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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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"Hector Berlioz in Leipzig.

"Wenn ich Musik von Mozart höre", sagt H. Berlioz im Journal des
Dvbats, "so drückt mich immer ein kleiner Alp, wenn ich aber Musik von H aydn
höre, so drückt mich immer ein großer Alp." Das Uebelbefinden, welches den
Zuhörer der Musik von Berlioz befällt, hat noch keinen Namen erhalten, aus¬
bleiben wird es sicherlich nicht. In der That, da das, was in der Musik jener
Meister uns gewöhnliche Menschen entzückt, Schönheit, Wohllaut, Klarheit, welche
aus der innern Harmonie dessen was sie gewollt, und der Mittel, durch die sie
es erreicht haben, beruhen, -- Berlioz so unangenehm berührt, so kann es kaum
anders sein, als daß das unausgesetzte Zerwürfniß zwischen Wollen und Können
in seiner Musik, die beständige Verschwendung eines prätentiösen Apparats äußerer
Mittel bei innerlicher Dürftigkeit, im Zuhörer eine Verstimmung erregen, die je
nach Umständen und Temperament mehr in Unwillen oder in Heiterkeit sich auf¬
lösen kann, aber jedenfalls einen starken Beisatz der langen Weile haben wird,
welche Berlioz höflich genug nur medicinisch benennt. Fragen wir etwas genauer
nach, worauf beruht denn die Größe jener Meister? Vor allem und wesentlich
darauf, daß sie nicht blos künstlerische, sondern musika tisch-künstlerische Naturen
sind, und wie der Dichter poetisch, der Maler malerisch empfindet, ebenso
unmittelbar musikalisch empfinde" und aus dieser ursprünglich musikalischen
Anregung erfinden und schaffen. Sodann ist in ihnen diese Anlage künstlerisch
entwickelt und ausgebildet, so daß die in der Natur und dem Wesen ihrer Kunst
begründeten Gesetze für sie nicht lästige Schranken sind, die man um jeden Preis'
durchbrechen und überspringen müsse, sondern die nothwendigen Bedingungen
künstlerischer Gestaltung; und diese ans der Durchdringung künstlerischer Bega¬
bung und Bildung beruhende Freiheit des künstlerischen Schaffens ist wesentlich
verschieden von der Geschicklichkeit, hergebrachte Formen zu handhaben, welche
nnr am Handwerker oder am Schüler zu loben ist, und die manche Kritiker wohl-
'wollend genng sind, jenen Meistern noch zuzugestehen. Indessen den geschickten
Handwerker muß man achten und aus dem Schüler, kann ein Meister werden,


Grenzboten. IV. 18ö.?. 61
«Hector Berlioz in Leipzig.

