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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Lenau stand seit dem Jahre 1831 in den intimsten Beziehungen zu den
sämmtlichen schwäbischen Dichtern, an deren Weise er in seinem Schaffen überhaupt
erinnert, wenn er auch darüber hinausging, sowie die Schwaben selbst sich zunächst
an den Hainbund, namentlich an Hölty, der auch bei ihnen am meisten gefeiert
wurde, anschlössen. Unter all diesen guten Menschen war ihm der Oberamtörichter
Mayer, der sich zugleich durch kleine Gedichte bekannt gemacht hat, am nächsten
getreten. Zwar war er sechzehn Jahre alter, als Lena",, aber das Verhältniß
nahm einen fast leidenschaftlichen Charakter an, und Mayer ist seinem Freunde
auch stets treu geblieben. Die Briefe eröffnen uns also die innersten Empfin¬
dungen des Dichters.

Wir finden dnrch sie das Bild bestätigt, das wir uns schon ans Lenaus
Dichtungen gemacht haben. Lenau war ursprünglich eine edle, starke und gesunde
Natur, aber es hatte sich in seiner Seele ein Dämon festgesetzt, über den er
schon in der Zeit, als er die Gedichte schrieb, nicht immer Herr werden konnte,
der dann einen immer finsterem Schatten über sein Gemüth warf und ihn endlich
zu Boden schlug. Dieser Dämon, den Justinus Kerner einmal persönlich sah,
("Es ist ein haariger Kerl, mit einem langen Wickelschwanz u. s. w." Seite 63),
war der Wahnsinn, den er selbst mit einem gewissen Grauen, wenn auch uoch
unbestimmt,'kommen sah. In einem Brief an Mayer aus dem Jahr 1832 sagt
er (Seite 68): "Mich regiert eine Art Gravitation nach dem Unglück. Schwab
hat neulich von einem Wahnsinnigen sehr geistreich gesprochen. Er wollte ihn
heilen und ging also ganz leise und behutsam der fixen Idee des Narren ans den
Leib. Der Verstand des Unglücklichen folgte ihm wirklich Schritt für Schritt
durch alle Prämissen nach, und als er endlich am Conclusum stand und einsehen
sollte das Unsinnige seiner Einbildung, da stutzte der Dämon des Narren plötzlich,
merkend, daß man ihm aufs Leben gehe, und sprang trotzig ab, und es war aus
mit allen Bemühungen, den Narren zu bekehren. Ein Analogon von solchem
Dämon glaube ich auch in mir zu beherbergen."

Es ist das leider sehr wahr, denn Lenau entwickelt in vielen Fällen einen
so klaren, gesunden und durchdringenden Verstand, ein so reiches, warmes und
schönes Gemüth, und geräth dabei doch hänfig ans so tolle Einbildungen, auf
so unerhörte Stimmungen, daß wir fast an ein Doppelleben glauben müssen, ein
Lehen im Traum und in der Einbildung und ein Leben in der Wirklichkeit. So
kommt uus auch in seinem Liebesverhältniß, welches ihn in jener Zeit schwer afficirte,
vieles ganz imaginär und traumhaft vor. Ein merkwürdiges Verhältniß bestand
zwischen ihm und Justinus Keruer, der eigentlich auch einen Sparren im Kopf
hat, da er die Welt mit Gespenstern bevölkert steht, und der dabei doch nicht
blos ein guter und liebenswürdiger, sondern auf seine Art ein verständiger
Mensch ist. Er schreibt einmal an Mayer, indem er sich über Lenau beklagt, daß
er nicht zu ihm gekommen sei: "Ich bin für ihn eine schlechte Anziehung. Ich habe


Lenau stand seit dem Jahre 1831 in den intimsten Beziehungen zu den
sämmtlichen schwäbischen Dichtern, an deren Weise er in seinem Schaffen überhaupt
erinnert, wenn er auch darüber hinausging, sowie die Schwaben selbst sich zunächst
an den Hainbund, namentlich an Hölty, der auch bei ihnen am meisten gefeiert
wurde, anschlössen. Unter all diesen guten Menschen war ihm der Oberamtörichter
Mayer, der sich zugleich durch kleine Gedichte bekannt gemacht hat, am nächsten
getreten. Zwar war er sechzehn Jahre alter, als Lena»,, aber das Verhältniß
nahm einen fast leidenschaftlichen Charakter an, und Mayer ist seinem Freunde
auch stets treu geblieben. Die Briefe eröffnen uns also die innersten Empfin¬
dungen des Dichters.

Wir finden dnrch sie das Bild bestätigt, das wir uns schon ans Lenaus
Dichtungen gemacht haben. Lenau war ursprünglich eine edle, starke und gesunde
Natur, aber es hatte sich in seiner Seele ein Dämon festgesetzt, über den er
schon in der Zeit, als er die Gedichte schrieb, nicht immer Herr werden konnte,
der dann einen immer finsterem Schatten über sein Gemüth warf und ihn endlich
zu Boden schlug. Dieser Dämon, den Justinus Kerner einmal persönlich sah,
(„Es ist ein haariger Kerl, mit einem langen Wickelschwanz u. s. w." Seite 63),
war der Wahnsinn, den er selbst mit einem gewissen Grauen, wenn auch uoch
unbestimmt,'kommen sah. In einem Brief an Mayer aus dem Jahr 1832 sagt
er (Seite 68): „Mich regiert eine Art Gravitation nach dem Unglück. Schwab
hat neulich von einem Wahnsinnigen sehr geistreich gesprochen. Er wollte ihn
heilen und ging also ganz leise und behutsam der fixen Idee des Narren ans den
Leib. Der Verstand des Unglücklichen folgte ihm wirklich Schritt für Schritt
durch alle Prämissen nach, und als er endlich am Conclusum stand und einsehen
sollte das Unsinnige seiner Einbildung, da stutzte der Dämon des Narren plötzlich,
merkend, daß man ihm aufs Leben gehe, und sprang trotzig ab, und es war aus
mit allen Bemühungen, den Narren zu bekehren. Ein Analogon von solchem
Dämon glaube ich auch in mir zu beherbergen."

