Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die politischen Zustände in den Niederlanden.
i.

Die jüngste politisch-religiöse Krisis, die den Sturz des Ministeriums Thor-
becke veranlaßte, hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Vorgänge in den Nie¬
derlanden gelenkt, denen man bis dahin sehr wenig Beachtung gewidmet hat. Der
Zweck der folgenden Zeilen ist es, das Verständniß für diese Verhältnisse zu vermitteln.

Das heutige politische Leben des niederländischen Volkes wurzelt noch in den
Parteiungen, die sich schon in den Jahrhunderten der Republik seit der Losreißung
von Spanien bekämpft haben. Die Restauration von die das Haus

Oranien mit der Königswürde bekleidete, hatte den Monarchisten das Uebergewicht
über die aristokratischen und demokratische" Elemente verliehen. Die Opposition
der letztern gewann wieder an Macht und Einfluß nach der Abtrennung Belgiens,
welche den holländischen Volksgeist in Aufregung brachte und die Staatsfinanzen
schwer belastete.

Es bestanden schon damals und bestehen jetzt noch deutlicher folgende poli¬
tische Hauptparteien, Repräsentanten, Schattirungen oder Koalitionen der obigen
drei politischen Principien, untermischt mit den Verschiedenheiten der religiösen
Ansichten: nämlich die reformirte oranische, die aristokratische altliberale und die
demokratische katholische.

Die erste, welche sich gegenwärtig die antirevolutionäre "christlich-historische"
nennt, von ihren Gegnern die "theokratische" genannt wird, führt den Wahl¬
spruch: "Niederland und Oranien," und hat ihre Kräfte in dem orthodoxen Reformir-
tenthum, den oranischen Erinnerungen, und in allen denen, welche den letzten Schutz
vor dem revolutionären Radikalismus im Absolutismus sehen. Die gegenwärtigen
Führer der Partei sind der geistreiche Schriftsteller und persönlich höchst achtungs-
werthe Groen von Prinsterer und der Baron Mackay, und die Zahl ihrer An¬
hänger ist im fortwährenden Wachsen begriffen, weil der Pietismus nicht blos in den
höchsten Classen der Bevölkerung zunimmt, was theils in den allgemeinen, auch
in den andern europäischen Staaten wirkenden, politischen und religiösen Ent-


Greuzboten. III. 18L3. 6
Die politischen Zustände in den Niederlanden.
i.

Die jüngste politisch-religiöse Krisis, die den Sturz des Ministeriums Thor-
becke veranlaßte, hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Vorgänge in den Nie¬
derlanden gelenkt, denen man bis dahin sehr wenig Beachtung gewidmet hat. Der
Zweck der folgenden Zeilen ist es, das Verständniß für diese Verhältnisse zu vermitteln.

Das heutige politische Leben des niederländischen Volkes wurzelt noch in den
Parteiungen, die sich schon in den Jahrhunderten der Republik seit der Losreißung
von Spanien bekämpft haben. Die Restauration von die das Haus

Oranien mit der Königswürde bekleidete, hatte den Monarchisten das Uebergewicht
über die aristokratischen und demokratische» Elemente verliehen. Die Opposition
der letztern gewann wieder an Macht und Einfluß nach der Abtrennung Belgiens,
welche den holländischen Volksgeist in Aufregung brachte und die Staatsfinanzen
schwer belastete.

Es bestanden schon damals und bestehen jetzt noch deutlicher folgende poli¬
tische Hauptparteien, Repräsentanten, Schattirungen oder Koalitionen der obigen
drei politischen Principien, untermischt mit den Verschiedenheiten der religiösen
Ansichten: nämlich die reformirte oranische, die aristokratische altliberale und die
demokratische katholische.

Die erste, welche sich gegenwärtig die antirevolutionäre „christlich-historische"
nennt, von ihren Gegnern die „theokratische" genannt wird, führt den Wahl¬
spruch: „Niederland und Oranien," und hat ihre Kräfte in dem orthodoxen Reformir-
tenthum, den oranischen Erinnerungen, und in allen denen, welche den letzten Schutz
vor dem revolutionären Radikalismus im Absolutismus sehen. Die gegenwärtigen
Führer der Partei sind der geistreiche Schriftsteller und persönlich höchst achtungs-
werthe Groen von Prinsterer und der Baron Mackay, und die Zahl ihrer An¬
hänger ist im fortwährenden Wachsen begriffen, weil der Pietismus nicht blos in den
höchsten Classen der Bevölkerung zunimmt, was theils in den allgemeinen, auch
in den andern europäischen Staaten wirkenden, politischen und religiösen Ent-


