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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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oder Juden, denen freilich in einer grausamen Zeit manche Zügellosigkeiten und
Greuel der Praxis entsprangen, welche unter den milderen Sitten der Gegenwart
keine Aussicht auf Erneuerung mehr habe". So groß die diesjährige Aufregung
über die drohende oder doch befürchtete Theuerung auch an vielen Orten wieder
war, so zeigte es sich doch bald, daß es sich lange nicht so sehr "in die theore¬
tische Verhandlung des Gegenstandes, als vielmehr darum handelte, einige längst
ausgemachte Wahrheiten der volkswirthschaftliche" Erkenntniß mit den blinden
Vorurtheilen einer urtheilslosen Menge, leider aber auch hier und da mit dem
verkehrten Eifer einzelner Behörden zu vermitteln. Diejenigen, welche der Sache
schon früher ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatten, als die öffentliche Bewegung
unsre vaterländische Journalistik dazu zwang, etwa im Jahr der europäischen
Theuerung -I8i7, hatte" vermuthlich alle Roschers damals entstandenes, unzwei¬
felhaft classisches Buch gelesen und konnten demgemäß weder politische, noch öko¬
nomische Zweifel mehr gegen den freien Gctreidehandel hegen. Die gebildeten
Kreise Deutschlands sind offenbar mit großer Schnelligkeit von diesen Trägern
der hierher gehörigen Einsicht geleitet und bestimmt worden. Nur mit jenen
Elementen, mit den unentwickelten Verstandeskräften des großen Hansens und
mit dem übelverwendeten Einfluß maucher Beamten, galt es noch sich auseinander¬
zusetzen. Wollen wir also hier einige Momente, oder besser gesagt einige Resul¬
tate der letzten Agitation über die Kornhandelsfrage recapituliren, so braucht das
nicht eben mit der gewissenhaften Objectivität eines Schwurgerichtspräfldcnten,
mit glcichwägender Gerechtigkeit gegen beide Auffassungen, sonder" höchstens nnter
einem offenen Eingeständnis; unsrer Parteinahme für die längst ermittelte Wahr¬
heit zu geschehen.

Drei Thatsachen sind es, in dene" uns das bedeutende Ergebniß der eben
geschlossenen heißen Verhandlungen gegeben zu sein scheint. Die erste von ihnen
wird einem der von Tag zu Tag den Leitartikeln der Blatter und den Ma߬
regeln der Polizeibehörden gefolgt ist, wol nicht leicht entgangen sein. Zumal
wenn man sich das Auftreten derselben Streitfrage in den Jahren 18i6 und 1847
vergegenwärtigt und zur Vergleichung heranzieht, wird mau von der hohen Wahr¬
scheinlichkeit der Vermuthung getroffen werden, daß über diese Sache und um
diesen Preis in diesem ablaufenden Jahr zum letzte" Mal gestritten worden sei.
Sollte sich das Gefecht der Plänkler ja noch einmal entspinnen, so wird es doch
nicht wieder zu einem so allgemeinen, zu einem europäischen Aufeinandertreffen
führe", wie diesmal. Dafür habe" die Vertheidiger der Freiheit zu brav und zu
sehr i" geschlosseiien Reihen gekämpft, als daß die von ihnen "erfochtenen Grundsätze
noch einmal wirklich wieder in Frage gestellt werden könnten. Die öffentliche
Theilnahme ist seit 18i7 um viele hundert Procent gewachsen, und während
damals im ganzen nur erst wenige so gelehrte und erfahrene Publicisten wie
Röscher für die gute Sache eiustandc", zählt diese ihre Feder" jetzt uach Dutzende"


oder Juden, denen freilich in einer grausamen Zeit manche Zügellosigkeiten und
Greuel der Praxis entsprangen, welche unter den milderen Sitten der Gegenwart
keine Aussicht auf Erneuerung mehr habe». So groß die diesjährige Aufregung
über die drohende oder doch befürchtete Theuerung auch an vielen Orten wieder
war, so zeigte es sich doch bald, daß es sich lange nicht so sehr »in die theore¬
tische Verhandlung des Gegenstandes, als vielmehr darum handelte, einige längst
ausgemachte Wahrheiten der volkswirthschaftliche» Erkenntniß mit den blinden
Vorurtheilen einer urtheilslosen Menge, leider aber auch hier und da mit dem
verkehrten Eifer einzelner Behörden zu vermitteln. Diejenigen, welche der Sache
schon früher ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatten, als die öffentliche Bewegung
unsre vaterländische Journalistik dazu zwang, etwa im Jahr der europäischen
Theuerung -I8i7, hatte» vermuthlich alle Roschers damals entstandenes, unzwei¬
felhaft classisches Buch gelesen und konnten demgemäß weder politische, noch öko¬
nomische Zweifel mehr gegen den freien Gctreidehandel hegen. Die gebildeten
Kreise Deutschlands sind offenbar mit großer Schnelligkeit von diesen Trägern
der hierher gehörigen Einsicht geleitet und bestimmt worden. Nur mit jenen
Elementen, mit den unentwickelten Verstandeskräften des großen Hansens und
mit dem übelverwendeten Einfluß maucher Beamten, galt es noch sich auseinander¬
zusetzen. Wollen wir also hier einige Momente, oder besser gesagt einige Resul¬
tate der letzten Agitation über die Kornhandelsfrage recapituliren, so braucht das
nicht eben mit der gewissenhaften Objectivität eines Schwurgerichtspräfldcnten,
mit glcichwägender Gerechtigkeit gegen beide Auffassungen, sonder» höchstens nnter
einem offenen Eingeständnis; unsrer Parteinahme für die längst ermittelte Wahr¬
heit zu geschehen.

