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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Die preußischen H5oirs.

In Spanien hat der Ermordungsversuch auf die Königin das leidenschaft¬
liche Volk von Madrid in die höchste Aufregung versetzt, er prophezeit den Resten
von den Ansängen constitutionellen Lebens, welche sich dort noch erhalten haben,
nichts Gutes. In Frankreich fährt der Präsident fort bnonapartistisch zu organi-
siren. Die englische Nation hat in diesem Augenblicke das Aussehen eines
tüchtigen Geschäftsmannes, welcher mit Bestürzung steht, daß sein Nachbar und
Rival, dem Bankrott nahe, verzweifelte Geschäfte beginnt, nud daß seine eigenen
Geschäftsführer unzuverlässig und leichtsinnig sind, daß ihre Entfernung wünschens¬
wert!) wird, und daß er doch Niemanden hat sie zu ersetzen. Möge Gras Arnim,
der in den preußischen Kammern sich über das Vergleichen deutscher Verhältnisse
mit englischen zu betrüben pflegt, wenigstens den deutschen Zeitungen nicht ver¬
argen, wenn sie gerade jetzt mit Neid auf die englische Tagespresse hinsehn. In
dem Zanke der englischen Minister hat weder Lord Russel, noch Lord Palmer-
ston den Sieg erfochten, sondern die Times. Die englische Presse hat ehrlicher,
männlicher und honetter gesprochen, als sämmtliche Mitglieder des Whigministe¬
riums und einige Artikel der englischen Blätter sind Muster journalistischen Styls.

In Preußen wird von den conservativen Fractionen die Aenderung einzelner
Paragraphen der Verfassung mit mehr Leidenschaftlichkeit als Weisheit beantragt.
Diese Partei läßt sich durch das Uebergewicht, welches sie gegenwärtig hat, ver¬
leiten, von dem ersten Grundsatz abzugehen, den gerade jetzt die Preußen
haben müßten, daß ein Makeln und Herumändern an der Verfassungsurkunde, wie
diese auch beschaffen sei, das furchtbar erschütterte Vertrauen auf das Gesetz, ja
auf die Lebenskraft des ganzen Staates im In- und Auslande noch mehr zer¬
stören müsse. Wer noch daran denkt, welche Kämpfe Preußen zu bestehen hatte,
bevor es diese neue Grundlage für sein Leben erhielt, der handelt ruchlos,
weder er diesen Boden wankend macht, selbst wenn ihm das ganze Verfassungs¬
werk mißfallen sollte. Wenn die Verfassung ganz aufgehoben, oder verändert und
verstümmelt werden sollte, so wird sich schwerlich auch nur ein Arm für sie erheben;
der Bauer wird ruhig säen, der Handarbeiter in seiner Werkstatt hämmern, und
der Börsenspeculant eine Baisse von einigen Procenten zu benutzen suchen; aber
dnrch das ganze Volk, von den rothen Demokraten bis zu den Fanatikern ,der


Grenzboten. I. -I8ö2. 36
Die preußischen H5oirs.

In Spanien hat der Ermordungsversuch auf die Königin das leidenschaft¬
liche Volk von Madrid in die höchste Aufregung versetzt, er prophezeit den Resten
von den Ansängen constitutionellen Lebens, welche sich dort noch erhalten haben,
nichts Gutes. In Frankreich fährt der Präsident fort bnonapartistisch zu organi-
siren. Die englische Nation hat in diesem Augenblicke das Aussehen eines
tüchtigen Geschäftsmannes, welcher mit Bestürzung steht, daß sein Nachbar und
Rival, dem Bankrott nahe, verzweifelte Geschäfte beginnt, nud daß seine eigenen
Geschäftsführer unzuverlässig und leichtsinnig sind, daß ihre Entfernung wünschens¬
wert!) wird, und daß er doch Niemanden hat sie zu ersetzen. Möge Gras Arnim,
der in den preußischen Kammern sich über das Vergleichen deutscher Verhältnisse
mit englischen zu betrüben pflegt, wenigstens den deutschen Zeitungen nicht ver¬
argen, wenn sie gerade jetzt mit Neid auf die englische Tagespresse hinsehn. In
dem Zanke der englischen Minister hat weder Lord Russel, noch Lord Palmer-
ston den Sieg erfochten, sondern die Times. Die englische Presse hat ehrlicher,
männlicher und honetter gesprochen, als sämmtliche Mitglieder des Whigministe¬
riums und einige Artikel der englischen Blätter sind Muster journalistischen Styls.

