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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Vollendung wird wenigstens nur sehr theilmeise durch die künstlerische Komposition
ersetzt.

Der eigentliche Kern des Buches ist der Versuch, den Selbstauflösungsproceß
des römischen Heidenthums darzustellen, der die Einführung des Christenthums,
ganz abgesehen von den Gründen politischer Opportunist, zu einer innern Noth¬
wendigkeit machte. Und hier entwickelt der Versasser eine so reiche Belesenheit,
ein so seines Verständniß für den Uebergang der einen Culturform in die andere,
eine so große Unbefangenheit des geschichtlichen Blickes, daß wir es lebhaft be¬
dauern müssen, daß er sich nicht ans diesen Gegenstand beschränkt, und ihn noch
mehr vervollständigt und vertieft hat. Freilich hätte dann nach einer anderen
Seite hin wieder eine Erweiterung stattfinden müssen. Die Einflüsse des orien¬
talischen Geistes auf die römischen Ideen, die Zerbröckelung der alten sittlichen
Principien durch die unnatürliche iveltbürgerliche Ausdehnung des römischen
Reiches und die dadurch herbeigeführte Verwandlung der religiösen Vorstellungen
mußte bis auf viel frühere Zeiten verfolgt werden, und daneben mußte auf der
anderen Seite die innere Entwickelungsgeschichte des Christenthums in Parallele
gestellt werden. Wie die Sache jetzt steht, haben wir doch nur eine Reihe von
Bildern und Zuständen, die zwar dnrch die Idee und die Reflexion in einen we¬
sentlichen Zusammenhang gebracht, die aber nicht zu einer natürlichen, organischen
Gliederung verarbeitet siud. Und doch hätte der Verfasser dazu vollkommen die
Bildung und das Talent gehabt, während wir jetzt seine Darstellung zwar mit
großem Interesse verfolgen und wichtige Belehrungen daraus schöpfen, aber uns
doch eines gewisse" Gefühls der Unbefriedigung nicht erwehren können.

Die Verdrängung der heidnischen Weltanschauung dnrch die christliche ist ohne
Zweifel der wichtigste und für die Natur des menschlichen Geistes lehrreichste Act
der Weltgeschichte. Daß bis jetzt trotz der großen Ausdehnung und Vertiefung
der historischen Forschung für diesen Zeitraum nicht viel geschehen ist, hat einen
sehr natürlichen Grund. Es haben sich bis jetzt mit jener Zeit mir entweder
strenggläubige Christen oder Feinde des Christenthums beschäftigt, und die einen
wie die andern brachten ihre bestimmten Vorurtheile mit, welche es ihnen un¬
möglich machten, die Thatsachen unbefangen auf sich wirken zu lassen nud ihren
innern Zusammenhang herauszufühlen. Ein strenggläubiger Christ kann eine
solche Geschichte nicht schreiben, denn er sieht in einer Reihe von Thatsachen
Wunder der göttlichen Allmacht, d. h. absolute Unterbrechungen des historischen
Zusammenhangs; und wo man aufhört, dem innern natürlichen Verhältnisse von
Ursache und Wirkung nachzugehe", hört auch die Geschichtschreibung auf. Außer¬
dem bringt jeder bibelfeste Christ eiuen gewissen Vorrath von dogmatischen Vor¬
aussetzungen mit und es ist nur zu natürlich, daß er diese bereits in der
ersten Form des Christenthums realisirt zu finden erwartet, und aus diesem In¬
teresse den Thatsachen Gewalt anthut. Auf der anderen Seite wird aber der


Vollendung wird wenigstens nur sehr theilmeise durch die künstlerische Komposition
ersetzt.

Der eigentliche Kern des Buches ist der Versuch, den Selbstauflösungsproceß
des römischen Heidenthums darzustellen, der die Einführung des Christenthums,
ganz abgesehen von den Gründen politischer Opportunist, zu einer innern Noth¬
wendigkeit machte. Und hier entwickelt der Versasser eine so reiche Belesenheit,
ein so seines Verständniß für den Uebergang der einen Culturform in die andere,
eine so große Unbefangenheit des geschichtlichen Blickes, daß wir es lebhaft be¬
dauern müssen, daß er sich nicht ans diesen Gegenstand beschränkt, und ihn noch
mehr vervollständigt und vertieft hat. Freilich hätte dann nach einer anderen
Seite hin wieder eine Erweiterung stattfinden müssen. Die Einflüsse des orien¬
talischen Geistes auf die römischen Ideen, die Zerbröckelung der alten sittlichen
Principien durch die unnatürliche iveltbürgerliche Ausdehnung des römischen
Reiches und die dadurch herbeigeführte Verwandlung der religiösen Vorstellungen
mußte bis auf viel frühere Zeiten verfolgt werden, und daneben mußte auf der
anderen Seite die innere Entwickelungsgeschichte des Christenthums in Parallele
gestellt werden. Wie die Sache jetzt steht, haben wir doch nur eine Reihe von
Bildern und Zuständen, die zwar dnrch die Idee und die Reflexion in einen we¬
sentlichen Zusammenhang gebracht, die aber nicht zu einer natürlichen, organischen
Gliederung verarbeitet siud. Und doch hätte der Verfasser dazu vollkommen die
Bildung und das Talent gehabt, während wir jetzt seine Darstellung zwar mit
großem Interesse verfolgen und wichtige Belehrungen daraus schöpfen, aber uns
doch eines gewisse» Gefühls der Unbefriedigung nicht erwehren können.

