Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Frankfurts Saison mores herrscht nicht, wie in anderen Städten im Hoch¬
sommer, sondern grade jetzt vor Herbstesanfang. Sie hängt größtentheils mit den
Bnndestagöserien und mit dem allmäligen Stillerwerden der Taunuöbäder zusammen.
Der Lärm des Meßbudcnbaueö vertreibt sie anch nicht, solange die Börse an
ihrer "flauen Haltung" festhält. Selbst Pischek vermag das Theater nicht zu
füllen und bei Herr Berlioz in der Allgem. Ztg. verherrlichten Tongcmälden
zeichnen sich vornämlich die Logen durch Leerheit ans. Unterdessen steigen die
LcbenSmittelprcise mit Konsequenz, während sie in allen Nachbarstaaten sinken
und trotz mancher Zcitnngöphantasieu von guten Meßhossnuugen weiß die wirkliche
Handelswelt nichts davon. Man erkennt es immermehr, die Zeiten der Messen
sind vorbei, weil ihre Nothwendigkeiten durch die modernen Verkehrsmittel beseitigt
sind. Die Frankfurter Messe gehört fast nur noch dem Kleinhandel und selbst
diesem mir für einen beschränkten Kreis von Artikeln und Ortschaften. Wo sich
nun alles so tief verwandelt hat, nimmt es sich seltsam genug ans, wenn unsre
Stadtbehörden plötzlich eine Verordnung vom Jahre 1798 von neuem in Kraft
rufen, um, wie alle Frankfurter Zünfte, so anch die der " Schicbkärchcr" in
Schutz zu nehmen, auf daß niemand Packete oder Effecten in der Stadt von
einem zum andern Ort transportiren lassen dürfe, außer durch die Herrn "Schieb-
kärcher." Es gehört diese restaurirte Verordnung mit zur Charakteristik der
Tendenzen, welche hier die Oberhand haben. Es sah fast wie eine Versöhnung
aus, daß am gleichen Tage mit dieser Verordnung jene organischen Gesetze der
Bürgerschaft im Entwurf zur Abstimmung vorgelegt wurde", welche allerdings
schon von der Constitnlionsergänzungsacte des Jahres 1816 verheißen, aber
durch jene Buudeöbeschlüsse wieder abolirt worden waren, welche 18K1 und SA
die ganze 18i8 entstandene Verfassung aufhoben. Die Erfüllung der Constitu-
tionsergänznngsacte ist den Vätern des Vaterlandes nach der neuen Octroyirung
der alten Constitution von der gesetzgebenden Versammlung in lauge" Debatten
abgerungen worden, deren zähe Konsequenz in den Zeitungen vielleicht nur
darum keine allgemeinere Anerkennung fand, weil die Gegner den Vertheidigern
den bei den Extremen der Reaction und Demokratie gleichermaßen verschenken
Namen der "Gothaer" beilegten, mit denen die rein locale Partei doch nur die
progressive Bewegung auf dein Gesctzcsbvdeu gemein hat. Die neuen organischen
Gesetze heben nun die Annahme von Beisassen auf, geben den Gemeindemitglie-
dern den Namen Bürger, erweitern einigermaßen die Staatsbürgerrechte der
Jsraeliten, bestimmen die Znlassungsfähigkeit der Franks. Staatsbürger zu den
öffentlichen Aemtern n. s. w. Es ist ein sehr mäßiger Vorschritt aus dem Rückschritt
unsres Verfassungölebens, aber es ist dennoch ein Zeichen, welche Resultate selbst


ö9*

Frankfurts Saison mores herrscht nicht, wie in anderen Städten im Hoch¬
sommer, sondern grade jetzt vor Herbstesanfang. Sie hängt größtentheils mit den
Bnndestagöserien und mit dem allmäligen Stillerwerden der Taunuöbäder zusammen.
