Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Werks nicht geschadet haben, obgleich wir gern zugeben wollen, daß diese Per-
spectiven sehr nahe lagen, und daß sie an sich betrachtet nicht ohne Interesse sind.


Der Fürstcnrath nach dem Lüneviller Frieden. Eine reichsrechtlichc Ab¬
handlung von Ur. Ludwig Aegidy. Berlin, Nenner.--

Der Versasser hat sich bis dahin vorzugsweise durch seine politische Thätig¬
keit bekannt gemacht. Er gehörte seit dem Jahre 1848 zu den eifrigsten Ver¬
fechtern der Gothaer Partei und entwickelte nach allen Seiten hin einen liebens¬
würdigen Eifer für die Sache selbst und für die Personen, die er als vorzüglichste
Vertreter derselben ansah. Mit diesem Buch beginnt er nnn eine neue Laufbahn,
und wir wünschen ihm Glück dazu. Er hat sich bereits eine große Gelehrsamkeit
in den staatsrechtlichen Voraussetzungen erworben und zeigt in der Anwendung
und Bearbeitung derselben einen nicht gemeinen Scharfsinn. Weiter kann unsere
Anerkennung nicht gehen, und wir müssen das um so unumwundener aussprechen,
da bereits in mehren großen Blättern von dem Buch behauptet wird, es gehöre
in die ersten Reihen der juristischen Literatur. Das ist nicht der Fall. Im
Gegentheil zeigt die ganze Methode, soviel Vortreffliches auch darin enthalten
ist, noch ziemlich deutlich den Anfänger. Der Gegenstand der Untersuchung ist
ein einzelner Act des Lüneviller Friedens, in dem der Kaiser von seinem Veto der
Reichsversammlung gegenüber Gebrauch machte. Es wird untersucht, ob er dazu
das Recht gehabt habe, oder uicht, und bei dieser Gelegenheit die ganze staats¬
rechtliche und historische Literatur aufgeboten, Analogien und Präcedentien ange¬
führt und dergleichen. Das ist ein Verfahren, welches bei den alten Neichs-
jurisien seit Maximilians Zeit regelmäßig angewendet wurde; aber das war auch
in der That die schauderhafteste, unprodnctivste Menschenclasse, mit der Gott der
Herr das arme deutsche Vaterland heimgesucht hat. Es war das jene Art von
organischer historischer Nechtsentwickeluug, die wir zuweilen bewundern, weil sie
anch bei den Engländern vorkommt, wobei wir aber vergessen, daß Englands
Große nicht von jenem organischen Naturwuchs herstammt, sondern von wirklich
historischen Thaten, d. h. von Entschlüssen, die über die Präcedentien und Ana¬
logien hinausgingen; und daß die Engländer ihrem organischen Naturwuchs vor¬
zugsweise solche Dinge verdanken, wie das Kanzleigericht, über dessen Herrlichkeit
man sich unter andern bei Dickens Aufschlüsse holen kann. Am ungeeignetsten
ist diese Methode, wenn man sie auf Ereignisse wie den Frieden von Lüneville
anwendet, wo jener Rechtsschacher durch die Wucht der Ereignisse allmälig aus
Deutschland weggefegt wurde. Wir halten daher, offen gestanden, die ganze
Aufgabe des Buchs für verfehlt, obgleich wir uoch einmal wiederholen, daß bei
dieser verfehlten Aufgabe sehr viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit aufgewendet ist.
-- Noch aus eins möchten wir den Versasser aufmerksam machen. Namentlich
in der Vorrede herrscht ein Stil, der an Ranke, Dahlmann, Grimm u. s. w.


Werks nicht geschadet haben, obgleich wir gern zugeben wollen, daß diese Per-
spectiven sehr nahe lagen, und daß sie an sich betrachtet nicht ohne Interesse sind.


Der Fürstcnrath nach dem Lüneviller Frieden. Eine reichsrechtlichc Ab¬
handlung von Ur. Ludwig Aegidy. Berlin, Nenner.—

