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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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"Werth?" fragt der Inspector, der nach einem scharfen Blick aus den Knaben
gleich die wichtige Seite der Klage erfaßt.

"Den Werth, Sir? Gut, Sir. Ich will sagen, acht Pence. Aber, Sir!
heut' Nacht, Sir, gerade wie ich abschließen will, hör' ich, wie eine zweite Scheibe
zum Teufel geht. Ich nicht faul,-Sir, schau hinaus, Sir, da rennt dieselbe kleine
uixnntzige Creatur davon. Ich ihm nach, Sir, derwisch' ihn, Sir, und tiefer' ihn
an die Coustablers ab, Sir."

Der Junge zeigt uicht die geringste Furcht oder Verlegenheit. Nicht
einmal ein Zucken seiner schwarzen Augen, nennt auf Begehre" seinen Namen
und seine Wohnung so bündig und geschäftsmäßig, als wenn ihm dergleichen täglich
vorkäme, und folgt dem Pvliceman eben so resignirt in den seitlichen Holzverschlag,
das provisorische Gefängniß.

"Ein so junges Kind, und schon ein ausgelernter Dieb!"

,,O, das sind die traurigsten Fälle, die uns vorkommen," bemerkte der In¬
spector. "Es werden uns durch's Jahr an fünf- bis sechstausend Kinder zugeführt,
theils solche, die sich verirrt haben, theils als Gefangene. Verbrechen unter
Kindern und bereu Vorläufer: Vernachlässigung dnrch die Aeltern, sind im Zu¬
nehmen begriffen. Diese Wahrheit können Sie ans allen unsren Stationen be¬
stätigt hören."




Der verstorbene Wladyka von Montenegro.

Der Tod des interessanten Mannes, welcher den Grenzboten bereits öfters
Veranlassung gab, die Aufmerksamkeit ihrer Leser ans die Zustände der westlichen
Türkei und Dalmatiens zu lenken, hat die Redaction bewogen, von einem ihrer
slavischen Freunde eine Charakteristik seiner Schriststellerthätigkeit zu erbitten,
welche Dieser, ein persönlicher Freund des Verstorbenen und mit allen Verhält¬
nissen der Felsenburg Montenegro vertraut, zu geben vorzüglich befähigt ist.

Wir Deutsche haben den kriegerischen Bischof mit Handjar und langer Feuer¬
steinflinte mir ans Zeitungsnachrichten als unruhigen Nachbar der Oestreichs und
Türken, oder wenn wir in jenen Gegenden reisten, als gastfreien und liebens¬
würdigen Wirth in seiner wilden Umgebung kennen gelernt. Wenn er hier als
Dichter eingeführt wird, so mag es uns, den kritischen, wol frei stehen, das
Lob nüchtern zu fassen, welches der serbische Nachbar und Freund ihm mit ganzer
Seele zutheilt. Es wird genug übrig bleiben, um uns das seltsame Erdenloos
dieses Sterblichen bedeutsam zu machen. Wir lassen unsren Korrespondenten
sprechen:

"Der Manu, dessen Andenken diese Skizze gewidmet ist, war eine so


„Werth?" fragt der Inspector, der nach einem scharfen Blick aus den Knaben
gleich die wichtige Seite der Klage erfaßt.

„Den Werth, Sir? Gut, Sir. Ich will sagen, acht Pence. Aber, Sir!
heut' Nacht, Sir, gerade wie ich abschließen will, hör' ich, wie eine zweite Scheibe
zum Teufel geht. Ich nicht faul,-Sir, schau hinaus, Sir, da rennt dieselbe kleine
uixnntzige Creatur davon. Ich ihm nach, Sir, derwisch' ihn, Sir, und tiefer' ihn
an die Coustablers ab, Sir."

Der Junge zeigt uicht die geringste Furcht oder Verlegenheit. Nicht
einmal ein Zucken seiner schwarzen Augen, nennt auf Begehre» seinen Namen
und seine Wohnung so bündig und geschäftsmäßig, als wenn ihm dergleichen täglich
vorkäme, und folgt dem Pvliceman eben so resignirt in den seitlichen Holzverschlag,
das provisorische Gefängniß.

„Ein so junges Kind, und schon ein ausgelernter Dieb!"

,,O, das sind die traurigsten Fälle, die uns vorkommen," bemerkte der In¬
spector. „Es werden uns durch's Jahr an fünf- bis sechstausend Kinder zugeführt,
theils solche, die sich verirrt haben, theils als Gefangene. Verbrechen unter
Kindern und bereu Vorläufer: Vernachlässigung dnrch die Aeltern, sind im Zu¬
nehmen begriffen. Diese Wahrheit können Sie ans allen unsren Stationen be¬
stätigt hören."




Der verstorbene Wladyka von Montenegro.

Der Tod des interessanten Mannes, welcher den Grenzboten bereits öfters
Veranlassung gab, die Aufmerksamkeit ihrer Leser ans die Zustände der westlichen
Türkei und Dalmatiens zu lenken, hat die Redaction bewogen, von einem ihrer
slavischen Freunde eine Charakteristik seiner Schriststellerthätigkeit zu erbitten,
welche Dieser, ein persönlicher Freund des Verstorbenen und mit allen Verhält¬
nissen der Felsenburg Montenegro vertraut, zu geben vorzüglich befähigt ist.

Wir Deutsche haben den kriegerischen Bischof mit Handjar und langer Feuer¬
steinflinte mir ans Zeitungsnachrichten als unruhigen Nachbar der Oestreichs und
Türken, oder wenn wir in jenen Gegenden reisten, als gastfreien und liebens¬
würdigen Wirth in seiner wilden Umgebung kennen gelernt. Wenn er hier als
Dichter eingeführt wird, so mag es uns, den kritischen, wol frei stehen, das
Lob nüchtern zu fassen, welches der serbische Nachbar und Freund ihm mit ganzer
Seele zutheilt. Es wird genug übrig bleiben, um uns das seltsame Erdenloos
dieses Sterblichen bedeutsam zu machen. Wir lassen unsren Korrespondenten
sprechen:

„Der Manu, dessen Andenken diese Skizze gewidmet ist, war eine so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/57>, abgerufen am 27.04.2024.