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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Zum neuen Jahr

An die Wunsche und Versprechungen, welche die Grenzboten beim Beginn
des neuen Jahres den Lesern entgegentragen, knüpfen sie nach altem Brauch einige
kurze Bemerkungen über das vergangene Jahr.

Daß es kein freudenreiches war, empfinden alle Parteien. Daß das Fest¬
land von Europa seine revolutionairen Krisen noch nicht beendigt hat, verriethen
die französischen Ereignisse des Decembers auch dem Hoffnungsreichen. Aber auch
andere ernste Lehren hat es den Dentschen gegeben.

Wir Alle, Negierte und Regenten, haben erstens den Beweis erhalten, daß die
^ Einignngsversuche unsrer Fürsten durch den Bundestag eben so wenig, wie die
Versuche des Volkes durch die Nationalversammlung, dazu helfen werden, der Ge¬
nossenschaft deutscher Völker eine einheitliche Politik, Macht nach Außen, Einigkeit
im Innern zu erwerben. Zwar siud durch Verträge einzelner Regierungen aller¬
lei Verkehrserleichterungen (Postverein, Paßkarten, directe Communication der
Behörden verschiedener Staaten, Beseitigung von Differenzen bei Uebernahme
von Heimathlosen und Vagabunden u. s. w.) getroffen worden; aber die Ver¬
handlungen über Aufhebung der Elbzolle waren bis jetzt fruchtlos, und dem Ver¬
trage Preußens mit Hannover ist die Berufung zu einem Wiener Kongreß ge¬
folgt, so daß selbst die Fortdauer des Zollvereins gegenwärtig sehr in Frage gestellt
ist. Eine Verbesserung der politischen Stimmung ist nicht eingetreten, das Mi߬
trauen und die Verbitterung in den regierenden Kreisen ist eben so wenig ver¬
ringert, als die Schlaffheit und Niedergeschlagenheit im Volk.

Ferner aber hat das Jahr das Gespenst der rothen Demokratie am Ta¬

geslicht gezeigt, und dargestellt als einen Schatten, eine Vogelscheuche für die Furcht¬
samen, und den Kampf gegen dasselbe sür nicht viel besser, als einen Kampf Don
Quixotes gegen Windmühlen. Die wilde Demokratie von 48 hat in diesem Jahre
überall in Deutschland, wo sie sich im politischen Leben betheiligt hat, bei Ge¬
meinde- und Deputirtenwahlen, sich als eine sehr kleine Minorität zu erkennen
gegeben. Nicht deshalb, wie die polizeilichen Verfolger derselben meinen, weil
einige Hundert ihrer thätigsten Häupter in den letzten Jahren erschossen, einge¬
kerkert und verjagt wurden, denn solches Martyrium Einzelner wäre unter anderen


Grenzboten. I. 1862. ,1
Zum neuen Jahr

An die Wunsche und Versprechungen, welche die Grenzboten beim Beginn
des neuen Jahres den Lesern entgegentragen, knüpfen sie nach altem Brauch einige
kurze Bemerkungen über das vergangene Jahr.

Daß es kein freudenreiches war, empfinden alle Parteien. Daß das Fest¬
land von Europa seine revolutionairen Krisen noch nicht beendigt hat, verriethen
die französischen Ereignisse des Decembers auch dem Hoffnungsreichen. Aber auch
andere ernste Lehren hat es den Dentschen gegeben.

Wir Alle, Negierte und Regenten, haben erstens den Beweis erhalten, daß die
^ Einignngsversuche unsrer Fürsten durch den Bundestag eben so wenig, wie die
Versuche des Volkes durch die Nationalversammlung, dazu helfen werden, der Ge¬
nossenschaft deutscher Völker eine einheitliche Politik, Macht nach Außen, Einigkeit
im Innern zu erwerben. Zwar siud durch Verträge einzelner Regierungen aller¬
lei Verkehrserleichterungen (Postverein, Paßkarten, directe Communication der
Behörden verschiedener Staaten, Beseitigung von Differenzen bei Uebernahme
von Heimathlosen und Vagabunden u. s. w.) getroffen worden; aber die Ver¬
handlungen über Aufhebung der Elbzolle waren bis jetzt fruchtlos, und dem Ver¬
trage Preußens mit Hannover ist die Berufung zu einem Wiener Kongreß ge¬
folgt, so daß selbst die Fortdauer des Zollvereins gegenwärtig sehr in Frage gestellt
ist. Eine Verbesserung der politischen Stimmung ist nicht eingetreten, das Mi߬
trauen und die Verbitterung in den regierenden Kreisen ist eben so wenig ver¬
ringert, als die Schlaffheit und Niedergeschlagenheit im Volk.

