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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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uns vorliegt,' nicht vorhanden sind? Für uns sind freilich die Helden der Bibel
keine Ideale, aber wenn ein bibelfester Christ, trotz seiner widersprechenden Vor¬
bilder, vollkommen richtig empfindet und richtig denkt, so haben wir so lange
Freude daran, als er naiv ist. -- Anders wird das Verhältniß, wenn er aus
der Naivetät heraustritt, und die Welt bekehren will. Wenn Gotthelf nach der
unmittelbaren Anschauung die Verkehrtheiten und Frevel des glaubenlosen Radi-
calismus darstellt, so treten wir entschieden auf seine Seite, denn Mephistopheles
und Robespierre sind uns wenigstens eben so zuwider als ihm selbst. Aber wenn
er auf die Quellen dieser Verirrung zurückgehen, und mit der Salbung und
Prätension eines Mannes, der auf der Kanzel an keinen Widerspruch gewohnt
ist, uus über Philosophie u. tgi. belehren will, so müssen wir ihm zurufen: davon
verstehst Du Nichts! Deine Versicherungen können uns nicht überzeugen, Deine
Drohungen nicht, einschüchtern. -- Gerade so ist es mit seiner politischen Gesin¬
nung. Die Natur an sich ist schon und gut, aber die Natur, die sich gegen die
Cultur empört, ihl ein Frevel, und muß zu Boden getreten werden. In der be¬
ständigen Beziehung auf seinen Gegensatz merkt Gotthelf es nicht, daß der Zer¬
setzungsproceß, den er nur äußerlich sieht, in seinem Innern vorgeht: er glaubt,
daß die wirkliche Natur unter dem politischen Treiben zu Grunde geht, und es
ist nur seine eigene Natur, seine edle und schöne Poesie; sie verkümmert im Haß
und im Fanatismus.

Jeremias Gotthelf ist stark genug, um, wenn er ernstlich will, sich diesen
Verirrungen zu entreißen, und durch eine künstlerische Form seinen heiteren und
tüchtigen Gestalten diejenige Vollendung zu geben, die sie allein ans dem trüben
Boden der Tages- und Parteischriststellerei erheben kann; ob er aber, es zu
wollen, noch die Kraft hat, ist eine andere Frage. Möge sein nächstes Werk es
uns zeigen; wir werden die ersten sein, es freudig zu begrüßen.




Leipzigs Papier verbrau es. Leipzig ist trotz der gewaltigen Concurrenz, die ihm
in neuerer Zeit namentlich Berlin macht, doch noch der Mittelpunkt des deutschen Buch¬
handels. Mehr als 100 Leipziger Buchhändler und außer ihnen viele auswärtige,
welche in ihrer Nähe keine ausehnlichen typographischen Etablissements haben, lassen alle in
ihrem Verlag erscheinende Werke in den zahlreichen und meist vortrefflich eingerichteten
Druckereien Leipzigs drucken, von Leipziger Buchbindern brochircn und einbinden und durch
die Leipziger Commissiouaire versenden. Leipzig hat nach ziemlich genauen Berechnungen einen
jährlichen Papicrbedarf von c. 1ö Mill. Pfd., und dieser Bedarf ist noch immer im Steigen.
Die gesammten Papierfabriken Sachsens, zum Theil vou ziemlichem Umfange, sind uicht
im Stande, mehr als etwa 7 Mill. Pfund Papier zu erzeugen, also noch uicht einmal
die Hälfte des Quantums, welches die Stadt Leipzig allein verbraucht; den größten
Theil des Bedarfs muß Leipzig daher jetzt aus den Papierfabriken Preußens, Baierns,
Würtembergs und Badens beziehen.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verautwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Gruuow. --- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

uns vorliegt,' nicht vorhanden sind? Für uns sind freilich die Helden der Bibel
keine Ideale, aber wenn ein bibelfester Christ, trotz seiner widersprechenden Vor¬
bilder, vollkommen richtig empfindet und richtig denkt, so haben wir so lange
Freude daran, als er naiv ist. — Anders wird das Verhältniß, wenn er aus
der Naivetät heraustritt, und die Welt bekehren will. Wenn Gotthelf nach der
unmittelbaren Anschauung die Verkehrtheiten und Frevel des glaubenlosen Radi-
calismus darstellt, so treten wir entschieden auf seine Seite, denn Mephistopheles
und Robespierre sind uns wenigstens eben so zuwider als ihm selbst. Aber wenn
er auf die Quellen dieser Verirrung zurückgehen, und mit der Salbung und
Prätension eines Mannes, der auf der Kanzel an keinen Widerspruch gewohnt
ist, uus über Philosophie u. tgi. belehren will, so müssen wir ihm zurufen: davon
verstehst Du Nichts! Deine Versicherungen können uns nicht überzeugen, Deine
Drohungen nicht, einschüchtern. — Gerade so ist es mit seiner politischen Gesin¬
nung. Die Natur an sich ist schon und gut, aber die Natur, die sich gegen die
Cultur empört, ihl ein Frevel, und muß zu Boden getreten werden. In der be¬
ständigen Beziehung auf seinen Gegensatz merkt Gotthelf es nicht, daß der Zer¬
setzungsproceß, den er nur äußerlich sieht, in seinem Innern vorgeht: er glaubt,
daß die wirkliche Natur unter dem politischen Treiben zu Grunde geht, und es
ist nur seine eigene Natur, seine edle und schöne Poesie; sie verkümmert im Haß
und im Fanatismus.

Jeremias Gotthelf ist stark genug, um, wenn er ernstlich will, sich diesen
Verirrungen zu entreißen, und durch eine künstlerische Form seinen heiteren und
tüchtigen Gestalten diejenige Vollendung zu geben, die sie allein ans dem trüben
Boden der Tages- und Parteischriststellerei erheben kann; ob er aber, es zu
wollen, noch die Kraft hat, ist eine andere Frage. Möge sein nächstes Werk es
uns zeigen; wir werden die ersten sein, es freudig zu begrüßen.




Leipzigs Papier verbrau es. Leipzig ist trotz der gewaltigen Concurrenz, die ihm
in neuerer Zeit namentlich Berlin macht, doch noch der Mittelpunkt des deutschen Buch¬
handels. Mehr als 100 Leipziger Buchhändler und außer ihnen viele auswärtige,
welche in ihrer Nähe keine ausehnlichen typographischen Etablissements haben, lassen alle in
ihrem Verlag erscheinende Werke in den zahlreichen und meist vortrefflich eingerichteten
Druckereien Leipzigs drucken, von Leipziger Buchbindern brochircn und einbinden und durch
die Leipziger Commissiouaire versenden. Leipzig hat nach ziemlich genauen Berechnungen einen
jährlichen Papicrbedarf von c. 1ö Mill. Pfd., und dieser Bedarf ist noch immer im Steigen.
Die gesammten Papierfabriken Sachsens, zum Theil vou ziemlichem Umfange, sind uicht
im Stande, mehr als etwa 7 Mill. Pfund Papier zu erzeugen, also noch uicht einmal
die Hälfte des Quantums, welches die Stadt Leipzig allein verbraucht; den größten
Theil des Bedarfs muß Leipzig daher jetzt aus den Papierfabriken Preußens, Baierns,
Würtembergs und Badens beziehen.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verautwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Gruuow. —- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/290>, abgerufen am 13.05.2024.