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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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rasch folgen kann, und wir sind überzeugt, daß es dem östreichischen Ministerium
ebenso gehen wird. Es wird einigermaßen überrascht sein, seine Handlungsweise
in der montenegrinischen Sache als einen Freiheitskampf dargestellt zu sehen.
Herr Schuselka gibt uus einen populären Abriß der türkischen Geschichte und
kommt zu dem Resultat, die Auflösung der Türkei sei allerdings unvermeidlich,
nothwendig nud wünschenswert!), aber Nußland dürfe kein Gewinn davon zufallen.
Das Gebiet, welches südlich vom Balkan liegt, soll dem Königreich Griechenland
zufallen, dessen Hauptstadt Konstantinopel werden müsse, nud die Länder nördlich
vom Balkan sollten mit Oestreich vereinigt werden. DaS ist nun eine Conjec-
turalpvlitik, über die sich nicht viel sagen läßt, da sie wenig Anknüpfungspunkte
zu deu wirklichen Verhältnissen bietet. Wir wollen mir auf eine Nebenbemerkung
aufmerksam machen: Mit ernstem Kopfschütteln sagt Herr Schnselka Seite 128:
"Allerdings wird Oestreich in diesem Weltkampfe wahrscheinlich auf seine eigene
Kraft allein hingewiesen sein; es ist zweifelhaft, ob von Preußen und Deutschland
thatsächliche Hilfe zu erwarte" sei, obwol Oestreich im vollsten Sinne des Worts
für Deutschlands Nutzen nud Ehre kämpfe" würde." -- Zweifelhaft erscheint uns
das """ allerdings nicht. Zwar trauen wir dem gegenwärtigen preußischen Mi¬
nisterium alles mögliche zu, und einem Ministerium Bismark-Schönhausen, von
dem ja auch in der letzte" Zeit die Rede gewesen sein soll, trauen wir noch mehr
zu, als alles mögliche; aber daß Preußen Truppen nach dem Balkan schicken
wird, um einen Theil der Türkei für Oestreich zu erobern, dieses trauen wir ihm
denn doch nicht zu. Freilich find das Betrachtungen, die erst in ganz weiter Ferne
liegen, denn es fällt Oestreich so wenig el" als Preußen, in dieser Frage gegen
Nußland aufzutreten, und da nu" auch England und Frankreich sich gefügt haben,
wird die Sache wol bald dahin entschieden sein, daß Rußland diejenigen Pro¬
vinzen, die es vorläufig als brauchbar betrachtet, an sich nimmt, freilich mit Wider¬
streben, da es aller Eroberungspolitik fremd ist, und daß die europäischen Gro߬
mächte den Sultan veranlassen, deswegen den gebührenden Dank abzustatten.

Am wenigsten sollten wir uns jetzt in dieser ernsten und schicksalsschweren
Verwirrung durch die alten philhellcnischen Sympathien bestimmen lassen. Die
Verjagung der Türken ans Europa würde zwar, sobald die europäische" Mächte
einig siud, keine großen Schwierigkeiten machen, aber die Herstellung eines grie¬
chischen Reiches an Stelle des türkischen würde entweder unmöglich sei", oder sie
würde die Schwierigkeiten der Lage um nichts vermindern, denn das Verhältniß
zu Rußland würde dadurch nur dem Namen uach ein anderes werden. --


Aurora Königsmark und ihre Verwandten. Zeitbilder aus dem 17. und 18. Jahr¬
hundert von W. F. Palmblad. Aus dem Schwedischen. 6 Bände. -- Leipzig,
Brockhaus.

Gegen die Manier dieser Schrift, die an die ähnliche des Schweden Crnscu-


Grenzbotcn. III. 18AZ. 37

rasch folgen kann, und wir sind überzeugt, daß es dem östreichischen Ministerium
ebenso gehen wird. Es wird einigermaßen überrascht sein, seine Handlungsweise
in der montenegrinischen Sache als einen Freiheitskampf dargestellt zu sehen.
Herr Schuselka gibt uus einen populären Abriß der türkischen Geschichte und
kommt zu dem Resultat, die Auflösung der Türkei sei allerdings unvermeidlich,
nothwendig nud wünschenswert!), aber Nußland dürfe kein Gewinn davon zufallen.
Das Gebiet, welches südlich vom Balkan liegt, soll dem Königreich Griechenland
zufallen, dessen Hauptstadt Konstantinopel werden müsse, nud die Länder nördlich
vom Balkan sollten mit Oestreich vereinigt werden. DaS ist nun eine Conjec-
turalpvlitik, über die sich nicht viel sagen läßt, da sie wenig Anknüpfungspunkte
zu deu wirklichen Verhältnissen bietet. Wir wollen mir auf eine Nebenbemerkung
aufmerksam machen: Mit ernstem Kopfschütteln sagt Herr Schnselka Seite 128:
„Allerdings wird Oestreich in diesem Weltkampfe wahrscheinlich auf seine eigene
Kraft allein hingewiesen sein; es ist zweifelhaft, ob von Preußen und Deutschland
thatsächliche Hilfe zu erwarte» sei, obwol Oestreich im vollsten Sinne des Worts
für Deutschlands Nutzen nud Ehre kämpfe» würde." — Zweifelhaft erscheint uns
das »»» allerdings nicht. Zwar trauen wir dem gegenwärtigen preußischen Mi¬
nisterium alles mögliche zu, und einem Ministerium Bismark-Schönhausen, von
dem ja auch in der letzte» Zeit die Rede gewesen sein soll, trauen wir noch mehr
zu, als alles mögliche; aber daß Preußen Truppen nach dem Balkan schicken
wird, um einen Theil der Türkei für Oestreich zu erobern, dieses trauen wir ihm
denn doch nicht zu. Freilich find das Betrachtungen, die erst in ganz weiter Ferne
liegen, denn es fällt Oestreich so wenig el» als Preußen, in dieser Frage gegen
Nußland aufzutreten, und da nu» auch England und Frankreich sich gefügt haben,
wird die Sache wol bald dahin entschieden sein, daß Rußland diejenigen Pro¬
vinzen, die es vorläufig als brauchbar betrachtet, an sich nimmt, freilich mit Wider¬
streben, da es aller Eroberungspolitik fremd ist, und daß die europäischen Gro߬
mächte den Sultan veranlassen, deswegen den gebührenden Dank abzustatten.

Am wenigsten sollten wir uns jetzt in dieser ernsten und schicksalsschweren
Verwirrung durch die alten philhellcnischen Sympathien bestimmen lassen. Die
Verjagung der Türken ans Europa würde zwar, sobald die europäische» Mächte
einig siud, keine großen Schwierigkeiten machen, aber die Herstellung eines grie¬
chischen Reiches an Stelle des türkischen würde entweder unmöglich sei», oder sie
würde die Schwierigkeiten der Lage um nichts vermindern, denn das Verhältniß
zu Rußland würde dadurch nur dem Namen uach ein anderes werden. —


Aurora Königsmark und ihre Verwandten. Zeitbilder aus dem 17. und 18. Jahr¬
hundert von W. F. Palmblad. Aus dem Schwedischen. 6 Bände. — Leipzig,
Brockhaus.

Gegen die Manier dieser Schrift, die an die ähnliche des Schweden Crnscu-


Grenzbotcn. III. 18AZ. 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/295>, abgerufen am 19.05.2024.