Die Verdrängung der heidnischen Weltanschauung dnrch die christliche ist ohne
Zweifel der wichtigste und für die Natur des menschlichen Geistes lehrreichste Act
der Weltgeschichte. Daß bis jetzt trotz der großen Ausdehnung und Vertiefung
der historischen Forschung für diesen Zeitraum nicht viel geschehen ist, hat einen
sehr natürlichen Grund. Es haben sich bis jetzt mit jener Zeit mir entweder
strenggläubige Christen oder Feinde des Christenthums beschäftigt, und die einen
wie die andern brachten ihre bestimmten Vorurtheile mit, welche es ihnen un¬
möglich machten, die Thatsachen unbefangen auf sich wirken zu lassen nud ihren
innern Zusammenhang herauszufühlen. Ein strenggläubiger Christ kann eine
solche Geschichte nicht schreiben, denn er sieht in einer Reihe von Thatsachen
Wunder der göttlichen Allmacht, d. h. absolute Unterbrechungen des historischen
Zusammenhangs; und wo man aufhört, dem innern natürlichen Verhältnisse von
Ursache und Wirkung nachzugehe», hört auch die Geschichtschreibung auf. Außer¬
dem bringt jeder bibelfeste Christ eiuen gewissen Vorrath von dogmatischen Vor¬
aussetzungen mit und es ist nur zu natürlich, daß er diese bereits in der
ersten Form des Christenthums realisirt zu finden erwartet, und aus diesem In¬
teresse den Thatsachen Gewalt anthut. Auf der anderen Seite wird aber der


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[0348] Vollendung wird wenigstens nur sehr theilmeise durch die künstlerische Komposition ersetzt. Der eigentliche Kern des Buches ist der Versuch, den Selbstauflösungsproceß des römischen Heidenthums darzustellen, der die Einführung des Christenthums, ganz abgesehen von den Gründen politischer Opportunist, zu einer innern Noth¬ wendigkeit machte. Und hier entwickelt der Versasser eine so reiche Belesenheit, ein so seines Verständniß für den Uebergang der einen Culturform in die andere, eine so große Unbefangenheit des geschichtlichen Blickes, daß wir es lebhaft be¬ dauern müssen, daß er sich nicht ans diesen Gegenstand beschränkt, und ihn noch mehr vervollständigt und vertieft hat. Freilich hätte dann nach einer anderen Seite hin wieder eine Erweiterung stattfinden müssen. Die Einflüsse des orien¬ talischen Geistes auf die römischen Ideen, die Zerbröckelung der alten sittlichen Principien durch die unnatürliche iveltbürgerliche Ausdehnung des römischen Reiches und die dadurch herbeigeführte Verwandlung der religiösen Vorstellungen mußte bis auf viel frühere Zeiten verfolgt werden, und daneben mußte auf der anderen Seite die innere Entwickelungsgeschichte des Christenthums in Parallele gestellt werden. Wie die Sache jetzt steht, haben wir doch nur eine Reihe von Bildern und Zuständen, die zwar dnrch die Idee und die Reflexion in einen we¬ sentlichen Zusammenhang gebracht, die aber nicht zu einer natürlichen, organischen Gliederung verarbeitet siud. Und doch hätte der Verfasser dazu vollkommen die Bildung und das Talent gehabt, während wir jetzt seine Darstellung zwar mit großem Interesse verfolgen und wichtige Belehrungen daraus schöpfen, aber uns doch eines gewisse» Gefühls der Unbefriedigung nicht erwehren können. Die Verdrängung der heidnischen Weltanschauung dnrch die christliche ist ohne Zweifel der wichtigste und für die Natur des menschlichen Geistes lehrreichste Act der Weltgeschichte. Daß bis jetzt trotz der großen Ausdehnung und Vertiefung der historischen Forschung für diesen Zeitraum nicht viel geschehen ist, hat einen sehr natürlichen Grund. Es haben sich bis jetzt mit jener Zeit mir entweder strenggläubige Christen oder Feinde des Christenthums beschäftigt, und die einen wie die andern brachten ihre bestimmten Vorurtheile mit, welche es ihnen un¬ möglich machten, die Thatsachen unbefangen auf sich wirken zu lassen nud ihren innern Zusammenhang herauszufühlen. Ein strenggläubiger Christ kann eine solche Geschichte nicht schreiben, denn er sieht in einer Reihe von Thatsachen Wunder der göttlichen Allmacht, d. h. absolute Unterbrechungen des historischen Zusammenhangs; und wo man aufhört, dem innern natürlichen Verhältnisse von Ursache und Wirkung nachzugehe», hört auch die Geschichtschreibung auf. Außer¬ dem bringt jeder bibelfeste Christ eiuen gewissen Vorrath von dogmatischen Vor¬ aussetzungen mit und es ist nur zu natürlich, daß er diese bereits in der ersten Form des Christenthums realisirt zu finden erwartet, und aus diesem In¬ teresse den Thatsachen Gewalt anthut. Auf der anderen Seite wird aber der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/348>, abgerufen am 10.06.2024.