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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Mit dieser Hindeutung voll tadelnden Beigeschmacks ist unstreitig der be¬
kannte Brief AorkS nach dem 2-1. September 1808 gemeint" der mit den Worten
beginnt: ."Der Mann (Stein) ist zu unserm Unglück in England gewesen und
hat dort seine Staatsweisheit hergeholt ..." Die allerdings höchst merkwürdige
Epistel, die vom Anfang bis zu Ende in der Kreuzzeitung stehen konnte, hat den
resignirten Schlußsatz: "Zu einer sicilianischen Vesper oder zu einem Kriege auf
die Vendeeweise ist der Deutsche eben nicht geeignet. Wie wäre auch in unserm
flachen Lande so etwas möglich. In der Lage, in der wir uns befinden, ist
ruhiges Abwarten der politischen Verhältnisse das klügste und sicherste, den
Feind aber auf eigene Gefahr herauszufordern, wahrer Unsinn."

Das klingt zwei Jahre nach der Schlacht von Jena und ein Jahr nach dem
Tilsiter Frieden auffällig genug-. Dem wackern Krieger und schlechten, damals
wenigstens herzlich schlechtem Politiker, waren über die Ursache des Uebels noch
immer die Augen nicht aufgegangen. Sein Groll war auch durch Steins vou
Napoleon durchgesetzte Entlassung nicht besänftigt. Er schrieb unterm 26. No¬
vember 1808: "Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere
Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift auflösen!!"

Mit welchem Behagen mögen die Herren Gerlach und Genossen solche hypo¬
chondrische "divinatorische" Ausfälle lesen. Sonderbar-, daß vier Jahre später
derselbe Dort bei Tauroggen ein heroisches , unsterbliches Werk vollbrachte, welches
der König nicht befohlen hatte daß die Befreiungskriege der "Bewegung
vom Volke aus," ja zum Theil der geheimen äntinapoleonischen Verbindungen
doch nicht ganz entrathen konnten, daß endlich Gneisenau, dessen Urtheil Herr
Stahl wol nicht durchaus verwerflich finden dürfte, über Stein in einem Briefe
an Arndt im Sommer 181 i schrieb:

"Diesem edelsinnigen Deutschen verdanken wir viel. Er war fast der
Einzige" der mir in Vertheidigung der Behauptung beistand, man müsse
nach Paris gehen und könne nur dort den Frieden erobern. Möchte
man ihn ferner gehört haben und noch ferner hören wollen! Abe^r die Schwachen
und die Boshaften stehen im Bund gegen ihn; jene fürchten ihn, diese hassen
ihn. Die östreichischen Diplomaten besonders halten ihn für einen bos¬
haften Satanas und möchten ihn ans ihrer Gegenwart heraus exorcifiren!" --




Die Erklärungen Lord Clarendons im Ober-, und Lord Rüssels im Unter¬
hause werden wol die einigermaßen beruhigt haben, die in der vorsichtigen Politik



*) Als die erste Äachricht tack, rief der König: "Da möchte enim ja der Schlag
treffen -- was ist linn zu thun?"
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Mit dieser Hindeutung voll tadelnden Beigeschmacks ist unstreitig der be¬
kannte Brief AorkS nach dem 2-1. September 1808 gemeint» der mit den Worten
beginnt: .„Der Mann (Stein) ist zu unserm Unglück in England gewesen und
hat dort seine Staatsweisheit hergeholt ..." Die allerdings höchst merkwürdige
Epistel, die vom Anfang bis zu Ende in der Kreuzzeitung stehen konnte, hat den
resignirten Schlußsatz: „Zu einer sicilianischen Vesper oder zu einem Kriege auf
die Vendeeweise ist der Deutsche eben nicht geeignet. Wie wäre auch in unserm
flachen Lande so etwas möglich. In der Lage, in der wir uns befinden, ist
ruhiges Abwarten der politischen Verhältnisse das klügste und sicherste, den
Feind aber auf eigene Gefahr herauszufordern, wahrer Unsinn."

Das klingt zwei Jahre nach der Schlacht von Jena und ein Jahr nach dem
Tilsiter Frieden auffällig genug-. Dem wackern Krieger und schlechten, damals
wenigstens herzlich schlechtem Politiker, waren über die Ursache des Uebels noch
immer die Augen nicht aufgegangen. Sein Groll war auch durch Steins vou
Napoleon durchgesetzte Entlassung nicht besänftigt. Er schrieb unterm 26. No¬
vember 1808: „Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere
Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift auflösen!!"

