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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Analyse mit großem Wohlgefallen verfolgen würde. Die Lügen und Windbeute¬
leien eines Simon Grünau, die Art und Weise, wie er aus allgemeiner Un¬
wissenheit seine Quellen mißverstand und dann keinen Anstand nahm, nicht blos
ans Parteisucht, sondern zuweilen lediglich ans Ruhmredigkeit, seine Erstudnngen
an Stelle der Thatsachen zu setzen, das alles wird.mit strenger Methode und doch
mit einem gewissen Witz nachgewiesen. Freilich steht dieses Interesse immer erst
in zweiter Linie. Die Hauptsache ist der reale, positive Gewinn für die Geschichte
selbst. Im Anhange gibt der Verfasser einige Beiträge zur genaueren chronologischen
Feststellung der Ordeuögcschichte. Mochten nur diesem trefflichen Anfang bald
eine Reihe ähnlicher Vorarbeiten folgen, damit dann die eigentliche Geschicht¬
schreibung, die ins Mark des Volkes einzudringen bestimmt ist, auf sichern Grund¬
lagen ihr Werk beginnen könne.


Die Zeit Konstantins des Großen. Von Jakob Burkhardt. -- (Basel, Schweig-
häuser,)

Der Verfasser hat selber gefühlt, daß aus seinem Stoffe etwas Anderes ge¬
worden ist, als er ursprünglich beabsichtigte. Es fehlt nicht blos der Compost-
tivn dieses Buches, sondern auch der wissenschaftlichen Methode jene Einheit, die
allein eine vollständige Befriedigung hervorbringen kann. Das Leben Konstan¬
tins selbst ist durchaus skizzenhaft behandelt, und wenn in der politischen Ge¬
schichte bis auf deu Tod des Mark Aurel zurückgegangen wird, so scheint dazu
umsoweniger Grund vorhanden zu sein, da diese kurze Darstellung der römischen
Kaisergcschichte bis ans Diocletian, einzelne treffende Bemerkungen abgerechnet,
nichts Wesentliches enthält, was nicht eigentlich schon seit Gibbon feststände. Mit
der Zeit des Diocletian wird die Darstellung etwas ausführlicher, allein es ge¬
lingt dem Verfasser nicht, uns ein anschauliches, übersichtliches und in allen Thei¬
len fest begründetes Bild von jener merkwürdigen Staatsverändernng zu geben,
dnrch welche das alternde Rom, um eine letzte Stütze zu finden, sein eigenes
Staatsprincip auch in der Form zu Gunsten des orientalischen aufgab. Der
Verfasser hat eine große und gerechte Vorliebe für Diocletian, aber die Art und
Weise, wie er ihn gegen die verschiedenen Vorwürfe seiner Gegner zu rechtferti¬
gen sucht, ist wenigstens in der Form keineswegs correct. Man kann es z. B.
mit dem richtigen Begriffe einer historische" Kritik nicht vereinbaren, wenn der
bekannten Christenverfolgung dnrch bloße Muthmaßungen eine audere Wendung
gegeben wird, obgleich es wol möglich ist, daß in der Sache der Verfasser voll¬
kommen recht hat. -- Lassen wir die politische Geschichte bei Seite und nehmen
das Buch als eine Sittenschilderung des Konstantinischen Zeitalters, so finden
wir zwar reiche Beiträge im einzelnen, zuweilen auch eine concrete und gut
durchgeführte Schilderung bestimmter Culturverhältnisse, allein es fehlt auch hier
die Vollständigkeit und die Methode, und dieser Mangel an wissenschaftlicher


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Analyse mit großem Wohlgefallen verfolgen würde. Die Lügen und Windbeute¬
leien eines Simon Grünau, die Art und Weise, wie er aus allgemeiner Un¬
wissenheit seine Quellen mißverstand und dann keinen Anstand nahm, nicht blos
ans Parteisucht, sondern zuweilen lediglich ans Ruhmredigkeit, seine Erstudnngen
an Stelle der Thatsachen zu setzen, das alles wird.mit strenger Methode und doch
mit einem gewissen Witz nachgewiesen. Freilich steht dieses Interesse immer erst
in zweiter Linie. Die Hauptsache ist der reale, positive Gewinn für die Geschichte
selbst. Im Anhange gibt der Verfasser einige Beiträge zur genaueren chronologischen
Feststellung der Ordeuögcschichte. Mochten nur diesem trefflichen Anfang bald
eine Reihe ähnlicher Vorarbeiten folgen, damit dann die eigentliche Geschicht¬
schreibung, die ins Mark des Volkes einzudringen bestimmt ist, auf sichern Grund¬
lagen ihr Werk beginnen könne.