Greuzboten. III. 18L3. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96224"/>
        <div n="1">
          <head> Die politischen Zustände in den Niederlanden.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> i.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_125"> Die jüngste politisch-religiöse Krisis, die den Sturz des Ministeriums Thor-<lb/>
becke veranlaßte, hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Vorgänge in den Nie¬<lb/>
derlanden gelenkt, denen man bis dahin sehr wenig Beachtung gewidmet hat. Der<lb/>
Zweck der folgenden Zeilen ist es, das Verständniß für diese Verhältnisse zu vermitteln.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_126"> Das heutige politische Leben des niederländischen Volkes wurzelt noch in den<lb/>
Parteiungen, die sich schon in den Jahrhunderten der Republik seit der Losreißung<lb/>
von Spanien bekämpft haben.  Die Restauration von die das Haus</p><lb/>
            <p xml:id="ID_127"> Oranien mit der Königswürde bekleidete, hatte den Monarchisten das Uebergewicht<lb/>
über die aristokratischen und demokratische» Elemente verliehen. Die Opposition<lb/>
der letztern gewann wieder an Macht und Einfluß nach der Abtrennung Belgiens,<lb/>
welche den holländischen Volksgeist in Aufregung brachte und die Staatsfinanzen<lb/>
schwer belastete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_128"> Es bestanden schon damals und bestehen jetzt noch deutlicher folgende poli¬<lb/>
tische Hauptparteien, Repräsentanten, Schattirungen oder Koalitionen der obigen<lb/>
drei politischen Principien, untermischt mit den Verschiedenheiten der religiösen<lb/>
Ansichten: nämlich die reformirte oranische, die aristokratische altliberale und die<lb/>
demokratische katholische.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_129" next="#ID_130"> Die erste, welche sich gegenwärtig die antirevolutionäre &#x201E;christlich-historische"<lb/>
nennt, von ihren Gegnern die &#x201E;theokratische" genannt wird, führt den Wahl¬<lb/>
spruch: &#x201E;Niederland und Oranien," und hat ihre Kräfte in dem orthodoxen Reformir-<lb/>
tenthum, den oranischen Erinnerungen, und in allen denen, welche den letzten Schutz<lb/>
vor dem revolutionären Radikalismus im Absolutismus sehen. Die gegenwärtigen<lb/>
Führer der Partei sind der geistreiche Schriftsteller und persönlich höchst achtungs-<lb/>
werthe Groen von Prinsterer und der Baron Mackay, und die Zahl ihrer An¬<lb/>
hänger ist im fortwährenden Wachsen begriffen, weil der Pietismus nicht blos in den<lb/>
höchsten Classen der Bevölkerung zunimmt, was theils in den allgemeinen, auch<lb/>
in den andern europäischen Staaten wirkenden, politischen und religiösen Ent-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Greuzboten. III. 18L3. 6</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Die politischen Zustände in den Niederlanden. i. Die jüngste politisch-religiöse Krisis, die den Sturz des Ministeriums Thor- becke veranlaßte, hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Vorgänge in den Nie¬ derlanden gelenkt, denen man bis dahin sehr wenig Beachtung gewidmet hat. Der Zweck der folgenden Zeilen ist es, das Verständniß für diese Verhältnisse zu vermitteln. Das heutige politische Leben des niederländischen Volkes wurzelt noch in den Parteiungen, die sich schon in den Jahrhunderten der Republik seit der Losreißung von Spanien bekämpft haben. Die Restauration von die das Haus Oranien mit der Königswürde bekleidete, hatte den Monarchisten das Uebergewicht über die aristokratischen und demokratische» Elemente verliehen. Die Opposition der letztern gewann wieder an Macht und Einfluß nach der Abtrennung Belgiens, welche den holländischen Volksgeist in Aufregung brachte und die Staatsfinanzen schwer belastete. Es bestanden schon damals und bestehen jetzt noch deutlicher folgende poli¬ tische Hauptparteien, Repräsentanten, Schattirungen oder Koalitionen der obigen drei politischen Principien, untermischt mit den Verschiedenheiten der religiösen Ansichten: nämlich die reformirte oranische, die aristokratische altliberale und die demokratische katholische. Die erste, welche sich gegenwärtig die antirevolutionäre „christlich-historische" nennt, von ihren Gegnern die „theokratische" genannt wird, führt den Wahl¬ spruch: „Niederland und Oranien," und hat ihre Kräfte in dem orthodoxen Reformir- tenthum, den oranischen Erinnerungen, und in allen denen, welche den letzten Schutz vor dem revolutionären Radikalismus im Absolutismus sehen. Die gegenwärtigen Führer der Partei sind der geistreiche Schriftsteller und persönlich höchst achtungs- werthe Groen von Prinsterer und der Baron Mackay, und die Zahl ihrer An¬ hänger ist im fortwährenden Wachsen begriffen, weil der Pietismus nicht blos in den höchsten Classen der Bevölkerung zunimmt, was theils in den allgemeinen, auch in den andern europäischen Staaten wirkenden, politischen und religiösen Ent- Greuzboten. III. 18L3. 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/49>, abgerufen am 06.05.2024.