Der Versasser hat sich bis dahin vorzugsweise durch seine politische Thätig¬
keit bekannt gemacht. Er gehörte seit dem Jahre 1848 zu den eifrigsten Ver¬
fechtern der Gothaer Partei und entwickelte nach allen Seiten hin einen liebens¬
würdigen Eifer für die Sache selbst und für die Personen, die er als vorzüglichste
Vertreter derselben ansah. Mit diesem Buch beginnt er nnn eine neue Laufbahn,
und wir wünschen ihm Glück dazu. Er hat sich bereits eine große Gelehrsamkeit
in den staatsrechtlichen Voraussetzungen erworben und zeigt in der Anwendung
und Bearbeitung derselben einen nicht gemeinen Scharfsinn. Weiter kann unsere
Anerkennung nicht gehen, und wir müssen das um so unumwundener aussprechen,
da bereits in mehren großen Blättern von dem Buch behauptet wird, es gehöre
in die ersten Reihen der juristischen Literatur. Das ist nicht der Fall. Im
Gegentheil zeigt die ganze Methode, soviel Vortreffliches auch darin enthalten
ist, noch ziemlich deutlich den Anfänger. Der Gegenstand der Untersuchung ist
ein einzelner Act des Lüneviller Friedens, in dem der Kaiser von seinem Veto der
Reichsversammlung gegenüber Gebrauch machte. Es wird untersucht, ob er dazu
das Recht gehabt habe, oder uicht, und bei dieser Gelegenheit die ganze staats¬
rechtliche und historische Literatur aufgeboten, Analogien und Präcedentien ange¬
führt und dergleichen. Das ist ein Verfahren, welches bei den alten Neichs-
jurisien seit Maximilians Zeit regelmäßig angewendet wurde; aber das war auch
in der That die schauderhafteste, unprodnctivste Menschenclasse, mit der Gott der
Herr das arme deutsche Vaterland heimgesucht hat. Es war das jene Art von
organischer historischer Nechtsentwickeluug, die wir zuweilen bewundern, weil sie
anch bei den Engländern vorkommt, wobei wir aber vergessen, daß Englands
Große nicht von jenem organischen Naturwuchs herstammt, sondern von wirklich
historischen Thaten, d. h. von Entschlüssen, die über die Präcedentien und Ana¬
logien hinausgingen; und daß die Engländer ihrem organischen Naturwuchs vor¬
zugsweise solche Dinge verdanken, wie das Kanzleigericht, über dessen Herrlichkeit
man sich unter andern bei Dickens Aufschlüsse holen kann. Am ungeeignetsten
ist diese Methode, wenn man sie auf Ereignisse wie den Frieden von Lüneville
anwendet, wo jener Rechtsschacher durch die Wucht der Ereignisse allmälig aus
Deutschland weggefegt wurde. Wir halten daher, offen gestanden, die ganze
Aufgabe des Buchs für verfehlt, obgleich wir uoch einmal wiederholen, daß bei
dieser verfehlten Aufgabe sehr viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit aufgewendet ist.
— Noch aus eins möchten wir den Versasser aufmerksam machen. Namentlich
in der Vorrede herrscht ein Stil, der an Ranke, Dahlmann, Grimm u. s. w.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96476"/>
            <p xml:id="ID_1044" prev="#ID_1043"> Werks nicht geschadet haben, obgleich wir gern zugeben wollen, daß diese Per-<lb/>
spectiven sehr nahe lagen, und daß sie an sich betrachtet nicht ohne Interesse sind.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Der Fürstcnrath nach dem Lüneviller Frieden.  Eine reichsrechtlichc Ab¬<lb/>
handlung von Ur. Ludwig Aegidy.  Berlin, Nenner.&#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1045" next="#ID_1046"> Der Versasser hat sich bis dahin vorzugsweise durch seine politische Thätig¬<lb/>
keit bekannt gemacht. Er gehörte seit dem Jahre 1848 zu den eifrigsten Ver¬<lb/>
fechtern der Gothaer Partei und entwickelte nach allen Seiten hin einen liebens¬<lb/>
würdigen Eifer für die Sache selbst und für die Personen, die er als vorzüglichste<lb/>
Vertreter derselben ansah. Mit diesem Buch beginnt er nnn eine neue Laufbahn,<lb/>
und wir wünschen ihm Glück dazu. Er hat sich bereits eine große Gelehrsamkeit<lb/>
in den staatsrechtlichen Voraussetzungen erworben und zeigt in der Anwendung<lb/>
und Bearbeitung derselben einen nicht gemeinen Scharfsinn. Weiter kann unsere<lb/>
Anerkennung nicht gehen, und wir müssen das um so unumwundener aussprechen,<lb/>
da bereits in mehren großen Blättern von dem Buch behauptet wird, es gehöre<lb/>
in die ersten Reihen der juristischen Literatur. Das ist nicht der Fall. Im<lb/>
Gegentheil zeigt die ganze Methode, soviel Vortreffliches auch darin enthalten<lb/>
ist, noch ziemlich deutlich den Anfänger. Der Gegenstand der Untersuchung ist<lb/>
ein einzelner Act des Lüneviller Friedens, in dem der Kaiser von seinem Veto der<lb/>
Reichsversammlung gegenüber Gebrauch machte. Es wird untersucht, ob er dazu<lb/>
das Recht gehabt habe, oder uicht, und bei dieser Gelegenheit die ganze staats¬<lb/>
rechtliche und historische Literatur aufgeboten, Analogien und Präcedentien ange¬<lb/>
