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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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allein wenn jemand mit der Prätension eines vollendeten Künstlers auftritt, dem
es am Ersten und Besten fehlt, so ist es Pflicht, über ihn die volle Wahrheit
ohne Rückhalt zu sagen. Berlioz ist aber wirklich der vollständige Gegensatz
jener Meister die ihn langweilen, und, vor allem dnrch seinen Mangel ursprünglich
musikalischer Productionskraft. Er ist ein geistreicher, ein gebildeter Mann, 'Has
weiß jeder, der uur eins seiner Feuilletons gelesen hat, so gut als er selbst es
weiß, er hat auch über Musik treffende Gedanken und Einfälle, aber von da ist
es noch weit zum musikalischen Schaffe". Dieses ist bei ihm nicht ursprünglich
und unmittelbar, sondern stets secundär. Er hat die bewußte Absicht, seiner Musik
einen bestimmten gedankemnäßigen Inhalt zu geben, erst wenn er diesen durch
Reflexion vollständig präparirt hat, sucht er den musikalischen Ausdruck dafür;
seine Intentionen sind vollkommen selbstständig ausgebildet, ehe sie eine musikalische
Gestalt bekommen; er schafft also nicht Musik als solche, aus einer innern Noth¬
wendigkeit, sondern er setzt seine Gedanken und Einfälle, anstatt sie zu einer
Novelle oder einem Feuilletonartikcl zu verarbeiten, nachträglich in Musik. Die
Aufgabe des Zuhörers wird es- dann, uicht Musik zu genießen und auf sich wirken
zu lassen, sondern fortwährend zu errathen, was der Componist sich bei der Musik
gedacht haben möge. In dem richtigen Gefühl, daß das rein Gedcyikenmäßige
darzustellen doch nicht eigentlich Sache der Musik sei, sucht Berlioz den Zuhörer
dnrch Prologe und Programme auf die richtige Fährte zu bringen, und mancher,
der sich sonst bei Musik nichts zu deuten weiß und doch Anstands halber ins Con¬
cert geht, vergnügt sich an diesem M ä'vsprit und ist froh, wenn er dnrch einen
kräftigen Beckenschlag, ein knarrendes Fagott oder sonst eine instrumentale Ab¬
sonderlichkeit erinnert wird, daß er hier auch etwas Absonderliches zu denken
habe. Das nennt man dann gern geistreiche Musik, da doch ein gutes Theil
dieses Lobes auf den Zuhörer zurückfällt, und meist um so lieber, je weniger der
Loder auf eigene Hand und ohne Musikbegleitung geistreich zu sein pflegt. Das
fällt freilich den meisten, die mit diesem Lob so freigebig sind, nicht ein, daß
wenn der Komponist anch wirklich vor und neben seiner Komposition geistreiche
Gedanken hat, diese Musik darum.das Prädicat uoch nicht verdient, sondern nur
dann, wenn er in der Behandlung des rein Musikalischen, in Erfindung und
Technik, sich als geistreichen Künstler zeigt, was nicht so leicht zu beurtheilen sein
dürfte. Um die Nebengedanken aber, soweit sie etwas werth sind, ist es nur
Schade, wenn sie in Musik gesetzt sind, denn das fortdauernde Geräusch läßt doch
kein rechtes Nachdenken aufkommen.

Es liegt in der Natur der Sache, daß Idee", die nicht ursprünglich und
naturgemäß erzeugt siud, auch nicht wie durch ein natürliches Wachsthum orga¬
nisch entwickelt und ausgebildet werden können, derselbe Zwang muß sich auch in
der Formgebung zeigen. Wenn Berlioz eine Abneigung gegen die fugirte und
imitatorische Schreibart hat, so wird man sich freilich wundern, daß ein den-


allein wenn jemand mit der Prätension eines vollendeten Künstlers auftritt, dem
es am Ersten und Besten fehlt, so ist es Pflicht, über ihn die volle Wahrheit
ohne Rückhalt zu sagen. Berlioz ist aber wirklich der vollständige Gegensatz
jener Meister die ihn langweilen, und, vor allem dnrch seinen Mangel ursprünglich
musikalischer Productionskraft. Er ist ein geistreicher, ein gebildeter Mann, 'Has
weiß jeder, der uur eins seiner Feuilletons gelesen hat, so gut als er selbst es
weiß, er hat auch über Musik treffende Gedanken und Einfälle, aber von da ist
es noch weit zum musikalischen Schaffe». Dieses ist bei ihm nicht ursprünglich
und unmittelbar, sondern stets secundär. Er hat die bewußte Absicht, seiner Musik
einen bestimmten gedankemnäßigen Inhalt zu geben, erst wenn er diesen durch
Reflexion vollständig präparirt hat, sucht er den musikalischen Ausdruck dafür;
seine Intentionen sind vollkommen selbstständig ausgebildet, ehe sie eine musikalische
Gestalt bekommen; er schafft also nicht Musik als solche, aus einer innern Noth¬
wendigkeit, sondern er setzt seine Gedanken und Einfälle, anstatt sie zu einer
Novelle oder einem Feuilletonartikcl zu verarbeiten, nachträglich in Musik. Die
Aufgabe des Zuhörers wird es- dann, uicht Musik zu genießen und auf sich wirken
zu lassen, sondern fortwährend zu errathen, was der Componist sich bei der Musik
gedacht haben möge. In dem richtigen Gefühl, daß das rein Gedcyikenmäßige
darzustellen doch nicht eigentlich Sache der Musik sei, sucht Berlioz den Zuhörer
dnrch Prologe und Programme auf die richtige Fährte zu bringen, und mancher,
der sich sonst bei Musik nichts zu deuten weiß und doch Anstands halber ins Con¬
cert geht, vergnügt sich an diesem M ä'vsprit und ist froh, wenn er dnrch einen
kräftigen Beckenschlag, ein knarrendes Fagott oder sonst eine instrumentale Ab¬
sonderlichkeit erinnert wird, daß er hier auch etwas Absonderliches zu denken
habe. Das nennt man dann gern geistreiche Musik, da doch ein gutes Theil
dieses Lobes auf den Zuhörer zurückfällt, und meist um so lieber, je weniger der
Loder auf eigene Hand und ohne Musikbegleitung geistreich zu sein pflegt. Das
fällt freilich den meisten, die mit diesem Lob so freigebig sind, nicht ein, daß
wenn der Komponist anch wirklich vor und neben seiner Komposition geistreiche
Gedanken hat, diese Musik darum.das Prädicat uoch nicht verdient, sondern nur
dann, wenn er in der Behandlung des rein Musikalischen, in Erfindung und
Technik, sich als geistreichen Künstler zeigt, was nicht so leicht zu beurtheilen sein
dürfte. Um die Nebengedanken aber, soweit sie etwas werth sind, ist es nur
Schade, wenn sie in Musik gesetzt sind, denn das fortdauernde Geräusch läßt doch
kein rechtes Nachdenken aufkommen.

Es liegt in der Natur der Sache, daß Idee», die nicht ursprünglich und
naturgemäß erzeugt siud, auch nicht wie durch ein natürliches Wachsthum orga¬
nisch entwickelt und ausgebildet werden können, derselbe Zwang muß sich auch in
der Formgebung zeigen. Wenn Berlioz eine Abneigung gegen die fugirte und
imitatorische Schreibart hat, so wird man sich freilich wundern, daß ein den-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/490>, abgerufen am 10.06.2024.