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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Zuge ihres Spieles, und selbst, wenn sie coquett sein muß, geschieht es mit einer
bewußtlosen Natürlichkeit, die hinreißt. Wir sagen nichts Näheres über die Art
ihrer Technik, weil eben die Technik so vollendet und so ausgemacht bei ihr ist,
daß wir sie als bloßes Mittel gelten lassen dürfen, dessen Vorhandensein sich von
selbst versteht. Nur auf die besondere Zartheit und Weichheit ihres Spieles
mochten wir aufmerksam machen, ans die reizende Weiblichkeit, die sich darin aus-
spricht, und die einen so glänzenden Gegensatz mit der überraschenden Kraft und
Ausdauer bildet, die sie am passenden Orte, zum Beispiel bei Liszt's Don Juan-
Phantasie u. s. w., an den Tag zu legen weiß. Diejenigen, welche Wilhelmine
Clauß in Deutschland gehört, können sich schwerlich die außerordentlichen Fortschritte
vorstellen, welche diese junge Künstlerin seitdem gemacht. Ihre Pflegemutter, Mad.
dal Ungher, die sie hierher begleitet, hofft sie im Conservatvire zuerst öffentlich spielen
zu lassen, und in der That wäre dieses die würdigste Bühne für ein Talent von
solchem Caliber. Der Kapellmeister Hiller hat sie auch für die Concerte der
Opera Italien engagirt. Im ersten derselben wird Hiller ein neues so eben voll¬
endetes Concert von sich hören lassen. Hiller sühlt, wie die meisten deutschen
Künstler, die Hieher kommen, den anregenden Zustand von Paris, und er hat
trotz seiner amtlichen Beschäftigung und Plage seit seinem Hiersein eine Reihe
größerer Arbeiten vollendet.




Neuigkeiten der Literatur und Kunst.

Geschichte des sogenannten Tugendbundes, oder des sittlich-wissenschaft¬
lichen Vereins. Nach den Originalacten von Johannes Voigt. Berlin, 1830. --
Auf dieses altere Buch machen wir aufmerksam, weil es die vielfachen in diesem Jahre
erschienenen Memoiren über die Zeit der Freiheitskriege aus eine sehr zweckmäßige Art
ergänzt. Es trägt dazu bei, die übertriebenen Vorstellungen, welche man von der Wirk¬
samkeit und dem Einfluß dieses Vereins hegte, zu zerstreuen. -- Die erste Veranlassung
zu dem Verein sind Fichte's Reden an die deutsche Nation gewesen, obgleich dieser
Philosoph selber dem Verein nie angehörte. Sie hatten die Idee rege gemacht, , daß
eine Verbesserung der politischen Lage Deutschlands uur aus der sittlichen Wiedergeburt
des Volks hervorgehen könne. Diese Idee wurde in einem Programm ausgeführt,
welches vom Professor Lehmann in Königsberg verfaßt war, und das im April 1808
von einer auserlesenen Gesellschaft patriotischer Männer in Königsberg unterzeichnet
.wurde. Der König gab der Gesellschaft am 30. Juni 1808 seine Bestätigung unter
der Voraussetzung, daß sie sich von der Linie des Programms nie entfernen würde.
Die eifrigsten Vertreter des Bundes waren der Prinz vou Hohenzollern-Hechingen und
der Negierungsasscssor von Bardeleben. Stein und die anderen bedeutenderen Staats¬
männer blieben ihm nicht nur fern, sondern hegten auch gegen das ideologische Wesen
desselben eine starke Abneigung. Trotz dem bildeten sich bald Filialgesellschaften, ramene-


Zuge ihres Spieles, und selbst, wenn sie coquett sein muß, geschieht es mit einer
bewußtlosen Natürlichkeit, die hinreißt. Wir sagen nichts Näheres über die Art
ihrer Technik, weil eben die Technik so vollendet und so ausgemacht bei ihr ist,
daß wir sie als bloßes Mittel gelten lassen dürfen, dessen Vorhandensein sich von
selbst versteht. Nur auf die besondere Zartheit und Weichheit ihres Spieles
mochten wir aufmerksam machen, ans die reizende Weiblichkeit, die sich darin aus-
spricht, und die einen so glänzenden Gegensatz mit der überraschenden Kraft und
Ausdauer bildet, die sie am passenden Orte, zum Beispiel bei Liszt's Don Juan-
Phantasie u. s. w., an den Tag zu legen weiß. Diejenigen, welche Wilhelmine
Clauß in Deutschland gehört, können sich schwerlich die außerordentlichen Fortschritte
vorstellen, welche diese junge Künstlerin seitdem gemacht. Ihre Pflegemutter, Mad.
dal Ungher, die sie hierher begleitet, hofft sie im Conservatvire zuerst öffentlich spielen
zu lassen, und in der That wäre dieses die würdigste Bühne für ein Talent von
solchem Caliber. Der Kapellmeister Hiller hat sie auch für die Concerte der
Opera Italien engagirt. Im ersten derselben wird Hiller ein neues so eben voll¬
endetes Concert von sich hören lassen. Hiller sühlt, wie die meisten deutschen
Künstler, die Hieher kommen, den anregenden Zustand von Paris, und er hat
trotz seiner amtlichen Beschäftigung und Plage seit seinem Hiersein eine Reihe
größerer Arbeiten vollendet.




Neuigkeiten der Literatur und Kunst.

Geschichte des sogenannten Tugendbundes, oder des sittlich-wissenschaft¬
lichen Vereins. Nach den Originalacten von Johannes Voigt. Berlin, 1830. —
Auf dieses altere Buch machen wir aufmerksam, weil es die vielfachen in diesem Jahre
erschienenen Memoiren über die Zeit der Freiheitskriege aus eine sehr zweckmäßige Art
ergänzt. Es trägt dazu bei, die übertriebenen Vorstellungen, welche man von der Wirk¬
samkeit und dem Einfluß dieses Vereins hegte, zu zerstreuen. — Die erste Veranlassung
zu dem Verein sind Fichte's Reden an die deutsche Nation gewesen, obgleich dieser
Philosoph selber dem Verein nie angehörte. Sie hatten die Idee rege gemacht, , daß
eine Verbesserung der politischen Lage Deutschlands uur aus der sittlichen Wiedergeburt
des Volks hervorgehen könne. Diese Idee wurde in einem Programm ausgeführt,
welches vom Professor Lehmann in Königsberg verfaßt war, und das im April 1808
von einer auserlesenen Gesellschaft patriotischer Männer in Königsberg unterzeichnet
.wurde. Der König gab der Gesellschaft am 30. Juni 1808 seine Bestätigung unter
der Voraussetzung, daß sie sich von der Linie des Programms nie entfernen würde.
Die eifrigsten Vertreter des Bundes waren der Prinz vou Hohenzollern-Hechingen und
der Negierungsasscssor von Bardeleben. Stein und die anderen bedeutenderen Staats¬
männer blieben ihm nicht nur fern, sondern hegten auch gegen das ideologische Wesen
desselben eine starke Abneigung. Trotz dem bildeten sich bald Filialgesellschaften, ramene-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/86>, abgerufen am 28.04.2024.