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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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absoluter Begriff sein kann, ist ein Grundsatz, den nicht erst der Liberalismus
erfunden hat, und den am allerwenigsten ein Christ mit seiner Ueberzeugung von
der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge so' übertrieben scharf hervorheben sollte.
Gewiß ist die conservative Gesinnung, die jede Neuerung mit Mißtrauen ansieht,
und die den vorwärts strebenden Leidenschaften die Zähigkeit des Beharrens ent¬
gegensetzt, ein sehr nützliches und nothwendiges Moment im Staatsleben, und
ein ungeduldiges Volk wie die Franzosen, welches jeden Augenblick den geord¬
neten Weg verläßt, weil er ihm zu lang und zu unbequem vorkommt, wird nie das
Ziel erreichen, aber durch Nichts wird diese conservative Gesinnung so gefährdet,
als durch das starrköpfige Festhalten an jenem frevelhaften Grundsatz: ?iiz,t M-
8>.illa et persüt irmiuws. Wenn sich die göttliche Vorsehung in den Gesetzen
der Menschen offenbart, so wird das am meisten bei. denjenigen Gesetzen der Fall
sein, an denen die menschliche Vernunft und die Liebe zu allen Menschen sich in
höchster Begeisterung betheiligt haben.

Endlich Siebentens. "Die Revolution fordert eine neue Vertheilung der
Staaten nach den Nationalitäten wider das Völkerrecht." -- Abgesehen davon,
daß Sie mit diesem Vorwurf die eigentliche Demokratie nicht treffen, welche sich
vielmehr gerade so gleichgiltig gegen den Begriff der Nationalität zeigt, wie Ihre
eigene Partei: welche Absurdität schieben Sie durch diesen Satz wider Ihr besseres
Wissen unsrer Partei uuter, die doch hier vorzugsweise gemeint ist! Wie sal¬
bungsvoll klingt es, wenn Sie in unsrem Namen Folgendes sprechen: "Wir lassen
die Vertheilung der Staaten nicht gelten, die Gott gefügt; wir wollen nicht zuge¬
be", daß er die Völker verbinde nud zertheile und ein Volk dem andern Unter¬
than mache nach seinem Rathschlusse und seinen Strafgerichten." -- Ist es möglich,
daß sich Ihr eigenes Gefühl, daß sich Ihr eigener Verstand nicht empört hat, als
Sie diese Worte niederschrieben? Also ein Rathschluß Gottes war es, als auf
dem Wiener Kongreß dem einen Souverän, so viel tausend Seelen genommen
und ihm dafür so viel tausend andere Seelen zur Entschädigung gegeben wurden,
oder um den zweckmäßiger" Ausdruck Ihres Freundes Thadden-Triglaff zu gebrau¬
chen, so und so viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen. Diese Entschei¬
dung über die Schicksale der Völker, diese Herabwürdigung des Menschen, des
Ebenbildes Gottes, zu einer Sache wagen Sie Gottes Rathschluß zu nennen!

So lange die Welt steht, hat man nirgend den Wahn gehegt, die Grenzen
der Staaten müßten ewig so bleiben, wie sie in dem gegenwärtigen Augenblicke
waren. Die Grenzen sind erweitert wordeu, wie es kam, durch Eroberung oder
durch Verträge; in vielen Fällen hat der bloße Zufall und die' ganz gemeine
Leidenschaft dabei gewaltet, eben so häufig aber auch ein bewußter Plan. Man
nannte das im vorigen Jahrhundert: sich arrondiren. Damals warbett die Fürsten
ihre Soldaten durch Gewalt und List in aller Herren Ländern, und es'kam ihnen
nur daraus an, daß ihre Staaten bequem zusammenlagen, um sie leicht ver-


absoluter Begriff sein kann, ist ein Grundsatz, den nicht erst der Liberalismus
erfunden hat, und den am allerwenigsten ein Christ mit seiner Ueberzeugung von
der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge so' übertrieben scharf hervorheben sollte.
Gewiß ist die conservative Gesinnung, die jede Neuerung mit Mißtrauen ansieht,
und die den vorwärts strebenden Leidenschaften die Zähigkeit des Beharrens ent¬
gegensetzt, ein sehr nützliches und nothwendiges Moment im Staatsleben, und
ein ungeduldiges Volk wie die Franzosen, welches jeden Augenblick den geord¬
neten Weg verläßt, weil er ihm zu lang und zu unbequem vorkommt, wird nie das
Ziel erreichen, aber durch Nichts wird diese conservative Gesinnung so gefährdet,
als durch das starrköpfige Festhalten an jenem frevelhaften Grundsatz: ?iiz,t M-
8>.illa et persüt irmiuws. Wenn sich die göttliche Vorsehung in den Gesetzen
der Menschen offenbart, so wird das am meisten bei. denjenigen Gesetzen der Fall
sein, an denen die menschliche Vernunft und die Liebe zu allen Menschen sich in
höchster Begeisterung betheiligt haben.

Endlich Siebentens. „Die Revolution fordert eine neue Vertheilung der
Staaten nach den Nationalitäten wider das Völkerrecht." — Abgesehen davon,
daß Sie mit diesem Vorwurf die eigentliche Demokratie nicht treffen, welche sich
vielmehr gerade so gleichgiltig gegen den Begriff der Nationalität zeigt, wie Ihre
eigene Partei: welche Absurdität schieben Sie durch diesen Satz wider Ihr besseres
Wissen unsrer Partei uuter, die doch hier vorzugsweise gemeint ist! Wie sal¬
bungsvoll klingt es, wenn Sie in unsrem Namen Folgendes sprechen: „Wir lassen
die Vertheilung der Staaten nicht gelten, die Gott gefügt; wir wollen nicht zuge¬
be», daß er die Völker verbinde nud zertheile und ein Volk dem andern Unter¬
than mache nach seinem Rathschlusse und seinen Strafgerichten." — Ist es möglich,
daß sich Ihr eigenes Gefühl, daß sich Ihr eigener Verstand nicht empört hat, als
Sie diese Worte niederschrieben? Also ein Rathschluß Gottes war es, als auf
dem Wiener Kongreß dem einen Souverän, so viel tausend Seelen genommen
und ihm dafür so viel tausend andere Seelen zur Entschädigung gegeben wurden,
oder um den zweckmäßiger» Ausdruck Ihres Freundes Thadden-Triglaff zu gebrau¬
chen, so und so viel Pfund Menschenfleisch und Menschenknochen. Diese Entschei¬
dung über die Schicksale der Völker, diese Herabwürdigung des Menschen, des
Ebenbildes Gottes, zu einer Sache wagen Sie Gottes Rathschluß zu nennen!

So lange die Welt steht, hat man nirgend den Wahn gehegt, die Grenzen
der Staaten müßten ewig so bleiben, wie sie in dem gegenwärtigen Augenblicke
waren. Die Grenzen sind erweitert wordeu, wie es kam, durch Eroberung oder
durch Verträge; in vielen Fällen hat der bloße Zufall und die' ganz gemeine
Leidenschaft dabei gewaltet, eben so häufig aber auch ein bewußter Plan. Man
nannte das im vorigen Jahrhundert: sich arrondiren. Damals warbett die Fürsten
ihre Soldaten durch Gewalt und List in aller Herren Ländern, und es'kam ihnen
nur daraus an, daß ihre Staaten bequem zusammenlagen, um sie leicht ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/138>, abgerufen am 17.05.2024.