Es ist das leider sehr wahr, denn Lenau entwickelt in vielen Fällen einen
so klaren, gesunden und durchdringenden Verstand, ein so reiches, warmes und
schönes Gemüth, und geräth dabei doch hänfig ans so tolle Einbildungen, auf
so unerhörte Stimmungen, daß wir fast an ein Doppelleben glauben müssen, ein
Lehen im Traum und in der Einbildung und ein Leben in der Wirklichkeit. So
kommt uus auch in seinem Liebesverhältniß, welches ihn in jener Zeit schwer afficirte,
vieles ganz imaginär und traumhaft vor. Ein merkwürdiges Verhältniß bestand
zwischen ihm und Justinus Keruer, der eigentlich auch einen Sparren im Kopf
hat, da er die Welt mit Gespenstern bevölkert steht, und der dabei doch nicht
blos ein guter und liebenswürdiger, sondern auf seine Art ein verständiger
Mensch ist. Er schreibt einmal an Mayer, indem er sich über Lenau beklagt, daß
er nicht zu ihm gekommen sei: „Ich bin für ihn eine schlechte Anziehung. Ich habe


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[0379] Lenau stand seit dem Jahre 1831 in den intimsten Beziehungen zu den sämmtlichen schwäbischen Dichtern, an deren Weise er in seinem Schaffen überhaupt erinnert, wenn er auch darüber hinausging, sowie die Schwaben selbst sich zunächst an den Hainbund, namentlich an Hölty, der auch bei ihnen am meisten gefeiert wurde, anschlössen. Unter all diesen guten Menschen war ihm der Oberamtörichter Mayer, der sich zugleich durch kleine Gedichte bekannt gemacht hat, am nächsten getreten. Zwar war er sechzehn Jahre alter, als Lena»,, aber das Verhältniß nahm einen fast leidenschaftlichen Charakter an, und Mayer ist seinem Freunde auch stets treu geblieben. Die Briefe eröffnen uns also die innersten Empfin¬ dungen des Dichters. Wir finden dnrch sie das Bild bestätigt, das wir uns schon ans Lenaus Dichtungen gemacht haben. Lenau war ursprünglich eine edle, starke und gesunde Natur, aber es hatte sich in seiner Seele ein Dämon festgesetzt, über den er schon in der Zeit, als er die Gedichte schrieb, nicht immer Herr werden konnte, der dann einen immer finsterem Schatten über sein Gemüth warf und ihn endlich zu Boden schlug. Dieser Dämon, den Justinus Kerner einmal persönlich sah, („Es ist ein haariger Kerl, mit einem langen Wickelschwanz u. s. w." Seite 63), war der Wahnsinn, den er selbst mit einem gewissen Grauen, wenn auch uoch unbestimmt,'kommen sah. In einem Brief an Mayer aus dem Jahr 1832 sagt er (Seite 68): „Mich regiert eine Art Gravitation nach dem Unglück. Schwab hat neulich von einem Wahnsinnigen sehr geistreich gesprochen. Er wollte ihn heilen und ging also ganz leise und behutsam der fixen Idee des Narren ans den Leib. Der Verstand des Unglücklichen folgte ihm wirklich Schritt für Schritt durch alle Prämissen nach, und als er endlich am Conclusum stand und einsehen sollte das Unsinnige seiner Einbildung, da stutzte der Dämon des Narren plötzlich, merkend, daß man ihm aufs Leben gehe, und sprang trotzig ab, und es war aus mit allen Bemühungen, den Narren zu bekehren. Ein Analogon von solchem Dämon glaube ich auch in mir zu beherbergen." Es ist das leider sehr wahr, denn Lenau entwickelt in vielen Fällen einen so klaren, gesunden und durchdringenden Verstand, ein so reiches, warmes und schönes Gemüth, und geräth dabei doch hänfig ans so tolle Einbildungen, auf so unerhörte Stimmungen, daß wir fast an ein Doppelleben glauben müssen, ein Lehen im Traum und in der Einbildung und ein Leben in der Wirklichkeit. So kommt uus auch in seinem Liebesverhältniß, welches ihn in jener Zeit schwer afficirte, vieles ganz imaginär und traumhaft vor. Ein merkwürdiges Verhältniß bestand zwischen ihm und Justinus Keruer, der eigentlich auch einen Sparren im Kopf hat, da er die Welt mit Gespenstern bevölkert steht, und der dabei doch nicht blos ein guter und liebenswürdiger, sondern auf seine Art ein verständiger Mensch ist. Er schreibt einmal an Mayer, indem er sich über Lenau beklagt, daß er nicht zu ihm gekommen sei: „Ich bin für ihn eine schlechte Anziehung. Ich habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/379>, abgerufen am 19.05.2024.