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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Umständen gerade geeignet, diese Partei entschlossen, verzweifelt und gefährlich
,-n machen. Sie hat vielmehr ihre Bedeutung deshalb verloren, weil die dama¬
ligen plötzlichen Gelüste aus der Masse des Volkes geschwunden sind, wie eine
ansteckende Krankheit verschwindet. Wer sich gegenwärtig in Deutschland noch
Demokrat nennt, ist entweder ein Opfer der vergangenen Emotionen, und solcher
Unglücklichen giebt es in allen Gegenden einzelne, sür das Staatsleben sind sie
nicht mehr gefährlich; oder es sind Ehrenmänner, welche ans Stolz den Namen und
die Fahne, unter welcher sie gefochten, nicht ablegen wollen, die aber durch die
Erfahrungen der letzten Jahre kühler und mäßiger geworden sind, und deren Ueber¬
zeugungen in der Hauptsache von denen der "liberalen" Partei nicht mehr wesentlich
verschieden sind. Es ist kaum anzunehmen, daß von diesen Männern, so weit sie
dnrch frühere politische Thätigkeit bekannt sind, noch Viele bei Gestaltung unsrer
Zukunft eine Rolle spielen werden.

Drittens haben wir ans Frankreich sehen können, daß unsre Zukunft von den
Stimmungen der großen Anzahl von Bürgern abhängt, welche in Deutschland
unter dem Namen: der dritte Stand ziemlich ungenau zusammengefaßt werden.
Alle unsre Klagen über die Reactionen im deutschen Staatsleben sind eigentlich
nur Klagen über die Schwäche, Indifferenz und Gleichgiltigkeit des Bürgerthums.
Sobald die Zeit kommt, wo ein entschiedenes politisches Wollen, ja mich nur eine
große und allgemeine Unzufriedenheit mit einzelnen Richtungen der Executive sich
in diesem Theil des Volkes verbreitet, werden die Regierungen in den Stand
gesetzt sein, statt der Hausinteressen der Regentenfamilien die Interessen des Staa^
tes zu vertreten; erst dann wird eine parlamentarische Regierung möglich und
nothwendig werden.

Man nennt jetzt gern die Völker schwach und die Regierungen stark. Es
wäre ein Glück sür nus Alle, wenn die Regierungen stärker wären. Stark kann
ein Regiment nur sein, wenn das Volk selbst stark, voll von Selbstgefühl und
politischem Willen ist. Dies ist leider bei uns nicht der Fall, und sämmtliche gro-
ßcre deutsche Regierungen, so wie die östreichische, leiden an einer Schwäche und
Unsicherheit, welche in genauem Verhältniß steht zu der Schwäche des Volkes.
Einzelne Demokraten einsperren, Zeitungen verbieten und Soldaten exerciren
lassen, ist kein Zeichen der Stärke. Wol aber ist das Mißtrauen gegen Alle,
welche nicht persönliche Anhänglichkeit an die Regierenden in den bestimmten con-
ventionellen Formen an den Tag zu legen beflissen sind, ein Zeichen der Schwäche;
wol ist die Reizbarkeit und Empfindlichkeit, mit welcher jede öffentliche Aeuße¬
rung, entgegengesetzter Meinungen ausgenommen wird, Zeichen der Schwäche. Regie¬
rungen, die in jeder entgegenstehenden Ueberzeugung einen persönlichen Angriff
aus die Existenz des Regenten, auf Krone und Vaterland erblicken, und durch
Beschränkungen der parlamentarischen Wirksamkeit, ja durch offene verfassungswi¬
drige Willkürhandlnngen sich gegen mögliche Siege der Opposition in den Kam-


Umständen gerade geeignet, diese Partei entschlossen, verzweifelt und gefährlich
,-n machen. Sie hat vielmehr ihre Bedeutung deshalb verloren, weil die dama¬
ligen plötzlichen Gelüste aus der Masse des Volkes geschwunden sind, wie eine
ansteckende Krankheit verschwindet. Wer sich gegenwärtig in Deutschland noch
Demokrat nennt, ist entweder ein Opfer der vergangenen Emotionen, und solcher
Unglücklichen giebt es in allen Gegenden einzelne, sür das Staatsleben sind sie
nicht mehr gefährlich; oder es sind Ehrenmänner, welche ans Stolz den Namen und
die Fahne, unter welcher sie gefochten, nicht ablegen wollen, die aber durch die
Erfahrungen der letzten Jahre kühler und mäßiger geworden sind, und deren Ueber¬
zeugungen in der Hauptsache von denen der „liberalen" Partei nicht mehr wesentlich
verschieden sind. Es ist kaum anzunehmen, daß von diesen Männern, so weit sie
dnrch frühere politische Thätigkeit bekannt sind, noch Viele bei Gestaltung unsrer
Zukunft eine Rolle spielen werden.

Drittens haben wir ans Frankreich sehen können, daß unsre Zukunft von den
Stimmungen der großen Anzahl von Bürgern abhängt, welche in Deutschland
unter dem Namen: der dritte Stand ziemlich ungenau zusammengefaßt werden.
Alle unsre Klagen über die Reactionen im deutschen Staatsleben sind eigentlich
nur Klagen über die Schwäche, Indifferenz und Gleichgiltigkeit des Bürgerthums.
Sobald die Zeit kommt, wo ein entschiedenes politisches Wollen, ja mich nur eine
große und allgemeine Unzufriedenheit mit einzelnen Richtungen der Executive sich
in diesem Theil des Volkes verbreitet, werden die Regierungen in den Stand
gesetzt sein, statt der Hausinteressen der Regentenfamilien die Interessen des Staa^
tes zu vertreten; erst dann wird eine parlamentarische Regierung möglich und
nothwendig werden.

Man nennt jetzt gern die Völker schwach und die Regierungen stark. Es
wäre ein Glück sür nus Alle, wenn die Regierungen stärker wären. Stark kann
ein Regiment nur sein, wenn das Volk selbst stark, voll von Selbstgefühl und
politischem Willen ist. Dies ist leider bei uns nicht der Fall, und sämmtliche gro-
ßcre deutsche Regierungen, so wie die östreichische, leiden an einer Schwäche und
Unsicherheit, welche in genauem Verhältniß steht zu der Schwäche des Volkes.
Einzelne Demokraten einsperren, Zeitungen verbieten und Soldaten exerciren
lassen, ist kein Zeichen der Stärke. Wol aber ist das Mißtrauen gegen Alle,
welche nicht persönliche Anhänglichkeit an die Regierenden in den bestimmten con-
ventionellen Formen an den Tag zu legen beflissen sind, ein Zeichen der Schwäche;
wol ist die Reizbarkeit und Empfindlichkeit, mit welcher jede öffentliche Aeuße¬
rung, entgegengesetzter Meinungen ausgenommen wird, Zeichen der Schwäche. Regie¬
rungen, die in jeder entgegenstehenden Ueberzeugung einen persönlichen Angriff
aus die Existenz des Regenten, auf Krone und Vaterland erblicken, und durch
Beschränkungen der parlamentarischen Wirksamkeit, ja durch offene verfassungswi¬
drige Willkürhandlnngen sich gegen mögliche Siege der Opposition in den Kam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/12>, abgerufen am 11.05.2024.