Drei Thatsachen sind es, in dene» uns das bedeutende Ergebniß der eben
geschlossenen heißen Verhandlungen gegeben zu sein scheint. Die erste von ihnen
wird einem der von Tag zu Tag den Leitartikeln der Blatter und den Ma߬
regeln der Polizeibehörden gefolgt ist, wol nicht leicht entgangen sein. Zumal
wenn man sich das Auftreten derselben Streitfrage in den Jahren 18i6 und 1847
vergegenwärtigt und zur Vergleichung heranzieht, wird mau von der hohen Wahr¬
scheinlichkeit der Vermuthung getroffen werden, daß über diese Sache und um
diesen Preis in diesem ablaufenden Jahr zum letzte» Mal gestritten worden sei.
Sollte sich das Gefecht der Plänkler ja noch einmal entspinnen, so wird es doch
nicht wieder zu einem so allgemeinen, zu einem europäischen Aufeinandertreffen
führe», wie diesmal. Dafür habe» die Vertheidiger der Freiheit zu brav und zu
sehr i» geschlosseiien Reihen gekämpft, als daß die von ihnen »erfochtenen Grundsätze
noch einmal wirklich wieder in Frage gestellt werden könnten. Die öffentliche
Theilnahme ist seit 18i7 um viele hundert Procent gewachsen, und während
damals im ganzen nur erst wenige so gelehrte und erfahrene Publicisten wie
Röscher für die gute Sache eiustandc», zählt diese ihre Feder» jetzt uach Dutzende»


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[0032] oder Juden, denen freilich in einer grausamen Zeit manche Zügellosigkeiten und Greuel der Praxis entsprangen, welche unter den milderen Sitten der Gegenwart keine Aussicht auf Erneuerung mehr habe». So groß die diesjährige Aufregung über die drohende oder doch befürchtete Theuerung auch an vielen Orten wieder war, so zeigte es sich doch bald, daß es sich lange nicht so sehr »in die theore¬ tische Verhandlung des Gegenstandes, als vielmehr darum handelte, einige längst ausgemachte Wahrheiten der volkswirthschaftliche» Erkenntniß mit den blinden Vorurtheilen einer urtheilslosen Menge, leider aber auch hier und da mit dem verkehrten Eifer einzelner Behörden zu vermitteln. Diejenigen, welche der Sache schon früher ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatten, als die öffentliche Bewegung unsre vaterländische Journalistik dazu zwang, etwa im Jahr der europäischen Theuerung -I8i7, hatte» vermuthlich alle Roschers damals entstandenes, unzwei¬ felhaft classisches Buch gelesen und konnten demgemäß weder politische, noch öko¬ nomische Zweifel mehr gegen den freien Gctreidehandel hegen. Die gebildeten Kreise Deutschlands sind offenbar mit großer Schnelligkeit von diesen Trägern der hierher gehörigen Einsicht geleitet und bestimmt worden. Nur mit jenen Elementen, mit den unentwickelten Verstandeskräften des großen Hansens und mit dem übelverwendeten Einfluß maucher Beamten, galt es noch sich auseinander¬ zusetzen. Wollen wir also hier einige Momente, oder besser gesagt einige Resul¬ tate der letzten Agitation über die Kornhandelsfrage recapituliren, so braucht das nicht eben mit der gewissenhaften Objectivität eines Schwurgerichtspräfldcnten, mit glcichwägender Gerechtigkeit gegen beide Auffassungen, sonder» höchstens nnter einem offenen Eingeständnis; unsrer Parteinahme für die längst ermittelte Wahr¬ heit zu geschehen. Drei Thatsachen sind es, in dene» uns das bedeutende Ergebniß der eben geschlossenen heißen Verhandlungen gegeben zu sein scheint. Die erste von ihnen wird einem der von Tag zu Tag den Leitartikeln der Blatter und den Ma߬ regeln der Polizeibehörden gefolgt ist, wol nicht leicht entgangen sein. Zumal wenn man sich das Auftreten derselben Streitfrage in den Jahren 18i6 und 1847 vergegenwärtigt und zur Vergleichung heranzieht, wird mau von der hohen Wahr¬ scheinlichkeit der Vermuthung getroffen werden, daß über diese Sache und um diesen Preis in diesem ablaufenden Jahr zum letzte» Mal gestritten worden sei. Sollte sich das Gefecht der Plänkler ja noch einmal entspinnen, so wird es doch nicht wieder zu einem so allgemeinen, zu einem europäischen Aufeinandertreffen führe», wie diesmal. Dafür habe» die Vertheidiger der Freiheit zu brav und zu sehr i» geschlosseiien Reihen gekämpft, als daß die von ihnen »erfochtenen Grundsätze noch einmal wirklich wieder in Frage gestellt werden könnten. Die öffentliche Theilnahme ist seit 18i7 um viele hundert Procent gewachsen, und während damals im ganzen nur erst wenige so gelehrte und erfahrene Publicisten wie Röscher für die gute Sache eiustandc», zählt diese ihre Feder» jetzt uach Dutzende»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/32>, abgerufen am 10.06.2024.