„Wenn ich Musik von Mozart höre", sagt H. Berlioz im Journal des
Dvbats, „so drückt mich immer ein kleiner Alp, wenn ich aber Musik von H aydn
höre, so drückt mich immer ein großer Alp." Das Uebelbefinden, welches den
Zuhörer der Musik von Berlioz befällt, hat noch keinen Namen erhalten, aus¬
bleiben wird es sicherlich nicht. In der That, da das, was in der Musik jener
Meister uns gewöhnliche Menschen entzückt, Schönheit, Wohllaut, Klarheit, welche
aus der innern Harmonie dessen was sie gewollt, und der Mittel, durch die sie
es erreicht haben, beruhen, — Berlioz so unangenehm berührt, so kann es kaum
anders sein, als daß das unausgesetzte Zerwürfniß zwischen Wollen und Können
in seiner Musik, die beständige Verschwendung eines prätentiösen Apparats äußerer
Mittel bei innerlicher Dürftigkeit, im Zuhörer eine Verstimmung erregen, die je
nach Umständen und Temperament mehr in Unwillen oder in Heiterkeit sich auf¬
lösen kann, aber jedenfalls einen starken Beisatz der langen Weile haben wird,
welche Berlioz höflich genug nur medicinisch benennt. Fragen wir etwas genauer
nach, worauf beruht denn die Größe jener Meister? Vor allem und wesentlich
darauf, daß sie nicht blos künstlerische, sondern musika tisch-künstlerische Naturen
sind, und wie der Dichter poetisch, der Maler malerisch empfindet, ebenso
unmittelbar musikalisch empfinde« und aus dieser ursprünglich musikalischen
Anregung erfinden und schaffen. Sodann ist in ihnen diese Anlage künstlerisch
entwickelt und ausgebildet, so daß die in der Natur und dem Wesen ihrer Kunst
begründeten Gesetze für sie nicht lästige Schranken sind, die man um jeden Preis'
durchbrechen und überspringen müsse, sondern die nothwendigen Bedingungen
künstlerischer Gestaltung; und diese ans der Durchdringung künstlerischer Bega¬
bung und Bildung beruhende Freiheit des künstlerischen Schaffens ist wesentlich
verschieden von der Geschicklichkeit, hergebrachte Formen zu handhaben, welche
nnr am Handwerker oder am Schüler zu loben ist, und die manche Kritiker wohl-
'wollend genng sind, jenen Meistern noch zuzugestehen. Indessen den geschickten
Handwerker muß man achten und aus dem Schüler, kann ein Meister werden,


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[0489] «Hector Berlioz in Leipzig. „Wenn ich Musik von Mozart höre", sagt H. Berlioz im Journal des Dvbats, „so drückt mich immer ein kleiner Alp, wenn ich aber Musik von H aydn höre, so drückt mich immer ein großer Alp." Das Uebelbefinden, welches den Zuhörer der Musik von Berlioz befällt, hat noch keinen Namen erhalten, aus¬ bleiben wird es sicherlich nicht. In der That, da das, was in der Musik jener Meister uns gewöhnliche Menschen entzückt, Schönheit, Wohllaut, Klarheit, welche aus der innern Harmonie dessen was sie gewollt, und der Mittel, durch die sie es erreicht haben, beruhen, — Berlioz so unangenehm berührt, so kann es kaum anders sein, als daß das unausgesetzte Zerwürfniß zwischen Wollen und Können in seiner Musik, die beständige Verschwendung eines prätentiösen Apparats äußerer Mittel bei innerlicher Dürftigkeit, im Zuhörer eine Verstimmung erregen, die je nach Umständen und Temperament mehr in Unwillen oder in Heiterkeit sich auf¬ lösen kann, aber jedenfalls einen starken Beisatz der langen Weile haben wird, welche Berlioz höflich genug nur medicinisch benennt. Fragen wir etwas genauer nach, worauf beruht denn die Größe jener Meister? Vor allem und wesentlich darauf, daß sie nicht blos künstlerische, sondern musika tisch-künstlerische Naturen sind, und wie der Dichter poetisch, der Maler malerisch empfindet, ebenso unmittelbar musikalisch empfinde« und aus dieser ursprünglich musikalischen Anregung erfinden und schaffen. Sodann ist in ihnen diese Anlage künstlerisch entwickelt und ausgebildet, so daß die in der Natur und dem Wesen ihrer Kunst begründeten Gesetze für sie nicht lästige Schranken sind, die man um jeden Preis' durchbrechen und überspringen müsse, sondern die nothwendigen Bedingungen künstlerischer Gestaltung; und diese ans der Durchdringung künstlerischer Bega¬ bung und Bildung beruhende Freiheit des künstlerischen Schaffens ist wesentlich verschieden von der Geschicklichkeit, hergebrachte Formen zu handhaben, welche nnr am Handwerker oder am Schüler zu loben ist, und die manche Kritiker wohl- 'wollend genng sind, jenen Meistern noch zuzugestehen. Indessen den geschickten Handwerker muß man achten und aus dem Schüler, kann ein Meister werden, Grenzboten. IV. 18ö.?. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/489>, abgerufen am 19.05.2024.