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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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nur ein kleines Stück des Himmels erblickt, und die wunderlichen Zacken, die von
der Decke herabstarren und durch das Wasser hcranfschimmern, der stille, klare,
und doch unergründliche Wasserspiegel, der in seiner Tiefe ein Geheimniß zu bergen
scheint -- Alles vereinigt sich zu einem einzigen Anblick.

In die Einsamkeit dieses geschlossenen Thals, an die User der "Königin der
Quellen", floh Petrarca aus dem wüsten Treiben der päpstlichen Residenz "des
westlichen Babylon", von deren Ruchlosigkeit er ein abschreckendes Bild entwirft.
Hier war, hart am User, uuter dem Schutz der Thalwinde sein Hänschen; nicht
den Nymphen, sondern der heiligen Jungfrau wollte er darin einen Tempel er¬
richten. Hier hoffte er die Gluth zu dämpfen, die ihn viele Jahre hindurch
verzehrte, mit dem Gemurmel der Sorgue seine Leidenschaft in Schlaf zu lulleu.
Vergeblich, sie wurde nur heftiger, und machte sich nnn in jenen Gedichten Lust,
"über die ich jetzt", so sagt er in einem in höherem Alter geschriebenen Briefe,
"Scham und Rene empfinde, die aber von Denen, die mit derselben Krankheit
behaftet find, wie ich höre, mit größtem Beifall aufgenommen werden." Aber
auch seine "Afrika" hatte er hier begonnen, die ihm den poetischen Lorbeer ein¬
trug, und er glaubte, hoffen zu dürfen, daß Vaucluse bei Vielen nicht weniger
dnrch seinen Namen, als durch die wunderbare Quelle berühmt sei.

Daß Petrarca's und Laura's Namen aus dem Gedächtniß des Volkes nicht
schwinden, dafür sorgt die Spekulation. Vaucluse hat ein alö?6ti'arquv",
ein ,,Ill>l<;l 6<z ?6triU'eiuv o>, cle I.aux'" und eine Diligence, die von Liste nach
Avignon fährt, heißt sogar ,>w l.!nu<; I^slois"?." Das vermeintliche Grabmal
Laura's in Avignon haben die Vandalen der Revolution im Jahre 1791 zerstört.
Eine Burgruine aus der Felswand des linken Ufers erklärte mein kleiner Savoyard
für "Je; olMvau 1'vtrarqnv." "M l^in'"; ? <1<;tuom-M aussi", setzte er
hinzu, aber weiter wußte er mir keine Auskunft zu geben.




Pariser Botschaften.

Die neuen Zustände Frankreichs haben besonders viel Lehrreiches für die
allgemeine Anschauungsweise der großen Massen in der modernen Gesellschaft.
Das bezeichnende Merkmal der Jahrhunderte drückt sich in dem Gelingen des
Decemberstreichs noch besser und deutlicher ans, als in der Februarrevolution
selbst. Es fehlt der Patriotismus. Die Liebe für freies Selbstregiment, die
antike Freiheitsliebe hat noch keine Wurzel im Volke. Die Lehre der Socialisten,
der modernen nämlich, war keine Vorlänferin, noch weniger eine Ursache der
socialmateriellen Bestrebungen, die sich in den letzten Jahren kundgegeben haben,
sie war vielmehr eine Konsequenz der in unsrer Zeit angeborenen Jnstincte und


Grenzboten. I. 15

nur ein kleines Stück des Himmels erblickt, und die wunderlichen Zacken, die von
der Decke herabstarren und durch das Wasser hcranfschimmern, der stille, klare,
und doch unergründliche Wasserspiegel, der in seiner Tiefe ein Geheimniß zu bergen
scheint — Alles vereinigt sich zu einem einzigen Anblick.

In die Einsamkeit dieses geschlossenen Thals, an die User der „Königin der
Quellen", floh Petrarca aus dem wüsten Treiben der päpstlichen Residenz „des
westlichen Babylon", von deren Ruchlosigkeit er ein abschreckendes Bild entwirft.
Hier war, hart am User, uuter dem Schutz der Thalwinde sein Hänschen; nicht
den Nymphen, sondern der heiligen Jungfrau wollte er darin einen Tempel er¬
richten. Hier hoffte er die Gluth zu dämpfen, die ihn viele Jahre hindurch
verzehrte, mit dem Gemurmel der Sorgue seine Leidenschaft in Schlaf zu lulleu.
Vergeblich, sie wurde nur heftiger, und machte sich nnn in jenen Gedichten Lust,
„über die ich jetzt", so sagt er in einem in höherem Alter geschriebenen Briefe,
„Scham und Rene empfinde, die aber von Denen, die mit derselben Krankheit
behaftet find, wie ich höre, mit größtem Beifall aufgenommen werden." Aber
auch seine „Afrika" hatte er hier begonnen, die ihm den poetischen Lorbeer ein¬
trug, und er glaubte, hoffen zu dürfen, daß Vaucluse bei Vielen nicht weniger
dnrch seinen Namen, als durch die wunderbare Quelle berühmt sei.