führt und dergleichen. Das ist ein Verfahren, welches bei den alten Neichs-<lb/>
jurisien seit Maximilians Zeit regelmäßig angewendet wurde; aber das war auch<lb/>
in der That die schauderhafteste, unprodnctivste Menschenclasse, mit der Gott der<lb/>
Herr das arme deutsche Vaterland heimgesucht hat. Es war das jene Art von<lb/>
organischer historischer Nechtsentwickeluug, die wir zuweilen bewundern, weil sie<lb/>
anch bei den Engländern vorkommt, wobei wir aber vergessen, daß Englands<lb/>
Große nicht von jenem organischen Naturwuchs herstammt, sondern von wirklich<lb/>
historischen Thaten, d. h. von Entschlüssen, die über die Präcedentien und Ana¬<lb/>
logien hinausgingen; und daß die Engländer ihrem organischen Naturwuchs vor¬<lb/>
zugsweise solche Dinge verdanken, wie das Kanzleigericht, über dessen Herrlichkeit<lb/>
man sich unter andern bei Dickens Aufschlüsse holen kann. Am ungeeignetsten<lb/>
ist diese Methode, wenn man sie auf Ereignisse wie den Frieden von Lüneville<lb/>
anwendet, wo jener Rechtsschacher durch die Wucht der Ereignisse allmälig aus<lb/>
Deutschland weggefegt wurde. Wir halten daher, offen gestanden, die ganze<lb/>
Aufgabe des Buchs für verfehlt, obgleich wir uoch einmal wiederholen, daß bei<lb/>
dieser verfehlten Aufgabe sehr viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit aufgewendet ist.<lb/>
&#x2014; Noch aus eins möchten wir den Versasser aufmerksam machen. Namentlich<lb/>
in der Vorrede herrscht ein Stil, der an Ranke, Dahlmann, Grimm u. s. w.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Werks nicht geschadet haben, obgleich wir gern zugeben wollen, daß diese Per- spectiven sehr nahe lagen, und daß sie an sich betrachtet nicht ohne Interesse sind. Der Fürstcnrath nach dem Lüneviller Frieden. Eine reichsrechtlichc Ab¬ handlung von Ur. Ludwig Aegidy. Berlin, Nenner.— Der Versasser hat sich bis dahin vorzugsweise durch seine politische Thätig¬ keit bekannt gemacht. Er gehörte seit dem Jahre 1848 zu den eifrigsten Ver¬ fechtern der Gothaer Partei und entwickelte nach allen Seiten hin einen liebens¬ würdigen Eifer für die Sache selbst und für die Personen, die er als vorzüglichste Vertreter derselben ansah. Mit diesem Buch beginnt er nnn eine neue Laufbahn, und wir wünschen ihm Glück dazu. Er hat sich bereits eine große Gelehrsamkeit in den staatsrechtlichen Voraussetzungen erworben und zeigt in der Anwendung und Bearbeitung derselben einen nicht gemeinen Scharfsinn. Weiter kann unsere Anerkennung nicht gehen, und wir müssen das um so unumwundener aussprechen, da bereits in mehren großen Blättern von dem Buch behauptet wird, es gehöre in die ersten Reihen der juristischen Literatur. Das ist nicht der Fall. Im Gegentheil zeigt die ganze Methode, soviel Vortreffliches auch darin enthalten ist, noch ziemlich deutlich den Anfänger. Der Gegenstand der Untersuchung ist ein einzelner Act des Lüneviller Friedens, in dem der Kaiser von seinem Veto der Reichsversammlung gegenüber Gebrauch machte. Es wird untersucht, ob er dazu das Recht gehabt habe, oder uicht, und bei dieser Gelegenheit die ganze staats¬ rechtliche und historische Literatur aufgeboten, Analogien und Präcedentien ange¬ führt und dergleichen. Das ist ein Verfahren, welches bei den alten Neichs- jurisien seit Maximilians Zeit regelmäßig angewendet wurde; aber das war auch in der That die schauderhafteste, unprodnctivste Menschenclasse, mit der Gott der Herr das arme deutsche Vaterland heimgesucht hat. Es war das jene Art von organischer historischer Nechtsentwickeluug, die wir zuweilen bewundern, weil sie anch bei den Engländern vorkommt, wobei wir aber vergessen, daß Englands Große nicht von jenem organischen Naturwuchs herstammt, sondern von wirklich historischen Thaten, d. h. von Entschlüssen, die über die Präcedentien und Ana¬ logien hinausgingen; und daß die Engländer ihrem organischen Naturwuchs vor¬ zugsweise solche Dinge verdanken, wie das Kanzleigericht, über dessen Herrlichkeit man sich unter andern bei Dickens Aufschlüsse holen kann. Am ungeeignetsten ist diese Methode, wenn man sie auf Ereignisse wie den Frieden von Lüneville anwendet, wo jener Rechtsschacher durch die Wucht der Ereignisse allmälig aus Deutschland weggefegt wurde. Wir halten daher, offen gestanden, die ganze Aufgabe des Buchs für verfehlt, obgleich wir uoch einmal wiederholen, daß bei dieser verfehlten Aufgabe sehr viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit aufgewendet ist. — Noch aus eins möchten wir den Versasser aufmerksam machen. Namentlich in der Vorrede herrscht ein Stil, der an Ranke, Dahlmann, Grimm u. s. w.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/301>, abgerufen am 06.05.2024.