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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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hätte, wenn man unter Aesthetik nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche, ganz
abgesehen von der Etymologie des Worts, die Theorie der Kunst versteht.

Im allgemeinen ist das anch der Plan gewesen, der Herrn Rosenkranz vor¬
geschwebt hat, allein er hat ihn nicht streng festgehalten. Abgesehen von einzelnen
Excursen, die mit der Aesthetik des Häßlichen überhaupt nichts zu thun haben,
über die wir aber mit dem Versasser nicht rechten wollen, da sie an sich betrachtet,
zum Theil recht interessante Dinge enthalten, und von denen wir nnr gewünscht
hätten, daß sie in die Anmerkungen verlegt wären, zieht sich durch das ganze
Buch ein Nebengedanke, der die logische Entwickelung verwirrt. Das Häßliche
wird nämlich nicht nnr betrachtet insofern es Gegenstand der Kunst werden kann,
sondern auch an sich, als Prädicat im allgemeinen, und so handelt nicht blos
der ganze zweite Abschnitt "die Jncorrectheit" über einen ganz andern Gegenstand
als ihn im übrigen das Werk sich vorgesetzt hat, sondern auch im ersten Ab¬
schnitt ist mehres mit der Tendenz des Buches nicht zu vereinbaren. Wollte
der Verfasser eine Theorie des Häßlichen überhaupt schreiben, so wäre weniger
dagegen einzuwenden gewesen, dann hätten wir ein ganz anderes Buch erhal¬
ten; in einer Aesthetik des Häßlichen konnten aber diese Gesichtspunkte nur
verwirrend einwirken.

Wir würden diese Ausstellung nicht so scharf hervorgehoben haben, wenn sie
nicht einen tieferen Grund hätte, wenn sie nicht mit einer falschen Theorie der
Aesthetik zusammenhinge, die man seit Kant, Schiller und Hegel kaum mehr für
möglich halten sollte, die aber doch durch die berühmtesten Aesthetiker der letzten
Jahre z. B. durch Bischer wieder verkündet wird, und gegen die man nicht ernst¬
lich genug ankämpfen kann. Um dies zu begründen, müssen wir etwas weiter aus¬
holen, um so mehr, da es sich um Begriffe handelt, die so biegsam sind, daß
man alles mögliche darunter verstehen kann: die Begriffe "Objectiv" und
"subjectiv".

Wir erinnern zunächst an die Definition, welche Kant vom Schönen gegeben
hat: Schön ist, was ein interesseloses Wohlgefallen erregt; was als nothwendiger
Gegenstand eines interesselosen Wohlgefallens erkannt wird. -- Wir gebrauchten
den Ausdruck "Definition", weil er der geläufigste ist, obgleich er uur uneigentlich
angewandt werden kann, denu wer nicht vorher weiß, was schön ist, der wird es
nicht daraus erfahren. Philosophische Definitionen haben überhaupt nicht den
Zweck, neue Begriffe zu erklären, sondern nur den, alte Begriffe zu analysiren,
d. h. die Menschen darauf anfmerkscuu zu machen, was bei diesem bestimmten Begriff
für ein Denkproceß in ihnen vorgeht, und was für Verwechselungen sie dabei zu
vermeiden haben. In jener Kant'schen Definition sind alle Momente im Begriff
deS Schönen mit vollkommener Klarheit und Schärfe ausgedrückt. Einmal muß
das Wohlgefallen ein interesseloses sein; pathologische Zustände, Furcht, Be¬
gierde u. s. w. schließen die ästhetische Empfindung ans. Wir wollen an diesen


hätte, wenn man unter Aesthetik nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche, ganz
abgesehen von der Etymologie des Worts, die Theorie der Kunst versteht.

Im allgemeinen ist das anch der Plan gewesen, der Herrn Rosenkranz vor¬
geschwebt hat, allein er hat ihn nicht streng festgehalten. Abgesehen von einzelnen
Excursen, die mit der Aesthetik des Häßlichen überhaupt nichts zu thun haben,
über die wir aber mit dem Versasser nicht rechten wollen, da sie an sich betrachtet,
zum Theil recht interessante Dinge enthalten, und von denen wir nnr gewünscht
hätten, daß sie in die Anmerkungen verlegt wären, zieht sich durch das ganze
Buch ein Nebengedanke, der die logische Entwickelung verwirrt. Das Häßliche
wird nämlich nicht nnr betrachtet insofern es Gegenstand der Kunst werden kann,
sondern auch an sich, als Prädicat im allgemeinen, und so handelt nicht blos
der ganze zweite Abschnitt „die Jncorrectheit" über einen ganz andern Gegenstand
als ihn im übrigen das Werk sich vorgesetzt hat, sondern auch im ersten Ab¬
schnitt ist mehres mit der Tendenz des Buches nicht zu vereinbaren. Wollte
der Verfasser eine Theorie des Häßlichen überhaupt schreiben, so wäre weniger
dagegen einzuwenden gewesen, dann hätten wir ein ganz anderes Buch erhal¬
ten; in einer Aesthetik des Häßlichen konnten aber diese Gesichtspunkte nur
verwirrend einwirken.

Wir würden diese Ausstellung nicht so scharf hervorgehoben haben, wenn sie
nicht einen tieferen Grund hätte, wenn sie nicht mit einer falschen Theorie der
Aesthetik zusammenhinge, die man seit Kant, Schiller und Hegel kaum mehr für
möglich halten sollte, die aber doch durch die berühmtesten Aesthetiker der letzten
Jahre z. B. durch Bischer wieder verkündet wird, und gegen die man nicht ernst¬
lich genug ankämpfen kann. Um dies zu begründen, müssen wir etwas weiter aus¬
holen, um so mehr, da es sich um Begriffe handelt, die so biegsam sind, daß
man alles mögliche darunter verstehen kann: die Begriffe „Objectiv" und
„subjectiv".

Wir erinnern zunächst an die Definition, welche Kant vom Schönen gegeben
hat: Schön ist, was ein interesseloses Wohlgefallen erregt; was als nothwendiger
Gegenstand eines interesselosen Wohlgefallens erkannt wird. — Wir gebrauchten
den Ausdruck „Definition", weil er der geläufigste ist, obgleich er uur uneigentlich
angewandt werden kann, denu wer nicht vorher weiß, was schön ist, der wird es
nicht daraus erfahren. Philosophische Definitionen haben überhaupt nicht den
Zweck, neue Begriffe zu erklären, sondern nur den, alte Begriffe zu analysiren,
d. h. die Menschen darauf anfmerkscuu zu machen, was bei diesem bestimmten Begriff
für ein Denkproceß in ihnen vorgeht, und was für Verwechselungen sie dabei zu
vermeiden haben. In jener Kant'schen Definition sind alle Momente im Begriff
deS Schönen mit vollkommener Klarheit und Schärfe ausgedrückt. Einmal muß
das Wohlgefallen ein interesseloses sein; pathologische Zustände, Furcht, Be¬
gierde u. s. w. schließen die ästhetische Empfindung ans. Wir wollen an diesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/10>, abgerufen am 27.05.2024.