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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Das Welfenlied von Gustav v. Meyern.

Berlin, Alex. Duncker.

Der Dichter hat entschieden poetische Begabung und seine Behandlung
des Stoffes ist originell.

Das vorliegende Buch enthält achtunddreißig Romanzen, in denen Fürsten
aus dem Haus der Welsen Mittelpunkt der Erzählung sind, zuweilen sind
mehre Lieder dadurch verbunden, daß derselbe Held, dieselbe Begebenheit sie
durchläuft. Man irrt aber, wenn man eine Sammlung von Lobgesängen auf
ein Fürstenhaus erwartet; einzelne Gedichte, in denen eine unkünstlerische Ver¬
bindung nur durch den Familiennamen hergestellt wird. Das Ganze gehört
durchaus nicht in die Sphäre loyaler Familienpoesien, es ist eine Verbindung
der einzelnen Theile und innere Einheit vorhanden. Der Dichter wurde zunächst
künstlerisch angeregt durch Charakteristisches und Gemeinsames, was seit uralter
Zeit in zahlreichen Heldengestalten des Welfengeschlechtö sichtbar ward, deren
letzte Repräsentanten wir in der Familie der Braunschweiger noch auf deutschen
Thronen sehen. Dieselbe rücksichtslose Tapferkeit und Verachtung der Gefahr,
derselbe fürstliche Stolz, der zuweilen in ungebändigten Trotz und tollen Ueber¬
muth umschlägt, eine endlose Reihe der tapfersten Thaten, und doch selten sichere
Erfolge, welche ihnen selbst zu gut kommen. Ihre Größe ist häufig, daß sie
sich fremden Interesse unterordnen und für andere sich aufopfern; das tapferste
Fürstengeschlecht Deutschlands ist in der Lage, niemals das erste zu werden.
So oft sie darnach ringen, gehen sie unter. Und noch andere häufig wieder¬
kehrende Eigenschaften hat der Dichter bei ihnen gefunden, eine derbe Laune,
welche sich oft in kurzen epigrammatischen Wendungen ausspricht, einfaches, fast
kameradschaftliches Leben mit ihrer kriegerischen Umgebung, eine leidenschaftliche
Neigung zu den ritterlichen Künsten ihrer Zeit und endlich eine merkwürdige
Aehnlichkeit des letzten Schicksals, Tod auf dem Schlachtfeld.*)

Was der Historiker als merkwürdigen Zufall erwähnt oder als Fämilienzug
verständig erklärt und in seinem innersten Zusammenhange darstellt, das darf
der Dichter auffassen als Schicksal, als Folge einzelner ungeheurer Thaten,



*) Anmerkung. In den letzten dreihundert Jahren sind zwanzig Braunschweiger auf
dem Schlachtfelde geblieben, oder kurz darauf an ihren Wunden gestorben, und einer, Prinz
Leopold, fand den Tod in der Oder (d. 27. April 178S). Für Preuße" starben in den letzten
hundert Jahren außer Prinz Leopold nicht weniger als fünf:
Prinz Albrecht von Braunschweig bei spor, 30. Sept. 174".
Prinz Friedrich von Braunschweig bet Hochtirch, -It. Octbr. -17-38.
Prinz Heinrich von Braunschweig bei Ruhen, 30. Juli, geht. 8. August 4761.
Herzog Karl Wilhelm Ferdinand bei Jena. ki. Octbr., geht. 10 Nov. -1806.
Herzog Friedrich Wilhelm bet Quatrebras, 16. Juni 1816.
Das Welfenlied von Gustav v. Meyern.

Berlin, Alex. Duncker.

Der Dichter hat entschieden poetische Begabung und seine Behandlung
des Stoffes ist originell.

