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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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til die Flanken decken und erst in der letzten Alternative dafür das Schwert
ziehen. Denn mit dieser Art zuwartender Politik würde Preußen, insofern es
nicht schon früher die russischen Ansprüche zum Obsiegen brächte, schließlich sich
doch sür oder gegen erklären müsse", und da dürste nach der Kreuzzeitung seine
Entscheidung nnr für Rußland ausfallen. Zuweilen verdreht das fromme Blatt
auch nach altbeliebter Art die Augen und faßt die Frage von der christlichen
Seite auf. Preußen, sagte es an einer Stelle, dürfe in keinem Fall für Maho-
med und gegen Christum fechten, eine Albernheit, wie wir uns in der That nicht
erinnern, selbst je im Rnndschauer eine gleiche gelesen zu haben. Selbst wenn
wirklicher Fanatismus eine Partei die Rücksichten ans Land und Volk bei Seite
werfen läßt, wird sie dem gerechtesten Verbiet nicht entgehen. Wie soll man
aber die plumpe Komödie bezeichnen, die unter dem Deckmantel eines erheuchel¬
ten Fanatismus den Zwecken einer vaterlandsfeindlichen Selbstsucht fröhnt?

Die Kreuzzeitung hat, als sie die Rückkehr Preußens in das östreichische
Bündniß befürwortete oder vielmehr anpries -- und wir wollen hier nicht er¬
wähnen, mit welchen Opfern prenßischerseits sie vollzogen wurde -- unaufhörlich
vou den Vortheilen gefabelt, die für beide Mächte wie für ganz Deutschland
daraus' hervorgehen würden. Wir sehen je.tzt, wie sie diese Vortheile verstanden
hat. Nicht die Emancipation der beiden großen deutschen Cabinete von dem
Einfluß Rußlands wollte sie damit erzielen, nein, sie suchte nur die Garantie
darin, diesen Einfluß zu festigen und nnbrechbar zu machen. Denn wer den
deutschen Großmächten zumuthen kann, in dieser Lebensfrage europäischer Politik
Rußland deu Steigbügel zu halten, ihm den Weg zu einer Universalmonarchie
zu bahnen, die drückender, als die des spanischen Philipp, und dauernder, als die
Napoleonische auf Europa und namentlich auf Deutschland lasten würde, wer von
ihnen verlangt, die Unabhängigkeit unserer Nachkommen der moskowitischen Lar-
dergier zu überantworten, der muß von einer Solidarität zwischen Deutschland
und Rußland ausgehen, die keine Ausnahmen gestattet. Und diese Menschen
wagen es noch, den Namen Friedrichs des Großen in den M""d zu nehme",
der den letzten Mann und den letzten Thaler eher daran gesetzt hätte, als daß
er den Russen die Straße nach Konstantinopel chüele.




Die orientalische Verwickelung nimmt immer noch die öffentliche Auf¬
merksamkeit vorwiegend in Anspruch und alle inneren Angelegenheiten treten
vor ihr in den Hintergrund. Das Rundschreiben Nesselrodes an die russischen
Gesandtschaften ist jetzt auch in England bekannt geworden, und wird lebhaft


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til die Flanken decken und erst in der letzten Alternative dafür das Schwert
ziehen. Denn mit dieser Art zuwartender Politik würde Preußen, insofern es
nicht schon früher die russischen Ansprüche zum Obsiegen brächte, schließlich sich
doch sür oder gegen erklären müsse», und da dürste nach der Kreuzzeitung seine
Entscheidung nnr für Rußland ausfallen. Zuweilen verdreht das fromme Blatt
auch nach altbeliebter Art die Augen und faßt die Frage von der christlichen
Seite auf. Preußen, sagte es an einer Stelle, dürfe in keinem Fall für Maho-
med und gegen Christum fechten, eine Albernheit, wie wir uns in der That nicht
erinnern, selbst je im Rnndschauer eine gleiche gelesen zu haben. Selbst wenn
wirklicher Fanatismus eine Partei die Rücksichten ans Land und Volk bei Seite
werfen läßt, wird sie dem gerechtesten Verbiet nicht entgehen. Wie soll man
aber die plumpe Komödie bezeichnen, die unter dem Deckmantel eines erheuchel¬
ten Fanatismus den Zwecken einer vaterlandsfeindlichen Selbstsucht fröhnt?

Die Kreuzzeitung hat, als sie die Rückkehr Preußens in das östreichische
Bündniß befürwortete oder vielmehr anpries — und wir wollen hier nicht er¬
wähnen, mit welchen Opfern prenßischerseits sie vollzogen wurde — unaufhörlich
vou den Vortheilen gefabelt, die für beide Mächte wie für ganz Deutschland
daraus' hervorgehen würden. Wir sehen je.tzt, wie sie diese Vortheile verstanden
hat. Nicht die Emancipation der beiden großen deutschen Cabinete von dem
Einfluß Rußlands wollte sie damit erzielen, nein, sie suchte nur die Garantie
darin, diesen Einfluß zu festigen und nnbrechbar zu machen. Denn wer den
deutschen Großmächten zumuthen kann, in dieser Lebensfrage europäischer Politik
Rußland deu Steigbügel zu halten, ihm den Weg zu einer Universalmonarchie
zu bahnen, die drückender, als die des spanischen Philipp, und dauernder, als die
Napoleonische auf Europa und namentlich auf Deutschland lasten würde, wer von
ihnen verlangt, die Unabhängigkeit unserer Nachkommen der moskowitischen Lar-
dergier zu überantworten, der muß von einer Solidarität zwischen Deutschland
und Rußland ausgehen, die keine Ausnahmen gestattet. Und diese Menschen
wagen es noch, den Namen Friedrichs des Großen in den M»»d zu nehme»,
der den letzten Mann und den letzten Thaler eher daran gesetzt hätte, als daß
er den Russen die Straße nach Konstantinopel chüele.




Die orientalische Verwickelung nimmt immer noch die öffentliche Auf¬
merksamkeit vorwiegend in Anspruch und alle inneren Angelegenheiten treten
vor ihr in den Hintergrund. Das Rundschreiben Nesselrodes an die russischen
Gesandtschaften ist jetzt auch in England bekannt geworden, und wird lebhaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/83>, abgerufen am 06.05.2024.