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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Stolpe erinnert, müssen wir uns ganz entschieden aussprechen. Will man einen
historischen Stoff novellistisch behandeln, so muß man darin consequent sein, man
muß ihn ganz zur Novelle machen; man muß die Handlung nach künstlerischen
Zwecken gruppiren, und die Charaktere nud Situationen mit jener Freiheit be¬
handeln, die zur Idealität nothwendig ist. Will man das aber nicht, so muß
man bei der streng historischen Methode bleiben; man muß nichts weiter er¬
zählen, als was man wirklich weiß und beweisen kann, und man muß so er¬
zählen, wie man es weiß.

In dem vorliegenden Buch ist ans der einen Seite überall der historisch be¬
kannte Stoff in Dialoge und andere novellistische Formen aufgelöst; auf der an¬
dern Seite ist aber nicht der geringste Versuch gemacht, die Spannung und Ab-
rundung eines Kunstwerks zu gewinnen. Es werden eine große Masse einzelner
Geschichten erzählt, von denen eigentlich keine einzige einen wirklichen Abschluß
erreicht, und die untereinander nur dadurch in Znsamnicnhaug stehen, daß die
Helden meistens einer nud derselben Familie angehören.

Indessen einigermaßen wird das doch dadurch wieder gut gemacht, daß mau
sieht, uur in der Form habe sich der Verfasser von der historischen Methode ge¬
trennt, während er sich in der That Mühe gibt, die Thatsachen so gewissenhaft .
und gründlich, als er es nur weiß, zu berichten. Außerdem ist der Stoff so
leichter Natur nud streift so sehr ans Novellistische, daß die Form wenigstens sehr
nahe liegt. Die Schicksale der einzelnen Mitglieder jener Familie sind wirklich
sehr abenteuerlich, und das Publicum, das ohnehin bei unsern modernen histori¬
schen Romanen uicht grade an eine übertriebene Concentration gewöhnt ist, wird
an dieser Lectüre großes Interesse finden, da es bei der Gelegenheit in eine Reihe
verschiedener Höfe eingeführt, mit den merkwürdigsten Personen jener Zeit bekannt
gemacht und von den sonderbarsten Culturverhältnisse" in Kenntniß gesetzt wird.
Die Ausarbeitung des Werkes hat sich etwas verzögert. Die ersten beiden Bände
erschienen bereits im Jahre 18i8, wo wir sie anch bereits besprochen haben; die
letzten sind soeben herausgekommen. Schade, daß der Verfasser in manchen
Punkten nicht ausführlicher gewesen ist, daß er sich fast überall lediglich ans die
Schilderung der Persönlichkeiten beschränkt hat, und es unterläßt, auf die eigent¬
lichen Sitten und Gebräuche einzugehen. Indeß die Schilderung ist sehr lebhaft
und anschaulich, und manche von den dargestellten Personen treten mit der Le¬
bendigkeit von Portraits heraus. --


Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf Se. Helena nach den Briefen
und Tagebüchern des Generallieutenant Sir Hudson Löwe und bisher ungedruckten
Urkunden. Aus dem Englische" des William Forsyth von Julius Seybt.
Leipzig, Amelang. --

Es gab eine Zeit, wo man es wie ein Sacrilegium betrachtete, an der voll¬
kommenen Heiligkeit der letzten Augenblicke des Kaisers der Franzosen und an der


Stolpe erinnert, müssen wir uns ganz entschieden aussprechen. Will man einen
historischen Stoff novellistisch behandeln, so muß man darin consequent sein, man
muß ihn ganz zur Novelle machen; man muß die Handlung nach künstlerischen
Zwecken gruppiren, und die Charaktere nud Situationen mit jener Freiheit be¬
handeln, die zur Idealität nothwendig ist. Will man das aber nicht, so muß
man bei der streng historischen Methode bleiben; man muß nichts weiter er¬
zählen, als was man wirklich weiß und beweisen kann, und man muß so er¬
zählen, wie man es weiß.

In dem vorliegenden Buch ist ans der einen Seite überall der historisch be¬
kannte Stoff in Dialoge und andere novellistische Formen aufgelöst; auf der an¬
dern Seite ist aber nicht der geringste Versuch gemacht, die Spannung und Ab-
rundung eines Kunstwerks zu gewinnen. Es werden eine große Masse einzelner
Geschichten erzählt, von denen eigentlich keine einzige einen wirklichen Abschluß
erreicht, und die untereinander nur dadurch in Znsamnicnhaug stehen, daß die
Helden meistens einer nud derselben Familie angehören.