Der Lärm des Meßbudcnbaueö vertreibt sie anch nicht, solange die Börse an
ihrer „flauen Haltung" festhält. Selbst Pischek vermag das Theater nicht zu
füllen und bei Herr Berlioz in der Allgem. Ztg. verherrlichten Tongcmälden
zeichnen sich vornämlich die Logen durch Leerheit ans. Unterdessen steigen die
LcbenSmittelprcise mit Konsequenz, während sie in allen Nachbarstaaten sinken
und trotz mancher Zcitnngöphantasieu von guten Meßhossnuugen weiß die wirkliche
Handelswelt nichts davon. Man erkennt es immermehr, die Zeiten der Messen
sind vorbei, weil ihre Nothwendigkeiten durch die modernen Verkehrsmittel beseitigt
sind. Die Frankfurter Messe gehört fast nur noch dem Kleinhandel und selbst
diesem mir für einen beschränkten Kreis von Artikeln und Ortschaften. Wo sich
nun alles so tief verwandelt hat, nimmt es sich seltsam genug ans, wenn unsre
Stadtbehörden plötzlich eine Verordnung vom Jahre 1798 von neuem in Kraft
rufen, um, wie alle Frankfurter Zünfte, so anch die der „ Schicbkärchcr" in
Schutz zu nehmen, auf daß niemand Packete oder Effecten in der Stadt von
einem zum andern Ort transportiren lassen dürfe, außer durch die Herrn „Schieb-
kärcher." Es gehört diese restaurirte Verordnung mit zur Charakteristik der
Tendenzen, welche hier die Oberhand haben. Es sah fast wie eine Versöhnung
aus, daß am gleichen Tage mit dieser Verordnung jene organischen Gesetze der
Bürgerschaft im Entwurf zur Abstimmung vorgelegt wurde», welche allerdings
schon von der Constitnlionsergänzungsacte des Jahres 1816 verheißen, aber
durch jene Buudeöbeschlüsse wieder abolirt worden waren, welche 18K1 und SA
die ganze 18i8 entstandene Verfassung aufhoben. Die Erfüllung der Constitu-
tionsergänznngsacte ist den Vätern des Vaterlandes nach der neuen Octroyirung
der alten Constitution von der gesetzgebenden Versammlung in lauge« Debatten
abgerungen worden, deren zähe Konsequenz in den Zeitungen vielleicht nur
darum keine allgemeinere Anerkennung fand, weil die Gegner den Vertheidigern
den bei den Extremen der Reaction und Demokratie gleichermaßen verschenken
Namen der „Gothaer" beilegten, mit denen die rein locale Partei doch nur die
progressive Bewegung auf dein Gesctzcsbvdeu gemein hat. Die neuen organischen
Gesetze heben nun die Annahme von Beisassen auf, geben den Gemeindemitglie-
dern den Namen Bürger, erweitern einigermaßen die Staatsbürgerrechte der
Jsraeliten, bestimmen die Znlassungsfähigkeit der Franks. Staatsbürger zu den
öffentlichen Aemtern n. s. w. Es ist ein sehr mäßiger Vorschritt aus dem Rückschritt
unsres Verfassungölebens, aber es ist dennoch ein Zeichen, welche Resultate selbst


ö9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96648"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1663" next="#ID_1664"> Frankfurts Saison mores herrscht nicht, wie in anderen Städten im Hoch¬<lb/>
sommer, sondern grade jetzt vor Herbstesanfang. Sie hängt größtentheils mit den<lb/>
Bnndestagöserien und mit dem allmäligen Stillerwerden der Taunuöbäder zusammen.<lb/>
Der Lärm des Meßbudcnbaueö vertreibt sie anch nicht, solange die Börse an<lb/>
ihrer &#x201E;flauen Haltung" festhält. Selbst Pischek vermag das Theater nicht zu<lb/>
füllen und bei Herr Berlioz in der Allgem. Ztg. verherrlichten Tongcmälden<lb/>
zeichnen sich vornämlich die Logen durch Leerheit ans. Unterdessen steigen die<lb/>
LcbenSmittelprcise mit Konsequenz, während sie in allen Nachbarstaaten sinken<lb/>
und trotz mancher Zcitnngöphantasieu von guten Meßhossnuugen weiß die wirkliche<lb/>
Handelswelt nichts davon. Man erkennt es immermehr, die Zeiten der Messen<lb/>
sind vorbei, weil ihre Nothwendigkeiten durch die modernen Verkehrsmittel beseitigt<lb/>
sind. Die Frankfurter Messe gehört fast nur noch dem Kleinhandel und selbst<lb/>
diesem mir für einen beschränkten Kreis von Artikeln und Ortschaften. Wo sich<lb/>
nun alles so tief verwandelt hat, nimmt es sich seltsam genug ans, wenn unsre<lb/>
Stadtbehörden plötzlich eine Verordnung vom Jahre 1798 von neuem in Kraft<lb/>
rufen, um, wie alle Frankfurter Zünfte, so anch die der &#x201E; Schicbkärchcr" in<lb/>
Schutz zu nehmen, auf daß niemand Packete oder Effecten in der Stadt von<lb/>
einem zum andern Ort transportiren lassen dürfe, außer durch die Herrn &#x201E;Schieb-<lb/>
kärcher." Es gehört diese restaurirte Verordnung mit zur Charakteristik der<lb/>
Tendenzen, welche hier die Oberhand haben. Es sah fast wie eine Versöhnung<lb/>
