gefahr für seine Dichterznknnft empfand und redlich bemüht war, was
ihm fehlte, zu erwerbe». Er schrieb sein Trauerspiel, Andre Hofer, ohne daß
es ihm gelang, in demselben den Gesetzen künstlerischer Komposition Genüge zu
thun. Er hat jetzt seinen neuen Roman mit demselben Streben geschrieben.
Auch hier ist der Erfolg nicht vollständig.

Eugen, der uneheliche Sohn eines Prinzen und eines Hoffräuleins, dem
gleich nach der Geburt seine Mutter verschwunden war, der als Proletarierkind
auf den Straßen gebettelt hatte, später, von einem Verwandten aufgefunden und
adoptirt, als Graf Falkenberg eine Officiersearrivre gemacht hatte; ein Schwärmer
für Menschenglück und Bürgertugend, hat als Stabsofficier in den suddenschent
Aufständen vou 4-8 uuter deu Insurgenten gefochten, ist gefangen worden und
ans seinem Gefängniß entflohen. Zweierlei beherrscht seine Seele: die Sehnsucht
nach einer Mutter, die er nie gekannt hat, und der Trieb, in dem deutschen
Volke für Realisirung seiner Ideale von Menschenglück und Freiheit zu arbeiten.
Er erkennt, daß dies nur dadurch geschehen könne, daß der Einzelne in kleinem
Kreise sich tüchtig und stark zu machen suche in allen Geschäften und Beziehungen
des täglichen Lebens, und hat deshalb den Entschluß gefaßt, seine Heimath nicht
zu verlassen, obgleich ihn das Gesetz als Missethäter verfolgt. Er trifft im An¬
fange des Romans einen jungen Schullehrer, welcher zu Fuß nach einem Dorfe
reiste, um dort eine Dorfschule zu übernehmen. Dieser junge Mensch hat eine
Sehnsucht uach Amerika, wo seiue Schwester mit einem Flüchtling verheirathet
ist. Der Gras bewegt ihn leicht, Namen und Documente mit ihm zu vertauschen,
übergiebt ihm seine Baarschafr, seineu falschen Paß und seinen angenommenen
Namen und tritt als der neue Schulmeister in der Gegend ans. Zunächst ver¬
weilt er einige Zeit in einem andern Dorfe an der Straße, lernt dort in dem
Schullehrer Dreeger einen feste«, consequenten, sehr tüchtigen Menschen kennen,
außerdem eine Baronin Stephanie, welche ein warmes Interesse an ihm zu neh¬
men beginnt, einige tüchtige Menschen unter dein Landvolke und einige Originale
von Schulmeistern, hat mit Dreeger und der Baronin häufige Unterhaltungen
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[0106] zu componiren; und ferner war zu besorgen, daß ihn dieselbe Freude am Ein¬ zelnen dazu bringen könne, zu viel mit „Druckern" zu malen, in einzelne Redens¬ arten, Bilder und Vergleiche übergroßes Gewicht zu legen, und so ans einem eigenthümlichen Wege in dieselben Fehler zu verfallen, welche mir an der Dar¬ stellung des jungen Deutschlands für eine Entartung des Geschmacks halten müsse». Diese Gefahr war bei ihm um so größer, da sein dichterisches Schaffen nicht in einem üppigen Zuströmen der Einzelheiten besteht, sondern man seiner Erzäh¬ lung ansieht, daß er Charakterisirendes sucht, und sich des Erworbenen als eines Fundes freut. Was Auerbach nach den Dorfgeschichten Poetisches geschaffen, zeugte, daß er selbst diese Gefahr für seine Dichterznknnft empfand und redlich bemüht war, was ihm fehlte, zu erwerbe». Er schrieb sein Trauerspiel, Andre Hofer, ohne daß es ihm gelang, in demselben den Gesetzen künstlerischer Komposition Genüge zu thun. Er hat jetzt seinen neuen Roman mit demselben Streben geschrieben. Auch hier ist der Erfolg nicht vollständig. Eugen, der uneheliche Sohn eines Prinzen und eines Hoffräuleins, dem gleich nach der Geburt seine Mutter verschwunden war, der als Proletarierkind auf den Straßen gebettelt hatte, später, von einem Verwandten aufgefunden und adoptirt, als Graf Falkenberg eine Officiersearrivre gemacht hatte; ein Schwärmer für Menschenglück und Bürgertugend, hat als Stabsofficier in den suddenschent Aufständen vou 4-8 uuter deu Insurgenten gefochten, ist gefangen worden und ans seinem Gefängniß entflohen. Zweierlei beherrscht seine Seele: die Sehnsucht nach einer Mutter, die er nie gekannt hat, und der Trieb, in dem deutschen Volke für Realisirung seiner Ideale von Menschenglück und Freiheit zu arbeiten. Er erkennt, daß dies nur dadurch geschehen könne, daß der Einzelne in kleinem Kreise sich tüchtig und stark zu machen suche in allen Geschäften und Beziehungen des täglichen Lebens, und hat deshalb den Entschluß gefaßt, seine Heimath nicht zu verlassen, obgleich ihn das Gesetz als Missethäter verfolgt. Er trifft im An¬ fange des Romans einen jungen Schullehrer, welcher zu Fuß nach einem Dorfe reiste, um dort eine Dorfschule zu übernehmen. Dieser junge Mensch hat eine Sehnsucht uach Amerika, wo seiue Schwester mit einem Flüchtling verheirathet ist. Der Gras bewegt ihn leicht, Namen und Documente mit ihm zu vertauschen, übergiebt ihm seine Baarschafr, seineu falschen Paß und seinen angenommenen Namen und tritt als der neue Schulmeister in der Gegend ans. Zunächst ver¬ weilt er einige Zeit in einem andern Dorfe an der Straße, lernt dort in dem Schullehrer Dreeger einen feste«, consequenten, sehr tüchtigen Menschen kennen, außerdem eine Baronin Stephanie, welche ein warmes Interesse an ihm zu neh¬ men beginnt, einige tüchtige Menschen unter dein Landvolke und einige Originale von Schulmeistern, hat mit Dreeger und der Baronin häufige Unterhaltungen über Menschenbildung und Menschenglück und tritt endlich den Marsch nach seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/106>, abgerufen am 12.05.2024.