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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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daß wir es nicht weiter ausführen dürfen. Wir machen nnr noch anf den Plan
z"in "Demetrius" aufmerksam, in dem die dämonische Macht des Verhängnisses
anf eine höchst poetische Weise durchgeführt wird. Demetrius handelt in dem
guten Glauben seines Rechts und muß nun plötzlich erfahren, daß dieses Recht
anf einem Irrthum beruht, daß er also eine Schuld auf seine Seele geladen
hat, die er nicht wieder abschütteln kaun, die ihn daher zu neuen Verbrechen
treibt. So wird durch das Verhängniß der Charakter umgekehrt. Die Idee
ist grandios, und das Stück hätte vielleicht das glänzendste vou Schiller werden
können, wenn wir nicht ein Bedenken dagegen hätten. Schillers Talent zeigt
sich nicht grade am bedeutendsten in diesen feineren und kühnerem Motivirungen.
Der große Monolog im Teil, in welchem der redliche einfache schweizer Bauer
seinen Entschluß motivirt, ein Mörder zu werden, und die nachträgliche Recht¬
fertigung dieses Entschlusses im Gespräch mit Parricida find das Schwächste an
dem ganzen Stück. Im Tel! wollte dieser Mangel nicht soviel sagen, weil unsere
Aufmerksamkeit in diesem ganz anf Zustände und Ereignisse eingerichteten Drama
sich am wenigsten auf die psychologische Motivirung wendet, aber dem Demetrius
hätte dadurch die Spitze abgebrochen werden können. -- Daß Schiller anch im
übrigen die Schicksalsidee, d. h. die Idee von der Macht des Verhängnisses
über den freien Willen, als künstlerisches Ideal vorschwebte, können wir aus fast
allen seinen hinterlassenen Entwürfen herauserkennen. Die Dichter, die ans seiner
Schule hervorgingen und seine Ideen ins Fratzenhafte verkehrten, haben wir
bereits früher besprochen. In der neuern Tragödie hat sich eine andere Form
des Dämonischen eingeführt, auf die wir noch einmal näher eingehen werden.




Zur Kornhandelsfrage.

Die gegenwärtig schwebende, oder vielmehr wol bereits erledigte Korn-
handelösrage gibt uns zu einigen nachträglichen und resnmirendcn Bemerkungen
Anlaß. Nicht daß wir die gründlichen und allseitigen Erörterungen des Prin¬
cips, von denen die deutsche Presse in den letzten Monaten überfloß, um eine
weitere, noch gründlichere und umfassendere Auseinandersetzung zu vermehren ge¬
dächten. In der Theorie sind fast alle streitigen Punkte dieses Capitels eigent¬
lich schon seit Adam Smith, also seit einem halben Jahrhundert zu GNnsten der
freien Bewegung auch auf diesem concreten und sehr wichtige" Gebiet entschieden.
Dem wissenschaftlich gebildeten Politiker können die Allarmrnfe socialistischer oder
reaktionärer Demagogen im kleinsten Stil, kann das vulgäre Geschrei gegen den
Kornwucher unmöglich in einem andern Licht erscheinen, als etwa den Aufgeklär¬
ten des fünfzehnten Jahrhunderts die populären Leidenschaften gegen arme Hexen


daß wir es nicht weiter ausführen dürfen. Wir machen nnr noch anf den Plan
z»in „Demetrius" aufmerksam, in dem die dämonische Macht des Verhängnisses
anf eine höchst poetische Weise durchgeführt wird. Demetrius handelt in dem
guten Glauben seines Rechts und muß nun plötzlich erfahren, daß dieses Recht
anf einem Irrthum beruht, daß er also eine Schuld auf seine Seele geladen
hat, die er nicht wieder abschütteln kaun, die ihn daher zu neuen Verbrechen
treibt. So wird durch das Verhängniß der Charakter umgekehrt. Die Idee
ist grandios, und das Stück hätte vielleicht das glänzendste vou Schiller werden
können, wenn wir nicht ein Bedenken dagegen hätten. Schillers Talent zeigt
sich nicht grade am bedeutendsten in diesen feineren und kühnerem Motivirungen.
Der große Monolog im Teil, in welchem der redliche einfache schweizer Bauer
seinen Entschluß motivirt, ein Mörder zu werden, und die nachträgliche Recht¬
fertigung dieses Entschlusses im Gespräch mit Parricida find das Schwächste an
dem ganzen Stück. Im Tel! wollte dieser Mangel nicht soviel sagen, weil unsere
Aufmerksamkeit in diesem ganz anf Zustände und Ereignisse eingerichteten Drama
sich am wenigsten auf die psychologische Motivirung wendet, aber dem Demetrius
hätte dadurch die Spitze abgebrochen werden können. — Daß Schiller anch im
übrigen die Schicksalsidee, d. h. die Idee von der Macht des Verhängnisses
über den freien Willen, als künstlerisches Ideal vorschwebte, können wir aus fast
allen seinen hinterlassenen Entwürfen herauserkennen. Die Dichter, die ans seiner
Schule hervorgingen und seine Ideen ins Fratzenhafte verkehrten, haben wir
bereits früher besprochen. In der neuern Tragödie hat sich eine andere Form
des Dämonischen eingeführt, auf die wir noch einmal näher eingehen werden.




Zur Kornhandelsfrage.

Die gegenwärtig schwebende, oder vielmehr wol bereits erledigte Korn-
handelösrage gibt uns zu einigen nachträglichen und resnmirendcn Bemerkungen
Anlaß. Nicht daß wir die gründlichen und allseitigen Erörterungen des Prin¬
cips, von denen die deutsche Presse in den letzten Monaten überfloß, um eine
weitere, noch gründlichere und umfassendere Auseinandersetzung zu vermehren ge¬
dächten. In der Theorie sind fast alle streitigen Punkte dieses Capitels eigent¬
lich schon seit Adam Smith, also seit einem halben Jahrhundert zu GNnsten der
freien Bewegung auch auf diesem concreten und sehr wichtige» Gebiet entschieden.
Dem wissenschaftlich gebildeten Politiker können die Allarmrnfe socialistischer oder
reaktionärer Demagogen im kleinsten Stil, kann das vulgäre Geschrei gegen den
Kornwucher unmöglich in einem andern Licht erscheinen, als etwa den Aufgeklär¬
ten des fünfzehnten Jahrhunderts die populären Leidenschaften gegen arme Hexen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/31>, abgerufen am 19.05.2024.