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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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trug mir verursachte. Daß ein hochherziger, verschuldeter Ritter von trauriger
Gestalt auf seinem Sandhaufen i" der Mark oder in Hinterpommern an nichts
denkt, wenn ihm die Uebung solcher Thätigkeit überhaupt widerfährt, als an
seinen bedrohten Grundsteuergroschen, an gutsherrliche Polizei und an die alte
befestigte Gemeindeordnung ist in dem Wesen dieser von ihrem Schöpfer etwas
stiefväterlich behandelten Naturen zu sehr begründet, um Verwunderung zu erregen,
Aber wie ein Mann der Wissenschaft, den die frische Luft seiner Sternwarte und
das unermeßliche Feld seiner auf die sichtbare Ewigkeit gerichteten Betrachtungen
zu keinem dürren Bücherwurms, zu keinem Pedanten werden lassen, wie ein solcher
bevorzugter Denker und Forscher, nachdem er in dem geheimnißvollen Zauberbuche
der Sphären gelesen, heruntersteigen und sich bei der Lectüre der neuesten
Zeitung über die herrlichen Fortschritte der kleinen aber mächtigen Partei freuen
kann, das sollen uns die Herren Psychologen erklären. Es gemahnt an jene
wunderbare Künstlerin, die Glücks Alceste mit so wahrhaftiger, echter Begeisterung
singt, daß man sie weder beklatschen, noch Heransrufen, sondern nnr in stiller
Verehrung anbeten möchte, und aus der in gesellschaftlicher Begegnung ihre wärmsten
Freunde nicht ein gescheidtes, geschweige ein geistvolles Wort zu locken vermögen!

Die Eukcsche Rectorwahl war inzwischen mindestens kein politischer Skandal
wie die vorjährige Stahls. Dieser hatte am 3. August, am Geburtstage des
verstorbenen Königs, auf der Universität "och das Wort. Er "improvisirte" eine
Gedächtnißrede, die ihm flott genug vom Munde gehen mochte. Haben die Konser¬
vativen schon wider die Geschichte und die Wahrheit Friedrich II. zu ihrem Könige
gemacht, so ist Friedrich Wilhelm III. erst recht ihr Mann. Es soll dagegen nicht viel
eingewendet werden, wenn man zugibt, wie man denn zugeben muß, daß 1806
infolge jener Sympathien, 18-13 aber trotz derselben in den Annalen des stets
wohlgesinnten aber erst spät und nach harten Prüfungen besser berathenen Herr¬
schers aufgezeichnet ist. Der Herr Rector sucht sich zwar mit kunstgewohnter
Dialektik an dieser Thatsache vorbeizuwinden und indem er den Minister Stein
nothgedrungen einen reinen, edlen, christlichen Staatsmann nennt, dessen Hanpt-
bestreben die Jusnrrectionirung Deutschlands zur Befreiung von der Fremdherrschaft
gewesen, fügt er in für ihn, den Redner, sehr bezeichnender Weise hinzu, "aus.
diesem einzigen Gedanken (wodurch also dem großen Reformator jedes positive
über die Zeit der Noth Hin-ausreichende Streben abgesprochen scheint) seien alle
seine Reformen, die Mündigmachnug des Landmanns und des Bürgers -- aber
auch die Gegnerschaften eiues Marwitz und Uork entstanden, welche auch einen
Befreiungskrieg, aber einen nicht von dem Volke ausgehenden, sondern von dem
König befohlenen, einen Krieg nnter preußischem, nicht unter deutschem Panier
gewollt, und so hate namentlich Aork -1808 eine divinatorische Beurthei¬
lung der Steinschen Reformen geliefert, wie sie heute nicht besser gegeben
werde" könnte,"


trug mir verursachte. Daß ein hochherziger, verschuldeter Ritter von trauriger
Gestalt auf seinem Sandhaufen i» der Mark oder in Hinterpommern an nichts
denkt, wenn ihm die Uebung solcher Thätigkeit überhaupt widerfährt, als an
seinen bedrohten Grundsteuergroschen, an gutsherrliche Polizei und an die alte
befestigte Gemeindeordnung ist in dem Wesen dieser von ihrem Schöpfer etwas
stiefväterlich behandelten Naturen zu sehr begründet, um Verwunderung zu erregen,
Aber wie ein Mann der Wissenschaft, den die frische Luft seiner Sternwarte und
das unermeßliche Feld seiner auf die sichtbare Ewigkeit gerichteten Betrachtungen
zu keinem dürren Bücherwurms, zu keinem Pedanten werden lassen, wie ein solcher
bevorzugter Denker und Forscher, nachdem er in dem geheimnißvollen Zauberbuche
der Sphären gelesen, heruntersteigen und sich bei der Lectüre der neuesten
Zeitung über die herrlichen Fortschritte der kleinen aber mächtigen Partei freuen
kann, das sollen uns die Herren Psychologen erklären. Es gemahnt an jene
wunderbare Künstlerin, die Glücks Alceste mit so wahrhaftiger, echter Begeisterung
singt, daß man sie weder beklatschen, noch Heransrufen, sondern nnr in stiller
Verehrung anbeten möchte, und aus der in gesellschaftlicher Begegnung ihre wärmsten
Freunde nicht ein gescheidtes, geschweige ein geistvolles Wort zu locken vermögen!

Die Eukcsche Rectorwahl war inzwischen mindestens kein politischer Skandal
wie die vorjährige Stahls. Dieser hatte am 3. August, am Geburtstage des
verstorbenen Königs, auf der Universität »och das Wort. Er „improvisirte" eine
Gedächtnißrede, die ihm flott genug vom Munde gehen mochte. Haben die Konser¬
vativen schon wider die Geschichte und die Wahrheit Friedrich II. zu ihrem Könige
gemacht, so ist Friedrich Wilhelm III. erst recht ihr Mann. Es soll dagegen nicht viel
eingewendet werden, wenn man zugibt, wie man denn zugeben muß, daß 1806
infolge jener Sympathien, 18-13 aber trotz derselben in den Annalen des stets
wohlgesinnten aber erst spät und nach harten Prüfungen besser berathenen Herr¬
schers aufgezeichnet ist. Der Herr Rector sucht sich zwar mit kunstgewohnter
Dialektik an dieser Thatsache vorbeizuwinden und indem er den Minister Stein
nothgedrungen einen reinen, edlen, christlichen Staatsmann nennt, dessen Hanpt-
bestreben die Jusnrrectionirung Deutschlands zur Befreiung von der Fremdherrschaft
gewesen, fügt er in für ihn, den Redner, sehr bezeichnender Weise hinzu, „aus.
diesem einzigen Gedanken (wodurch also dem großen Reformator jedes positive
über die Zeit der Noth Hin-ausreichende Streben abgesprochen scheint) seien alle
seine Reformen, die Mündigmachnug des Landmanns und des Bürgers — aber
auch die Gegnerschaften eiues Marwitz und Uork entstanden, welche auch einen
Befreiungskrieg, aber einen nicht von dem Volke ausgehenden, sondern von dem
König befohlenen, einen Krieg nnter preußischem, nicht unter deutschem Panier
gewollt, und so hate namentlich Aork -1808 eine divinatorische Beurthei¬
lung der Steinschen Reformen geliefert, wie sie heute nicht besser gegeben
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/312>, abgerufen am 19.05.2024.