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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Aesthetik des Häßlichen.
Von Kcirl Rosenkranz.
( Bornträger.)

Um unsere Leser zu orientiren, und die falsche Vorstellung, die sie sich etwa
aus unserm Tadel bilden könnten, von vornherein zu beseitigen, schicken wir
hier gleich voraus, daß wir es mit einem interessanten, geistvollen und schö¬
nen Werk zu thun haben, einem Werk, das trotz seiner Mangel, die zuweilen
freilich sehr arg sind, wesentlich die Literatur fördern wird, und das von keinem
umgangen werden darf, der sich überhaupt mit ästhetischen Dingen beschäftigt,
und sich darin auf der Höhe der Bildung erhalten will.

Machen wir uus zunächst den Gegenstand klar. Es ist das um so noth¬
wendiger, da ein großer Theil des Publicums in der That über den Titel stutzig
geworden ist, und da der Verfasser selbst, nach der Vorrede zu schließen, sein
Bedenken dabei gehabt hat.

Der Zweck der Kunst ist unstreitig die Hervorbringung des Schönen. Nun
ist aber seit den ältesten Zeiten von den Künstlern auch das Häßliche in An¬
wendung gebracht worden, und es muß daher untersucht werden, inwiefern es
möglich ist, dnrch diese scheinbare Abweichung vom Ziel, das Ziel um so sicherer
zu erreichen. Neben dieser theoretischen Frage, inwiefern überhaupt das Hä߬
liche Gegenstand der Kunst werden kann, stellt sich namentlich in unserer Zeit,
wo in der Malerei, in der Poesie und in der Musik ganz unzweifelhaft diese
Berechtigung der Kunst übertrieben wird, so übertrieben, daß man bei manchen
Kunstschulen zum Motto den Spruch der Macbeth'schen Hexen wählen könnte:
"Schön ist häßlich, häßlich schön," die zweite mehr an's praktische streifende
Frage heraus: wie weit und unter welchen Bedingungen ist es der Kunst erlaubt,
das Häßliche zu ihrem Gegenstand zu machen? -- Diese beiden Fragen würden
den Gegenstand anzeigen, mit dem eine Aesthetik des Häßlichen sich zu beschäftigen


Grenzboten. Ul. 4 8S3. 1
Aesthetik des Häßlichen.
Von Kcirl Rosenkranz.
( Bornträger.)

Um unsere Leser zu orientiren, und die falsche Vorstellung, die sie sich etwa
aus unserm Tadel bilden könnten, von vornherein zu beseitigen, schicken wir
hier gleich voraus, daß wir es mit einem interessanten, geistvollen und schö¬
nen Werk zu thun haben, einem Werk, das trotz seiner Mangel, die zuweilen
freilich sehr arg sind, wesentlich die Literatur fördern wird, und das von keinem
umgangen werden darf, der sich überhaupt mit ästhetischen Dingen beschäftigt,
und sich darin auf der Höhe der Bildung erhalten will.

Machen wir uus zunächst den Gegenstand klar. Es ist das um so noth¬
wendiger, da ein großer Theil des Publicums in der That über den Titel stutzig
geworden ist, und da der Verfasser selbst, nach der Vorrede zu schließen, sein
Bedenken dabei gehabt hat.

Der Zweck der Kunst ist unstreitig die Hervorbringung des Schönen. Nun
ist aber seit den ältesten Zeiten von den Künstlern auch das Häßliche in An¬
wendung gebracht worden, und es muß daher untersucht werden, inwiefern es
möglich ist, dnrch diese scheinbare Abweichung vom Ziel, das Ziel um so sicherer
zu erreichen. Neben dieser theoretischen Frage, inwiefern überhaupt das Hä߬
liche Gegenstand der Kunst werden kann, stellt sich namentlich in unserer Zeit,
wo in der Malerei, in der Poesie und in der Musik ganz unzweifelhaft diese
Berechtigung der Kunst übertrieben wird, so übertrieben, daß man bei manchen
Kunstschulen zum Motto den Spruch der Macbeth'schen Hexen wählen könnte:
„Schön ist häßlich, häßlich schön," die zweite mehr an's praktische streifende
Frage heraus: wie weit und unter welchen Bedingungen ist es der Kunst erlaubt,
das Häßliche zu ihrem Gegenstand zu machen? — Diese beiden Fragen würden
den Gegenstand anzeigen, mit dem eine Aesthetik des Häßlichen sich zu beschäftigen


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[0009] Aesthetik des Häßlichen. Von Kcirl Rosenkranz. ( Bornträger.) Um unsere Leser zu orientiren, und die falsche Vorstellung, die sie sich etwa aus unserm Tadel bilden könnten, von vornherein zu beseitigen, schicken wir hier gleich voraus, daß wir es mit einem interessanten, geistvollen und schö¬ nen Werk zu thun haben, einem Werk, das trotz seiner Mangel, die zuweilen freilich sehr arg sind, wesentlich die Literatur fördern wird, und das von keinem umgangen werden darf, der sich überhaupt mit ästhetischen Dingen beschäftigt, und sich darin auf der Höhe der Bildung erhalten will. Machen wir uus zunächst den Gegenstand klar. Es ist das um so noth¬ wendiger, da ein großer Theil des Publicums in der That über den Titel stutzig geworden ist, und da der Verfasser selbst, nach der Vorrede zu schließen, sein Bedenken dabei gehabt hat. Der Zweck der Kunst ist unstreitig die Hervorbringung des Schönen. Nun ist aber seit den ältesten Zeiten von den Künstlern auch das Häßliche in An¬ wendung gebracht worden, und es muß daher untersucht werden, inwiefern es möglich ist, dnrch diese scheinbare Abweichung vom Ziel, das Ziel um so sicherer zu erreichen. Neben dieser theoretischen Frage, inwiefern überhaupt das Hä߬ liche Gegenstand der Kunst werden kann, stellt sich namentlich in unserer Zeit, wo in der Malerei, in der Poesie und in der Musik ganz unzweifelhaft diese Berechtigung der Kunst übertrieben wird, so übertrieben, daß man bei manchen Kunstschulen zum Motto den Spruch der Macbeth'schen Hexen wählen könnte: „Schön ist häßlich, häßlich schön," die zweite mehr an's praktische streifende Frage heraus: wie weit und unter welchen Bedingungen ist es der Kunst erlaubt, das Häßliche zu ihrem Gegenstand zu machen? — Diese beiden Fragen würden den Gegenstand anzeigen, mit dem eine Aesthetik des Häßlichen sich zu beschäftigen Grenzboten. Ul. 4 8S3. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/9>, abgerufen am 06.05.2024.