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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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theidigen und leicht den Nachbar überfallen zu können; ans die Bewohner dieser
Domainen kam es ihnen nur zu oft wenig an. Das war damals so, das ist
aber kein Grund, daß es immer so bleiben muß. Der Begriff vom Staat ist
ein höherer geworden, ein concreterer, wir haben jenen Begriff des Ärrvndirens
keineswegs vollständig aufgegeben, aber er hat nur uoch eine untergeordnete Be¬
deutung. Uns kommt es vor allen Dingen darauf an, daß der Staat ans der
Basis einer sittlichen Gemeinschaft beruhe, daß jeder Bürger desselben das Gefühl
habe, zu einem großen Ganzen zu gehören, nicht blos der willenlose Knecht einer
fremden Macht zu sein. Für diese sittliche Gemeinschaft giebt die gleiche Nationa¬
lität, die nicht blos in der Gleichheit der Sprache, sondern vorzugsweise in der
Gleichheit der rechtlichen Verhältnisse und in der Gemeinschaftlichkeit der wesent¬
lichen Interessen liegt, zwar nicht die ausschließliche, aber die solideste Basis. Am
wenigsten Schonung dieser auf die Länge unbezwinglichen Idee gegenüber ver¬
dienen solche Staaten, die ihrer ganzen Lage und Beschaffenheit nach jedes edle
und höhere Gefühl in der elendesten kleinlichsten Philistcrhaftigkeit ersticken müssen.
Wenn die Lage eines solchen Staatencomplcxes von der Art ist, daß ein energi¬
scher und klar Sehender absoluter Fürst aus der alten Schule darin einen Antrieb
sehen würde, seine Macht zu entwickeln, so ist der Umstand, daß jetzt der klar
herausgebildete Jnstinct seines Volks ihn von selber dazu auffordert, doch wol
nicht übertrieben revolutionairer Natur, und die Rücksicht, die ein kluger Fürst
darauf nimmt, bequeme Grenzsestungen, hafenreiche Küsten und sichere Gebirgs-
grenzen zu haben, ist doch wol in keiner Weise sittlicher, als der Beruf, über
eine mächtige und stolze Nation zu gebieten, die ihn als ihren Ersten, als den
Träger ihres Ruhms verehrt. Schon in den Zeiten des Absolutismus waren uur
die Kriege erfolgreich, die zugleich im Lande populair waren.

Sollte aber dieser Gedanke revvlntionair sein, und dagegen jene diplomatische
Abzählung von Seelen, wie sie ans dem Wiener Kongreß stattfand, christlich,
dann allerdings rechnen wir uns in Ihrem Sinne mit Stolz in die Klasse der
Revolutionairs, und lassen geduldig den Bannfluch über uns ergehen, den Sie
mit einem Ihres gläubigen Publicums würdigen Eifer über die politischen Ketzer
5 aussprechen.




Die handelspolitischen Conferenzen zu Bamberg und
zu Darmstadt.

Vor ganz kurzer Zeit bot sich in deu momentanen Zeitverhältnissen dringend -
Veranlassung, eine Lehre der neuesten Geschichte über die Folgen einer heftigen


Grenzboten. ,U.-IW. ^

theidigen und leicht den Nachbar überfallen zu können; ans die Bewohner dieser
Domainen kam es ihnen nur zu oft wenig an. Das war damals so, das ist
aber kein Grund, daß es immer so bleiben muß. Der Begriff vom Staat ist
ein höherer geworden, ein concreterer, wir haben jenen Begriff des Ärrvndirens
keineswegs vollständig aufgegeben, aber er hat nur uoch eine untergeordnete Be¬
deutung. Uns kommt es vor allen Dingen darauf an, daß der Staat ans der
Basis einer sittlichen Gemeinschaft beruhe, daß jeder Bürger desselben das Gefühl
habe, zu einem großen Ganzen zu gehören, nicht blos der willenlose Knecht einer
fremden Macht zu sein. Für diese sittliche Gemeinschaft giebt die gleiche Nationa¬
lität, die nicht blos in der Gleichheit der Sprache, sondern vorzugsweise in der
Gleichheit der rechtlichen Verhältnisse und in der Gemeinschaftlichkeit der wesent¬
lichen Interessen liegt, zwar nicht die ausschließliche, aber die solideste Basis. Am
wenigsten Schonung dieser auf die Länge unbezwinglichen Idee gegenüber ver¬
dienen solche Staaten, die ihrer ganzen Lage und Beschaffenheit nach jedes edle
und höhere Gefühl in der elendesten kleinlichsten Philistcrhaftigkeit ersticken müssen.
Wenn die Lage eines solchen Staatencomplcxes von der Art ist, daß ein energi¬
scher und klar Sehender absoluter Fürst aus der alten Schule darin einen Antrieb
sehen würde, seine Macht zu entwickeln, so ist der Umstand, daß jetzt der klar
herausgebildete Jnstinct seines Volks ihn von selber dazu auffordert, doch wol
nicht übertrieben revolutionairer Natur, und die Rücksicht, die ein kluger Fürst
darauf nimmt, bequeme Grenzsestungen, hafenreiche Küsten und sichere Gebirgs-
grenzen zu haben, ist doch wol in keiner Weise sittlicher, als der Beruf, über
eine mächtige und stolze Nation zu gebieten, die ihn als ihren Ersten, als den
Träger ihres Ruhms verehrt. Schon in den Zeiten des Absolutismus waren uur
die Kriege erfolgreich, die zugleich im Lande populair waren.