In Preußen wird von den conservativen Fractionen die Aenderung einzelner
Paragraphen der Verfassung mit mehr Leidenschaftlichkeit als Weisheit beantragt.
Diese Partei läßt sich durch das Uebergewicht, welches sie gegenwärtig hat, ver¬
leiten, von dem ersten Grundsatz abzugehen, den gerade jetzt die Preußen
haben müßten, daß ein Makeln und Herumändern an der Verfassungsurkunde, wie
diese auch beschaffen sei, das furchtbar erschütterte Vertrauen auf das Gesetz, ja
auf die Lebenskraft des ganzen Staates im In- und Auslande noch mehr zer¬
stören müsse. Wer noch daran denkt, welche Kämpfe Preußen zu bestehen hatte,
bevor es diese neue Grundlage für sein Leben erhielt, der handelt ruchlos,
weder er diesen Boden wankend macht, selbst wenn ihm das ganze Verfassungs¬
werk mißfallen sollte. Wenn die Verfassung ganz aufgehoben, oder verändert und
verstümmelt werden sollte, so wird sich schwerlich auch nur ein Arm für sie erheben;
der Bauer wird ruhig säen, der Handarbeiter in seiner Werkstatt hämmern, und
der Börsenspeculant eine Baisse von einigen Procenten zu benutzen suchen; aber
dnrch das ganze Volk, von den rothen Demokraten bis zu den Fanatikern ,der


Grenzboten. I. -I8ö2. 36
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[0291] Die preußischen H5oirs. In Spanien hat der Ermordungsversuch auf die Königin das leidenschaft¬ liche Volk von Madrid in die höchste Aufregung versetzt, er prophezeit den Resten von den Ansängen constitutionellen Lebens, welche sich dort noch erhalten haben, nichts Gutes. In Frankreich fährt der Präsident fort bnonapartistisch zu organi- siren. Die englische Nation hat in diesem Augenblicke das Aussehen eines tüchtigen Geschäftsmannes, welcher mit Bestürzung steht, daß sein Nachbar und Rival, dem Bankrott nahe, verzweifelte Geschäfte beginnt, nud daß seine eigenen Geschäftsführer unzuverlässig und leichtsinnig sind, daß ihre Entfernung wünschens¬ wert!) wird, und daß er doch Niemanden hat sie zu ersetzen. Möge Gras Arnim, der in den preußischen Kammern sich über das Vergleichen deutscher Verhältnisse mit englischen zu betrüben pflegt, wenigstens den deutschen Zeitungen nicht ver¬ argen, wenn sie gerade jetzt mit Neid auf die englische Tagespresse hinsehn. In dem Zanke der englischen Minister hat weder Lord Russel, noch Lord Palmer- ston den Sieg erfochten, sondern die Times. Die englische Presse hat ehrlicher, männlicher und honetter gesprochen, als sämmtliche Mitglieder des Whigministe¬ riums und einige Artikel der englischen Blätter sind Muster journalistischen Styls. In Preußen wird von den conservativen Fractionen die Aenderung einzelner Paragraphen der Verfassung mit mehr Leidenschaftlichkeit als Weisheit beantragt. Diese Partei läßt sich durch das Uebergewicht, welches sie gegenwärtig hat, ver¬ leiten, von dem ersten Grundsatz abzugehen, den gerade jetzt die Preußen haben müßten, daß ein Makeln und Herumändern an der Verfassungsurkunde, wie diese auch beschaffen sei, das furchtbar erschütterte Vertrauen auf das Gesetz, ja auf die Lebenskraft des ganzen Staates im In- und Auslande noch mehr zer¬ stören müsse. Wer noch daran denkt, welche Kämpfe Preußen zu bestehen hatte, bevor es diese neue Grundlage für sein Leben erhielt, der handelt ruchlos, weder er diesen Boden wankend macht, selbst wenn ihm das ganze Verfassungs¬ werk mißfallen sollte. Wenn die Verfassung ganz aufgehoben, oder verändert und verstümmelt werden sollte, so wird sich schwerlich auch nur ein Arm für sie erheben; der Bauer wird ruhig säen, der Handarbeiter in seiner Werkstatt hämmern, und der Börsenspeculant eine Baisse von einigen Procenten zu benutzen suchen; aber dnrch das ganze Volk, von den rothen Demokraten bis zu den Fanatikern ,der Grenzboten. I. -I8ö2. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/291>, abgerufen am 28.04.2024.