aus, daß am gleichen Tage mit dieser Verordnung jene organischen Gesetze der<lb/>
Bürgerschaft im Entwurf zur Abstimmung vorgelegt wurde», welche allerdings<lb/>
schon von der Constitnlionsergänzungsacte des Jahres 1816 verheißen, aber<lb/>
durch jene Buudeöbeschlüsse wieder abolirt worden waren, welche 18K1 und SA<lb/>
die ganze 18i8 entstandene Verfassung aufhoben. Die Erfüllung der Constitu-<lb/>
tionsergänznngsacte ist den Vätern des Vaterlandes nach der neuen Octroyirung<lb/>
der alten Constitution von der gesetzgebenden Versammlung in lauge« Debatten<lb/>
abgerungen worden, deren zähe Konsequenz in den Zeitungen vielleicht nur<lb/>
darum keine allgemeinere Anerkennung fand, weil die Gegner den Vertheidigern<lb/>
den bei den Extremen der Reaction und Demokratie gleichermaßen verschenken<lb/>
Namen der &#x201E;Gothaer" beilegten, mit denen die rein locale Partei doch nur die<lb/>
progressive Bewegung auf dein Gesctzcsbvdeu gemein hat. Die neuen organischen<lb/>
Gesetze heben nun die Annahme von Beisassen auf, geben den Gemeindemitglie-<lb/>
dern den Namen Bürger, erweitern einigermaßen die Staatsbürgerrechte der<lb/>
Jsraeliten, bestimmen die Znlassungsfähigkeit der Franks. Staatsbürger zu den<lb/>
öffentlichen Aemtern n. s. w. Es ist ein sehr mäßiger Vorschritt aus dem Rückschritt<lb/>
unsres Verfassungölebens, aber es ist dennoch ein Zeichen, welche Resultate selbst</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ö9*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] Frankfurts Saison mores herrscht nicht, wie in anderen Städten im Hoch¬ sommer, sondern grade jetzt vor Herbstesanfang. Sie hängt größtentheils mit den Bnndestagöserien und mit dem allmäligen Stillerwerden der Taunuöbäder zusammen. Der Lärm des Meßbudcnbaueö vertreibt sie anch nicht, solange die Börse an ihrer „flauen Haltung" festhält. Selbst Pischek vermag das Theater nicht zu füllen und bei Herr Berlioz in der Allgem. Ztg. verherrlichten Tongcmälden zeichnen sich vornämlich die Logen durch Leerheit ans. Unterdessen steigen die LcbenSmittelprcise mit Konsequenz, während sie in allen Nachbarstaaten sinken und trotz mancher Zcitnngöphantasieu von guten Meßhossnuugen weiß die wirkliche Handelswelt nichts davon. Man erkennt es immermehr, die Zeiten der Messen sind vorbei, weil ihre Nothwendigkeiten durch die modernen Verkehrsmittel beseitigt sind. Die Frankfurter Messe gehört fast nur noch dem Kleinhandel und selbst diesem mir für einen beschränkten Kreis von Artikeln und Ortschaften. Wo sich nun alles so tief verwandelt hat, nimmt es sich seltsam genug ans, wenn unsre Stadtbehörden plötzlich eine Verordnung vom Jahre 1798 von neuem in Kraft rufen, um, wie alle Frankfurter Zünfte, so anch die der „ Schicbkärchcr" in Schutz zu nehmen, auf daß niemand Packete oder Effecten in der Stadt von einem zum andern Ort transportiren lassen dürfe, außer durch die Herrn „Schieb- kärcher." Es gehört diese restaurirte Verordnung mit zur Charakteristik der Tendenzen, welche hier die Oberhand haben. Es sah fast wie eine Versöhnung aus, daß am gleichen Tage mit dieser Verordnung jene organischen Gesetze der Bürgerschaft im Entwurf zur Abstimmung vorgelegt wurde», welche allerdings schon von der Constitnlionsergänzungsacte des Jahres 1816 verheißen, aber durch jene Buudeöbeschlüsse wieder abolirt worden waren, welche 18K1 und SA die ganze 18i8 entstandene Verfassung aufhoben. Die Erfüllung der Constitu- tionsergänznngsacte ist den Vätern des Vaterlandes nach der neuen Octroyirung der alten Constitution von der gesetzgebenden Versammlung in lauge« Debatten abgerungen worden, deren zähe Konsequenz in den Zeitungen vielleicht nur darum keine allgemeinere Anerkennung fand, weil die Gegner den Vertheidigern den bei den Extremen der Reaction und Demokratie gleichermaßen verschenken Namen der „Gothaer" beilegten, mit denen die rein locale Partei doch nur die progressive Bewegung auf dein Gesctzcsbvdeu gemein hat. Die neuen organischen Gesetze heben nun die Annahme von Beisassen auf, geben den Gemeindemitglie- dern den Namen Bürger, erweitern einigermaßen die Staatsbürgerrechte der Jsraeliten, bestimmen die Znlassungsfähigkeit der Franks. Staatsbürger zu den öffentlichen Aemtern n. s. w. Es ist ein sehr mäßiger Vorschritt aus dem Rückschritt unsres Verfassungölebens, aber es ist dennoch ein Zeichen, welche Resultate selbst ö9*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/473>, abgerufen am 06.05.2024.