Ferner aber hat das Jahr das Gespenst der rothen Demokratie am Ta¬

geslicht gezeigt, und dargestellt als einen Schatten, eine Vogelscheuche für die Furcht¬
samen, und den Kampf gegen dasselbe sür nicht viel besser, als einen Kampf Don
Quixotes gegen Windmühlen. Die wilde Demokratie von 48 hat in diesem Jahre
überall in Deutschland, wo sie sich im politischen Leben betheiligt hat, bei Ge¬
meinde- und Deputirtenwahlen, sich als eine sehr kleine Minorität zu erkennen
gegeben. Nicht deshalb, wie die polizeilichen Verfolger derselben meinen, weil
einige Hundert ihrer thätigsten Häupter in den letzten Jahren erschossen, einge¬
kerkert und verjagt wurden, denn solches Martyrium Einzelner wäre unter anderen


Grenzboten. I. 1862. ,1
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[0011] Zum neuen Jahr An die Wunsche und Versprechungen, welche die Grenzboten beim Beginn des neuen Jahres den Lesern entgegentragen, knüpfen sie nach altem Brauch einige kurze Bemerkungen über das vergangene Jahr. Daß es kein freudenreiches war, empfinden alle Parteien. Daß das Fest¬ land von Europa seine revolutionairen Krisen noch nicht beendigt hat, verriethen die französischen Ereignisse des Decembers auch dem Hoffnungsreichen. Aber auch andere ernste Lehren hat es den Dentschen gegeben. Wir Alle, Negierte und Regenten, haben erstens den Beweis erhalten, daß die ^ Einignngsversuche unsrer Fürsten durch den Bundestag eben so wenig, wie die Versuche des Volkes durch die Nationalversammlung, dazu helfen werden, der Ge¬ nossenschaft deutscher Völker eine einheitliche Politik, Macht nach Außen, Einigkeit im Innern zu erwerben. Zwar siud durch Verträge einzelner Regierungen aller¬ lei Verkehrserleichterungen (Postverein, Paßkarten, directe Communication der Behörden verschiedener Staaten, Beseitigung von Differenzen bei Uebernahme von Heimathlosen und Vagabunden u. s. w.) getroffen worden; aber die Ver¬ handlungen über Aufhebung der Elbzolle waren bis jetzt fruchtlos, und dem Ver¬ trage Preußens mit Hannover ist die Berufung zu einem Wiener Kongreß ge¬ folgt, so daß selbst die Fortdauer des Zollvereins gegenwärtig sehr in Frage gestellt ist. Eine Verbesserung der politischen Stimmung ist nicht eingetreten, das Mi߬ trauen und die Verbitterung in den regierenden Kreisen ist eben so wenig ver¬ ringert, als die Schlaffheit und Niedergeschlagenheit im Volk. Ferner aber hat das Jahr das Gespenst der rothen Demokratie am Ta¬ geslicht gezeigt, und dargestellt als einen Schatten, eine Vogelscheuche für die Furcht¬ samen, und den Kampf gegen dasselbe sür nicht viel besser, als einen Kampf Don Quixotes gegen Windmühlen. Die wilde Demokratie von 48 hat in diesem Jahre überall in Deutschland, wo sie sich im politischen Leben betheiligt hat, bei Ge¬ meinde- und Deputirtenwahlen, sich als eine sehr kleine Minorität zu erkennen gegeben. Nicht deshalb, wie die polizeilichen Verfolger derselben meinen, weil einige Hundert ihrer thätigsten Häupter in den letzten Jahren erschossen, einge¬ kerkert und verjagt wurden, denn solches Martyrium Einzelner wäre unter anderen Grenzboten. I. 1862. ,1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/11>, abgerufen am 28.04.2024.