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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Pointen aufführen konnten, mit Anmuth und Grazie zu einem harmonischen Bilde
umschafft. Ebenso ansprechend ist das sinnige Stillleben der Natur aufgefaßt:
der Tannenbaum, der in seiner Kindheit sich darüber ärgert, wenn die Hasen
über ihn hinwegspringen, bis er endlich abgehauen wird und nach kurzer, glänzen¬
der, aber unbequemer Pracht am Weihnachtsabend, zuerst in die Polterkammer
geworfen wird, wo er ein paar ehrlichen Mäusen Geschichten erzählt und endlich
den Tod in den Flammen findet; das Fliedermütterche", das dem alten Ehepaar
die Sagen ans der Fliederlaube in die Ohren flüstert und sich kochen läßt, um
als Thee dem Knaben, der den Schnupfen hat, Träume von einer bunten,
lustigen Zukunft ein^uathmen; die Schneekönigin, die im Fcnsterfrost die phan¬
tastische Herrlichkeit ihres Zauberschlosses am Nordpol abspiegelt; der Erlenbügel,
ans dem die Kobolde aus allen Gegenden und Sagen zusammenkommen, um sich
an ihren gegenseitigen Sprüngen zu belustigen. Uuter den Thieren liebt der
gemüthliche Dichter vor alle" die Störche; sie haben etwas Heimisches, sie sind
die Schutzgeister eines friedlichen Herdes, und doch bringen sie wunderbare
Sagen aus dem südlich schönen Lande ihrer dichterischen Heimat, freundlich
grüßend auf jeder neuen Wanderung in das vertraute Strohdach herüber.
Ueberall sind wir in einer lieblichen Traumwelt, nicht in jenen hastigen Scelen-
bewegungen, die aus einem Ucberquellen des heißen Blutes entspringen, sondern
in den leichten Morgenträumen, die wie ans einem bunt wechselnden Abendgewvlk
neckisch an unserm innern Gesicht vornberglciten, und in denen wir mitunter einen
glücklichen Blick in die Natur der Dinge thun, den Abglanz einer wahren An¬
schauung, die in dem Gewühl des Tageslebens ""beachtet an uns vorüberging. --
Die neue elegant und zweckmäßig ausgestattete Ausgabe beweist die fortdauernde
Theilnahme des Publicums für diese Märchen und für die übrigen Schriften
Andersens.




Nicolaus Lenau's Briefe an einen Freund.

Herausgegeben mit Erinnerungen an den Verstorbenen von Karl Mayer. Stuttgart,
Mänler, 18S3.

Voraussichtlich werden in kurzer Zeit noch von verschiedenen Seiten Mit¬
theilungen über das Leben des unglücklichen Dichters erfolgen, der an poetischer
Begabung den meisten seiner Mitstrebenden überlegen war. Vorläufig sind auch
schon diese Briefe ein sehr werthvoller, literarhistorischer Beitrag, nicht nur für
die Charakteristik des Dichters selbst, sondern anch für das Leben und Treiben
der sogenannten schwäbischen Schule. Zwar fällt n"s die Redseligkeit und
gemüthliche Breite des Verfassers zuweilen lästig, indessen es steht in dem Buch
soviel Interessantes, daß man über diesen Umstand schon hinwegsehen kann.


Pointen aufführen konnten, mit Anmuth und Grazie zu einem harmonischen Bilde
umschafft. Ebenso ansprechend ist das sinnige Stillleben der Natur aufgefaßt:
der Tannenbaum, der in seiner Kindheit sich darüber ärgert, wenn die Hasen
über ihn hinwegspringen, bis er endlich abgehauen wird und nach kurzer, glänzen¬
der, aber unbequemer Pracht am Weihnachtsabend, zuerst in die Polterkammer
geworfen wird, wo er ein paar ehrlichen Mäusen Geschichten erzählt und endlich
den Tod in den Flammen findet; das Fliedermütterche», das dem alten Ehepaar
die Sagen ans der Fliederlaube in die Ohren flüstert und sich kochen läßt, um
als Thee dem Knaben, der den Schnupfen hat, Träume von einer bunten,
lustigen Zukunft ein^uathmen; die Schneekönigin, die im Fcnsterfrost die phan¬
tastische Herrlichkeit ihres Zauberschlosses am Nordpol abspiegelt; der Erlenbügel,
ans dem die Kobolde aus allen Gegenden und Sagen zusammenkommen, um sich
an ihren gegenseitigen Sprüngen zu belustigen. Uuter den Thieren liebt der
gemüthliche Dichter vor alle» die Störche; sie haben etwas Heimisches, sie sind
die Schutzgeister eines friedlichen Herdes, und doch bringen sie wunderbare
Sagen aus dem südlich schönen Lande ihrer dichterischen Heimat, freundlich
grüßend auf jeder neuen Wanderung in das vertraute Strohdach herüber.
Ueberall sind wir in einer lieblichen Traumwelt, nicht in jenen hastigen Scelen-
bewegungen, die aus einem Ucberquellen des heißen Blutes entspringen, sondern
in den leichten Morgenträumen, die wie ans einem bunt wechselnden Abendgewvlk
neckisch an unserm innern Gesicht vornberglciten, und in denen wir mitunter einen
glücklichen Blick in die Natur der Dinge thun, den Abglanz einer wahren An¬
schauung, die in dem Gewühl des Tageslebens »»beachtet an uns vorüberging. —
Die neue elegant und zweckmäßig ausgestattete Ausgabe beweist die fortdauernde
Theilnahme des Publicums für diese Märchen und für die übrigen Schriften
Andersens.




Nicolaus Lenau's Briefe an einen Freund.

Herausgegeben mit Erinnerungen an den Verstorbenen von Karl Mayer. Stuttgart,
Mänler, 18S3.

Voraussichtlich werden in kurzer Zeit noch von verschiedenen Seiten Mit¬
theilungen über das Leben des unglücklichen Dichters erfolgen, der an poetischer
Begabung den meisten seiner Mitstrebenden überlegen war. Vorläufig sind auch
schon diese Briefe ein sehr werthvoller, literarhistorischer Beitrag, nicht nur für
die Charakteristik des Dichters selbst, sondern anch für das Leben und Treiben
der sogenannten schwäbischen Schule. Zwar fällt n»s die Redseligkeit und
gemüthliche Breite des Verfassers zuweilen lästig, indessen es steht in dem Buch
soviel Interessantes, daß man über diesen Umstand schon hinwegsehen kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/378>, abgerufen am 06.05.2024.