Daß Petrarca's und Laura's Namen aus dem Gedächtniß des Volkes nicht
schwinden, dafür sorgt die Spekulation. Vaucluse hat ein alö?6ti'arquv",
ein ,,Ill>l<;l 6<z ?6triU'eiuv o>, cle I.aux'" und eine Diligence, die von Liste nach
Avignon fährt, heißt sogar ,>w l.!nu<; I^slois«?." Das vermeintliche Grabmal
Laura's in Avignon haben die Vandalen der Revolution im Jahre 1791 zerstört.
Eine Burgruine aus der Felswand des linken Ufers erklärte mein kleiner Savoyard
für „Je; olMvau 1'vtrarqnv." „M l^in'«; ? <1<;tuom-M aussi", setzte er
hinzu, aber weiter wußte er mir keine Auskunft zu geben.




Pariser Botschaften.

Die neuen Zustände Frankreichs haben besonders viel Lehrreiches für die
allgemeine Anschauungsweise der großen Massen in der modernen Gesellschaft.
Das bezeichnende Merkmal der Jahrhunderte drückt sich in dem Gelingen des
Decemberstreichs noch besser und deutlicher ans, als in der Februarrevolution
selbst. Es fehlt der Patriotismus. Die Liebe für freies Selbstregiment, die
antike Freiheitsliebe hat noch keine Wurzel im Volke. Die Lehre der Socialisten,
der modernen nämlich, war keine Vorlänferin, noch weniger eine Ursache der
socialmateriellen Bestrebungen, die sich in den letzten Jahren kundgegeben haben,
sie war vielmehr eine Konsequenz der in unsrer Zeit angeborenen Jnstincte und


Grenzboten. I. 15
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[0123] nur ein kleines Stück des Himmels erblickt, und die wunderlichen Zacken, die von der Decke herabstarren und durch das Wasser hcranfschimmern, der stille, klare, und doch unergründliche Wasserspiegel, der in seiner Tiefe ein Geheimniß zu bergen scheint — Alles vereinigt sich zu einem einzigen Anblick. In die Einsamkeit dieses geschlossenen Thals, an die User der „Königin der Quellen", floh Petrarca aus dem wüsten Treiben der päpstlichen Residenz „des westlichen Babylon", von deren Ruchlosigkeit er ein abschreckendes Bild entwirft. Hier war, hart am User, uuter dem Schutz der Thalwinde sein Hänschen; nicht den Nymphen, sondern der heiligen Jungfrau wollte er darin einen Tempel er¬ richten. Hier hoffte er die Gluth zu dämpfen, die ihn viele Jahre hindurch verzehrte, mit dem Gemurmel der Sorgue seine Leidenschaft in Schlaf zu lulleu. Vergeblich, sie wurde nur heftiger, und machte sich nnn in jenen Gedichten Lust, „über die ich jetzt", so sagt er in einem in höherem Alter geschriebenen Briefe, „Scham und Rene empfinde, die aber von Denen, die mit derselben Krankheit behaftet find, wie ich höre, mit größtem Beifall aufgenommen werden." Aber auch seine „Afrika" hatte er hier begonnen, die ihm den poetischen Lorbeer ein¬ trug, und er glaubte, hoffen zu dürfen, daß Vaucluse bei Vielen nicht weniger dnrch seinen Namen, als durch die wunderbare Quelle berühmt sei. Daß Petrarca's und Laura's Namen aus dem Gedächtniß des Volkes nicht schwinden, dafür sorgt die Spekulation. Vaucluse hat ein alö?6ti'arquv", ein ,,Ill>l<;l 6<z ?6triU'eiuv o>, cle I.aux'" und eine Diligence, die von Liste nach Avignon fährt, heißt sogar ,>w l.!nu<; I^slois«?." Das vermeintliche Grabmal Laura's in Avignon haben die Vandalen der Revolution im Jahre 1791 zerstört. Eine Burgruine aus der Felswand des linken Ufers erklärte mein kleiner Savoyard für „Je; olMvau 1'vtrarqnv." „M l^in'«; ? <1<;tuom-M aussi", setzte er hinzu, aber weiter wußte er mir keine Auskunft zu geben. Pariser Botschaften. Die neuen Zustände Frankreichs haben besonders viel Lehrreiches für die allgemeine Anschauungsweise der großen Massen in der modernen Gesellschaft. Das bezeichnende Merkmal der Jahrhunderte drückt sich in dem Gelingen des Decemberstreichs noch besser und deutlicher ans, als in der Februarrevolution selbst. Es fehlt der Patriotismus. Die Liebe für freies Selbstregiment, die antike Freiheitsliebe hat noch keine Wurzel im Volke. Die Lehre der Socialisten, der modernen nämlich, war keine Vorlänferin, noch weniger eine Ursache der socialmateriellen Bestrebungen, die sich in den letzten Jahren kundgegeben haben, sie war vielmehr eine Konsequenz der in unsrer Zeit angeborenen Jnstincte und Grenzboten. I. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/123>, abgerufen am 28.04.2024.