Indessen einigermaßen wird das doch dadurch wieder gut gemacht, daß mau
sieht, uur in der Form habe sich der Verfasser von der historischen Methode ge¬
trennt, während er sich in der That Mühe gibt, die Thatsachen so gewissenhaft .
und gründlich, als er es nur weiß, zu berichten. Außerdem ist der Stoff so
leichter Natur nud streift so sehr ans Novellistische, daß die Form wenigstens sehr
nahe liegt. Die Schicksale der einzelnen Mitglieder jener Familie sind wirklich
sehr abenteuerlich, und das Publicum, das ohnehin bei unsern modernen histori¬
schen Romanen uicht grade an eine übertriebene Concentration gewöhnt ist, wird
an dieser Lectüre großes Interesse finden, da es bei der Gelegenheit in eine Reihe
verschiedener Höfe eingeführt, mit den merkwürdigsten Personen jener Zeit bekannt
gemacht und von den sonderbarsten Culturverhältnisse» in Kenntniß gesetzt wird.
Die Ausarbeitung des Werkes hat sich etwas verzögert. Die ersten beiden Bände
erschienen bereits im Jahre 18i8, wo wir sie anch bereits besprochen haben; die
letzten sind soeben herausgekommen. Schade, daß der Verfasser in manchen
Punkten nicht ausführlicher gewesen ist, daß er sich fast überall lediglich ans die
Schilderung der Persönlichkeiten beschränkt hat, und es unterläßt, auf die eigent¬
lichen Sitten und Gebräuche einzugehen. Indeß die Schilderung ist sehr lebhaft
und anschaulich, und manche von den dargestellten Personen treten mit der Le¬
bendigkeit von Portraits heraus. —


Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf Se. Helena nach den Briefen
und Tagebüchern des Generallieutenant Sir Hudson Löwe und bisher ungedruckten
Urkunden. Aus dem Englische» des William Forsyth von Julius Seybt.
Leipzig, Amelang. —

Es gab eine Zeit, wo man es wie ein Sacrilegium betrachtete, an der voll¬
kommenen Heiligkeit der letzten Augenblicke des Kaisers der Franzosen und an der


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[0296] Stolpe erinnert, müssen wir uns ganz entschieden aussprechen. Will man einen historischen Stoff novellistisch behandeln, so muß man darin consequent sein, man muß ihn ganz zur Novelle machen; man muß die Handlung nach künstlerischen Zwecken gruppiren, und die Charaktere nud Situationen mit jener Freiheit be¬ handeln, die zur Idealität nothwendig ist. Will man das aber nicht, so muß man bei der streng historischen Methode bleiben; man muß nichts weiter er¬ zählen, als was man wirklich weiß und beweisen kann, und man muß so er¬ zählen, wie man es weiß. In dem vorliegenden Buch ist ans der einen Seite überall der historisch be¬ kannte Stoff in Dialoge und andere novellistische Formen aufgelöst; auf der an¬ dern Seite ist aber nicht der geringste Versuch gemacht, die Spannung und Ab- rundung eines Kunstwerks zu gewinnen. Es werden eine große Masse einzelner Geschichten erzählt, von denen eigentlich keine einzige einen wirklichen Abschluß erreicht, und die untereinander nur dadurch in Znsamnicnhaug stehen, daß die Helden meistens einer nud derselben Familie angehören. Indessen einigermaßen wird das doch dadurch wieder gut gemacht, daß mau sieht, uur in der Form habe sich der Verfasser von der historischen Methode ge¬ trennt, während er sich in der That Mühe gibt, die Thatsachen so gewissenhaft . und gründlich, als er es nur weiß, zu berichten. Außerdem ist der Stoff so leichter Natur nud streift so sehr ans Novellistische, daß die Form wenigstens sehr nahe liegt. Die Schicksale der einzelnen Mitglieder jener Familie sind wirklich sehr abenteuerlich, und das Publicum, das ohnehin bei unsern modernen histori¬ schen Romanen uicht grade an eine übertriebene Concentration gewöhnt ist, wird an dieser Lectüre großes Interesse finden, da es bei der Gelegenheit in eine Reihe verschiedener Höfe eingeführt, mit den merkwürdigsten Personen jener Zeit bekannt gemacht und von den sonderbarsten Culturverhältnisse» in Kenntniß gesetzt wird. Die Ausarbeitung des Werkes hat sich etwas verzögert. Die ersten beiden Bände erschienen bereits im Jahre 18i8, wo wir sie anch bereits besprochen haben; die letzten sind soeben herausgekommen. Schade, daß der Verfasser in manchen Punkten nicht ausführlicher gewesen ist, daß er sich fast überall lediglich ans die Schilderung der Persönlichkeiten beschränkt hat, und es unterläßt, auf die eigent¬ lichen Sitten und Gebräuche einzugehen. Indeß die Schilderung ist sehr lebhaft und anschaulich, und manche von den dargestellten Personen treten mit der Le¬ bendigkeit von Portraits heraus. — Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf Se. Helena nach den Briefen und Tagebüchern des Generallieutenant Sir Hudson Löwe und bisher ungedruckten Urkunden. Aus dem Englische» des William Forsyth von Julius Seybt. Leipzig, Amelang. — Es gab eine Zeit, wo man es wie ein Sacrilegium betrachtete, an der voll¬ kommenen Heiligkeit der letzten Augenblicke des Kaisers der Franzosen und an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/296>, abgerufen am 07.05.2024.