Die Zeit Konstantins des Großen. Von Jakob Burkhardt. — (Basel, Schweig-
häuser,)

Der Verfasser hat selber gefühlt, daß aus seinem Stoffe etwas Anderes ge¬
worden ist, als er ursprünglich beabsichtigte. Es fehlt nicht blos der Compost-
tivn dieses Buches, sondern auch der wissenschaftlichen Methode jene Einheit, die
allein eine vollständige Befriedigung hervorbringen kann. Das Leben Konstan¬
tins selbst ist durchaus skizzenhaft behandelt, und wenn in der politischen Ge¬
schichte bis auf deu Tod des Mark Aurel zurückgegangen wird, so scheint dazu
umsoweniger Grund vorhanden zu sein, da diese kurze Darstellung der römischen
Kaisergcschichte bis ans Diocletian, einzelne treffende Bemerkungen abgerechnet,
nichts Wesentliches enthält, was nicht eigentlich schon seit Gibbon feststände. Mit
der Zeit des Diocletian wird die Darstellung etwas ausführlicher, allein es ge¬
lingt dem Verfasser nicht, uns ein anschauliches, übersichtliches und in allen Thei¬
len fest begründetes Bild von jener merkwürdigen Staatsverändernng zu geben,
dnrch welche das alternde Rom, um eine letzte Stütze zu finden, sein eigenes
Staatsprincip auch in der Form zu Gunsten des orientalischen aufgab. Der
Verfasser hat eine große und gerechte Vorliebe für Diocletian, aber die Art und
Weise, wie er ihn gegen die verschiedenen Vorwürfe seiner Gegner zu rechtferti¬
gen sucht, ist wenigstens in der Form keineswegs correct. Man kann es z. B.
mit dem richtigen Begriffe einer historische» Kritik nicht vereinbaren, wenn der
bekannten Christenverfolgung dnrch bloße Muthmaßungen eine audere Wendung
gegeben wird, obgleich es wol möglich ist, daß in der Sache der Verfasser voll¬
kommen recht hat. — Lassen wir die politische Geschichte bei Seite und nehmen
das Buch als eine Sittenschilderung des Konstantinischen Zeitalters, so finden
wir zwar reiche Beiträge im einzelnen, zuweilen auch eine concrete und gut
durchgeführte Schilderung bestimmter Culturverhältnisse, allein es fehlt auch hier
die Vollständigkeit und die Methode, und dieser Mangel an wissenschaftlicher


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[0347] Analyse mit großem Wohlgefallen verfolgen würde. Die Lügen und Windbeute¬ leien eines Simon Grünau, die Art und Weise, wie er aus allgemeiner Un¬ wissenheit seine Quellen mißverstand und dann keinen Anstand nahm, nicht blos ans Parteisucht, sondern zuweilen lediglich ans Ruhmredigkeit, seine Erstudnngen an Stelle der Thatsachen zu setzen, das alles wird.mit strenger Methode und doch mit einem gewissen Witz nachgewiesen. Freilich steht dieses Interesse immer erst in zweiter Linie. Die Hauptsache ist der reale, positive Gewinn für die Geschichte selbst. Im Anhange gibt der Verfasser einige Beiträge zur genaueren chronologischen Feststellung der Ordeuögcschichte. Mochten nur diesem trefflichen Anfang bald eine Reihe ähnlicher Vorarbeiten folgen, damit dann die eigentliche Geschicht¬ schreibung, die ins Mark des Volkes einzudringen bestimmt ist, auf sichern Grund¬ lagen ihr Werk beginnen könne. Die Zeit Konstantins des Großen. Von Jakob Burkhardt. — (Basel, Schweig- häuser,) Der Verfasser hat selber gefühlt, daß aus seinem Stoffe etwas Anderes ge¬ worden ist, als er ursprünglich beabsichtigte. Es fehlt nicht blos der Compost- tivn dieses Buches, sondern auch der wissenschaftlichen Methode jene Einheit, die allein eine vollständige Befriedigung hervorbringen kann. Das Leben Konstan¬ tins selbst ist durchaus skizzenhaft behandelt, und wenn in der politischen Ge¬ schichte bis auf deu Tod des Mark Aurel zurückgegangen wird, so scheint dazu umsoweniger Grund vorhanden zu sein, da diese kurze Darstellung der römischen Kaisergcschichte bis ans Diocletian, einzelne treffende Bemerkungen abgerechnet, nichts Wesentliches enthält, was nicht eigentlich schon seit Gibbon feststände. Mit der Zeit des Diocletian wird die Darstellung etwas ausführlicher, allein es ge¬ lingt dem Verfasser nicht, uns ein anschauliches, übersichtliches und in allen Thei¬ len fest begründetes Bild von jener merkwürdigen Staatsverändernng zu geben, dnrch welche das alternde Rom, um eine letzte Stütze zu finden, sein eigenes Staatsprincip auch in der Form zu Gunsten des orientalischen aufgab. Der Verfasser hat eine große und gerechte Vorliebe für Diocletian, aber die Art und Weise, wie er ihn gegen die verschiedenen Vorwürfe seiner Gegner zu rechtferti¬ gen sucht, ist wenigstens in der Form keineswegs correct. Man kann es z. B. mit dem richtigen Begriffe einer historische» Kritik nicht vereinbaren, wenn der bekannten Christenverfolgung dnrch bloße Muthmaßungen eine audere Wendung gegeben wird, obgleich es wol möglich ist, daß in der Sache der Verfasser voll¬ kommen recht hat. — Lassen wir die politische Geschichte bei Seite und nehmen das Buch als eine Sittenschilderung des Konstantinischen Zeitalters, so finden wir zwar reiche Beiträge im einzelnen, zuweilen auch eine concrete und gut durchgeführte Schilderung bestimmter Culturverhältnisse, allein es fehlt auch hier die Vollständigkeit und die Methode, und dieser Mangel an wissenschaftlicher 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/347>, abgerufen am 19.05.2024.