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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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'2.
Wer hat denn die Welt gemacht,
Gott oder Hegel?
Ich denke, Gott hat sie gemacht
Und Hegel drüber nachgedacht.

Das ist aber doch wirklich die aschgraue Unmöglichkeit. Gegen dergleichen
gehalten sind doch Verse, wie z. B. der Affe gar possirlich ist, zumal wenn er vom
Apfel frißt, eine wahre Fülle von Weisheit und Poesie; und dabei liegt es gar
nicht um der Persönlichkeit dieses bestimmten Dichters; er zeigt in andern Ge¬
dichten, daß er Verstand genug hat. Aber wenn unsre Poeten einen Hexameter
und Pentameter zu drechseln verstehen, so bilden sie sich ein, jede Dummheit, die
ihnen durch deu Sinn fährt, dadurch zur Poesie erheben zu können. Was Goethe
und Schiller in Epigrammen geleistet haben, wird ewig feststehen, denn sie
kleideten nur bedeutende Gedanken im das reizende Gewand der Dichtkunst.
Sämmtliche übrige Sinnsprüche der neuern Zeit aber, Rückert nicht ausgeschlossen,
würden wir für eine nicht beträchtliche Summe gern hingeben.

Von den eigentlichen Liedern haben uus am besten die von Precht gefallen.
Sie sind unbefangen, ehrlich und zeigen ein volles Gemüth. Jetzt finden freilich
politische Lieder keinen großen Anklang mehr.-- Einiges poetische Talent ist auch in dem
katholischen Dichter, obgleich er mehr katholisch, als Dichter ist. Es ist überhaupt
eine schwierige Ausgabe, die Bibel zu Poetistren, denn in der Regel wird das
Original doch tausendmal poetischer sein, als die Paraphrase.-- Herr Bauern-
seld, der bekannte Lustspieldichter, ist sehr reich an Epigrammen, über die wir
nur unsre vorige Ansicht wiederholen könnten; aber im ganzen haben diese Gedichte
doch ihrer verständigen, liberalen Gesinnung wegen einen wohlthuenden Eindruck
auf uns gemacht. Die Lieder "aus dem Haus" sind gemüthlich und bescheiden,
etwas christlich, aber nicht forcirt; die "Spätherbstblüten" noch gemüthlicher und
bescheidener, aber mehr liberal und scherzhaft. Endlich die "Lindenblüten", die
ihrer Form nach eiuer sehr antiquirten Dichtungsart angehören, zeigen wenigstens
in einigen Beschreibungen ein sehr gutes Talent, das sich zuweilen nur zu sehr
an Schiller lehnt.




Neues zum Bentinekscheu Proceß.

Eine Reihe deutscher Professoren haben sich durch die Gutachten, welche sie
für den Kläger im Bentinckschen Proceß abgaben, bereits gründlich blamirt, am
gründlichsten derjenige, welcher in das Geheimniß der bekannten Kniphansenschen
Expedition vom Jahre 1836 eingeweiht war, durch welche ein Bruder des Klä¬
gers, Offizier in königlich großbritannischen Kriegsdienste, den Proceß zu um¬
gehen und seine Familie br<zvl wann in den Besitz von Kniphausen zu setzen ver-


38*
'2.
Wer hat denn die Welt gemacht,
Gott oder Hegel?
Ich denke, Gott hat sie gemacht
Und Hegel drüber nachgedacht.

Das ist aber doch wirklich die aschgraue Unmöglichkeit. Gegen dergleichen
gehalten sind doch Verse, wie z. B. der Affe gar possirlich ist, zumal wenn er vom
Apfel frißt, eine wahre Fülle von Weisheit und Poesie; und dabei liegt es gar
nicht um der Persönlichkeit dieses bestimmten Dichters; er zeigt in andern Ge¬
dichten, daß er Verstand genug hat. Aber wenn unsre Poeten einen Hexameter
und Pentameter zu drechseln verstehen, so bilden sie sich ein, jede Dummheit, die
ihnen durch deu Sinn fährt, dadurch zur Poesie erheben zu können. Was Goethe
und Schiller in Epigrammen geleistet haben, wird ewig feststehen, denn sie
kleideten nur bedeutende Gedanken im das reizende Gewand der Dichtkunst.
Sämmtliche übrige Sinnsprüche der neuern Zeit aber, Rückert nicht ausgeschlossen,
würden wir für eine nicht beträchtliche Summe gern hingeben.

Von den eigentlichen Liedern haben uus am besten die von Precht gefallen.
Sie sind unbefangen, ehrlich und zeigen ein volles Gemüth. Jetzt finden freilich
politische Lieder keinen großen Anklang mehr.— Einiges poetische Talent ist auch in dem
katholischen Dichter, obgleich er mehr katholisch, als Dichter ist. Es ist überhaupt
eine schwierige Ausgabe, die Bibel zu Poetistren, denn in der Regel wird das
Original doch tausendmal poetischer sein, als die Paraphrase.— Herr Bauern-
seld, der bekannte Lustspieldichter, ist sehr reich an Epigrammen, über die wir
nur unsre vorige Ansicht wiederholen könnten; aber im ganzen haben diese Gedichte
doch ihrer verständigen, liberalen Gesinnung wegen einen wohlthuenden Eindruck
auf uns gemacht. Die Lieder „aus dem Haus" sind gemüthlich und bescheiden,
etwas christlich, aber nicht forcirt; die „Spätherbstblüten" noch gemüthlicher und
bescheidener, aber mehr liberal und scherzhaft. Endlich die „Lindenblüten", die
ihrer Form nach eiuer sehr antiquirten Dichtungsart angehören, zeigen wenigstens
in einigen Beschreibungen ein sehr gutes Talent, das sich zuweilen nur zu sehr
an Schiller lehnt.




Neues zum Bentinekscheu Proceß.

Eine Reihe deutscher Professoren haben sich durch die Gutachten, welche sie
für den Kläger im Bentinckschen Proceß abgaben, bereits gründlich blamirt, am
gründlichsten derjenige, welcher in das Geheimniß der bekannten Kniphansenschen
Expedition vom Jahre 1836 eingeweiht war, durch welche ein Bruder des Klä¬
gers, Offizier in königlich großbritannischen Kriegsdienste, den Proceß zu um¬
gehen und seine Familie br<zvl wann in den Besitz von Kniphausen zu setzen ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/305>, abgerufen am 06.05.2024.