Mit welchem Behagen mögen die Herren Gerlach und Genossen solche hypo¬
chondrische „divinatorische" Ausfälle lesen. Sonderbar-, daß vier Jahre später
derselbe Dort bei Tauroggen ein heroisches , unsterbliches Werk vollbrachte, welches
der König nicht befohlen hatte daß die Befreiungskriege der „Bewegung
vom Volke aus," ja zum Theil der geheimen äntinapoleonischen Verbindungen
doch nicht ganz entrathen konnten, daß endlich Gneisenau, dessen Urtheil Herr
Stahl wol nicht durchaus verwerflich finden dürfte, über Stein in einem Briefe
an Arndt im Sommer 181 i schrieb:

„Diesem edelsinnigen Deutschen verdanken wir viel. Er war fast der
Einzige» der mir in Vertheidigung der Behauptung beistand, man müsse
nach Paris gehen und könne nur dort den Frieden erobern. Möchte
man ihn ferner gehört haben und noch ferner hören wollen! Abe^r die Schwachen
und die Boshaften stehen im Bund gegen ihn; jene fürchten ihn, diese hassen
ihn. Die östreichischen Diplomaten besonders halten ihn für einen bos¬
haften Satanas und möchten ihn ans ihrer Gegenwart heraus exorcifiren!" —




Die Erklärungen Lord Clarendons im Ober-, und Lord Rüssels im Unter¬
hause werden wol die einigermaßen beruhigt haben, die in der vorsichtigen Politik



*) Als die erste Äachricht tack, rief der König: „Da möchte enim ja der Schlag
treffen — was ist linn zu thun?"
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[0313] Mit dieser Hindeutung voll tadelnden Beigeschmacks ist unstreitig der be¬ kannte Brief AorkS nach dem 2-1. September 1808 gemeint» der mit den Worten beginnt: .„Der Mann (Stein) ist zu unserm Unglück in England gewesen und hat dort seine Staatsweisheit hergeholt ..." Die allerdings höchst merkwürdige Epistel, die vom Anfang bis zu Ende in der Kreuzzeitung stehen konnte, hat den resignirten Schlußsatz: „Zu einer sicilianischen Vesper oder zu einem Kriege auf die Vendeeweise ist der Deutsche eben nicht geeignet. Wie wäre auch in unserm flachen Lande so etwas möglich. In der Lage, in der wir uns befinden, ist ruhiges Abwarten der politischen Verhältnisse das klügste und sicherste, den Feind aber auf eigene Gefahr herauszufordern, wahrer Unsinn." Das klingt zwei Jahre nach der Schlacht von Jena und ein Jahr nach dem Tilsiter Frieden auffällig genug-. Dem wackern Krieger und schlechten, damals wenigstens herzlich schlechtem Politiker, waren über die Ursache des Uebels noch immer die Augen nicht aufgegangen. Sein Groll war auch durch Steins vou Napoleon durchgesetzte Entlassung nicht besänftigt. Er schrieb unterm 26. No¬ vember 1808: „Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift auflösen!!" Mit welchem Behagen mögen die Herren Gerlach und Genossen solche hypo¬ chondrische „divinatorische" Ausfälle lesen. Sonderbar-, daß vier Jahre später derselbe Dort bei Tauroggen ein heroisches , unsterbliches Werk vollbrachte, welches der König nicht befohlen hatte daß die Befreiungskriege der „Bewegung vom Volke aus," ja zum Theil der geheimen äntinapoleonischen Verbindungen doch nicht ganz entrathen konnten, daß endlich Gneisenau, dessen Urtheil Herr Stahl wol nicht durchaus verwerflich finden dürfte, über Stein in einem Briefe an Arndt im Sommer 181 i schrieb: „Diesem edelsinnigen Deutschen verdanken wir viel. Er war fast der Einzige» der mir in Vertheidigung der Behauptung beistand, man müsse nach Paris gehen und könne nur dort den Frieden erobern. Möchte man ihn ferner gehört haben und noch ferner hören wollen! Abe^r die Schwachen und die Boshaften stehen im Bund gegen ihn; jene fürchten ihn, diese hassen ihn. Die östreichischen Diplomaten besonders halten ihn für einen bos¬ haften Satanas und möchten ihn ans ihrer Gegenwart heraus exorcifiren!" — Die Erklärungen Lord Clarendons im Ober-, und Lord Rüssels im Unter¬ hause werden wol die einigermaßen beruhigt haben, die in der vorsichtigen Politik *) Als die erste Äachricht tack, rief der König: „Da möchte enim ja der Schlag treffen — was ist linn zu thun?" 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/313>, abgerufen am 06.05.2024.