Sollte aber dieser Gedanke revvlntionair sein, und dagegen jene diplomatische
Abzählung von Seelen, wie sie ans dem Wiener Kongreß stattfand, christlich,
dann allerdings rechnen wir uns in Ihrem Sinne mit Stolz in die Klasse der
Revolutionairs, und lassen geduldig den Bannfluch über uns ergehen, den Sie
mit einem Ihres gläubigen Publicums würdigen Eifer über die politischen Ketzer
5 aussprechen.




Die handelspolitischen Conferenzen zu Bamberg und
zu Darmstadt.

Vor ganz kurzer Zeit bot sich in deu momentanen Zeitverhältnissen dringend -
Veranlassung, eine Lehre der neuesten Geschichte über die Folgen einer heftigen


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[0139] theidigen und leicht den Nachbar überfallen zu können; ans die Bewohner dieser Domainen kam es ihnen nur zu oft wenig an. Das war damals so, das ist aber kein Grund, daß es immer so bleiben muß. Der Begriff vom Staat ist ein höherer geworden, ein concreterer, wir haben jenen Begriff des Ärrvndirens keineswegs vollständig aufgegeben, aber er hat nur uoch eine untergeordnete Be¬ deutung. Uns kommt es vor allen Dingen darauf an, daß der Staat ans der Basis einer sittlichen Gemeinschaft beruhe, daß jeder Bürger desselben das Gefühl habe, zu einem großen Ganzen zu gehören, nicht blos der willenlose Knecht einer fremden Macht zu sein. Für diese sittliche Gemeinschaft giebt die gleiche Nationa¬ lität, die nicht blos in der Gleichheit der Sprache, sondern vorzugsweise in der Gleichheit der rechtlichen Verhältnisse und in der Gemeinschaftlichkeit der wesent¬ lichen Interessen liegt, zwar nicht die ausschließliche, aber die solideste Basis. Am wenigsten Schonung dieser auf die Länge unbezwinglichen Idee gegenüber ver¬ dienen solche Staaten, die ihrer ganzen Lage und Beschaffenheit nach jedes edle und höhere Gefühl in der elendesten kleinlichsten Philistcrhaftigkeit ersticken müssen. Wenn die Lage eines solchen Staatencomplcxes von der Art ist, daß ein energi¬ scher und klar Sehender absoluter Fürst aus der alten Schule darin einen Antrieb sehen würde, seine Macht zu entwickeln, so ist der Umstand, daß jetzt der klar herausgebildete Jnstinct seines Volks ihn von selber dazu auffordert, doch wol nicht übertrieben revolutionairer Natur, und die Rücksicht, die ein kluger Fürst darauf nimmt, bequeme Grenzsestungen, hafenreiche Küsten und sichere Gebirgs- grenzen zu haben, ist doch wol in keiner Weise sittlicher, als der Beruf, über eine mächtige und stolze Nation zu gebieten, die ihn als ihren Ersten, als den Träger ihres Ruhms verehrt. Schon in den Zeiten des Absolutismus waren uur die Kriege erfolgreich, die zugleich im Lande populair waren. Sollte aber dieser Gedanke revvlntionair sein, und dagegen jene diplomatische Abzählung von Seelen, wie sie ans dem Wiener Kongreß stattfand, christlich, dann allerdings rechnen wir uns in Ihrem Sinne mit Stolz in die Klasse der Revolutionairs, und lassen geduldig den Bannfluch über uns ergehen, den Sie mit einem Ihres gläubigen Publicums würdigen Eifer über die politischen Ketzer 5 aussprechen. Die handelspolitischen Conferenzen zu Bamberg und zu Darmstadt. Vor ganz kurzer Zeit bot sich in deu momentanen Zeitverhältnissen dringend - Veranlassung, eine Lehre der neuesten Geschichte über die Folgen einer heftigen Grenzboten. ,U.-IW. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/139>, abgerufen am 02.05.2024.