Das vorliegende Buch enthält achtunddreißig Romanzen, in denen Fürsten
aus dem Haus der Welsen Mittelpunkt der Erzählung sind, zuweilen sind
mehre Lieder dadurch verbunden, daß derselbe Held, dieselbe Begebenheit sie
durchläuft. Man irrt aber, wenn man eine Sammlung von Lobgesängen auf
ein Fürstenhaus erwartet; einzelne Gedichte, in denen eine unkünstlerische Ver¬
bindung nur durch den Familiennamen hergestellt wird. Das Ganze gehört
durchaus nicht in die Sphäre loyaler Familienpoesien, es ist eine Verbindung
der einzelnen Theile und innere Einheit vorhanden. Der Dichter wurde zunächst
künstlerisch angeregt durch Charakteristisches und Gemeinsames, was seit uralter
Zeit in zahlreichen Heldengestalten des Welfengeschlechtö sichtbar ward, deren
letzte Repräsentanten wir in der Familie der Braunschweiger noch auf deutschen
Thronen sehen. Dieselbe rücksichtslose Tapferkeit und Verachtung der Gefahr,
derselbe fürstliche Stolz, der zuweilen in ungebändigten Trotz und tollen Ueber¬
muth umschlägt, eine endlose Reihe der tapfersten Thaten, und doch selten sichere
Erfolge, welche ihnen selbst zu gut kommen. Ihre Größe ist häufig, daß sie
sich fremden Interesse unterordnen und für andere sich aufopfern; das tapferste
Fürstengeschlecht Deutschlands ist in der Lage, niemals das erste zu werden.
So oft sie darnach ringen, gehen sie unter. Und noch andere häufig wieder¬
kehrende Eigenschaften hat der Dichter bei ihnen gefunden, eine derbe Laune,
welche sich oft in kurzen epigrammatischen Wendungen ausspricht, einfaches, fast
kameradschaftliches Leben mit ihrer kriegerischen Umgebung, eine leidenschaftliche
Neigung zu den ritterlichen Künsten ihrer Zeit und endlich eine merkwürdige
Aehnlichkeit des letzten Schicksals, Tod auf dem Schlachtfeld.*)

Was der Historiker als merkwürdigen Zufall erwähnt oder als Fämilienzug
verständig erklärt und in seinem innersten Zusammenhange darstellt, das darf
der Dichter auffassen als Schicksal, als Folge einzelner ungeheurer Thaten,



*) Anmerkung. In den letzten dreihundert Jahren sind zwanzig Braunschweiger auf
dem Schlachtfelde geblieben, oder kurz darauf an ihren Wunden gestorben, und einer, Prinz
Leopold, fand den Tod in der Oder (d. 27. April 178S). Für Preuße» starben in den letzten
hundert Jahren außer Prinz Leopold nicht weniger als fünf:
Prinz Albrecht von Braunschweig bei spor, 30. Sept. 174».
Prinz Friedrich von Braunschweig bet Hochtirch, -It. Octbr. -17-38.
Prinz Heinrich von Braunschweig bei Ruhen, 30. Juli, geht. 8. August 4761.
Herzog Karl Wilhelm Ferdinand bei Jena. ki. Octbr., geht. 10 Nov. -1806.
Herzog Friedrich Wilhelm bet Quatrebras, 16. Juni 1816.
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[0234] Das Welfenlied von Gustav v. Meyern. Berlin, Alex. Duncker. Der Dichter hat entschieden poetische Begabung und seine Behandlung des Stoffes ist originell. Das vorliegende Buch enthält achtunddreißig Romanzen, in denen Fürsten aus dem Haus der Welsen Mittelpunkt der Erzählung sind, zuweilen sind mehre Lieder dadurch verbunden, daß derselbe Held, dieselbe Begebenheit sie durchläuft. Man irrt aber, wenn man eine Sammlung von Lobgesängen auf ein Fürstenhaus erwartet; einzelne Gedichte, in denen eine unkünstlerische Ver¬ bindung nur durch den Familiennamen hergestellt wird. Das Ganze gehört durchaus nicht in die Sphäre loyaler Familienpoesien, es ist eine Verbindung der einzelnen Theile und innere Einheit vorhanden. Der Dichter wurde zunächst künstlerisch angeregt durch Charakteristisches und Gemeinsames, was seit uralter Zeit in zahlreichen Heldengestalten des Welfengeschlechtö sichtbar ward, deren letzte Repräsentanten wir in der Familie der Braunschweiger noch auf deutschen Thronen sehen. Dieselbe rücksichtslose Tapferkeit und Verachtung der Gefahr, derselbe fürstliche Stolz, der zuweilen in ungebändigten Trotz und tollen Ueber¬ muth umschlägt, eine endlose Reihe der tapfersten Thaten, und doch selten sichere Erfolge, welche ihnen selbst zu gut kommen. Ihre Größe ist häufig, daß sie sich fremden Interesse unterordnen und für andere sich aufopfern; das tapferste Fürstengeschlecht Deutschlands ist in der Lage, niemals das erste zu werden. So oft sie darnach ringen, gehen sie unter. Und noch andere häufig wieder¬ kehrende Eigenschaften hat der Dichter bei ihnen gefunden, eine derbe Laune, welche sich oft in kurzen epigrammatischen Wendungen ausspricht, einfaches, fast kameradschaftliches Leben mit ihrer kriegerischen Umgebung, eine leidenschaftliche Neigung zu den ritterlichen Künsten ihrer Zeit und endlich eine merkwürdige Aehnlichkeit des letzten Schicksals, Tod auf dem Schlachtfeld.*) Was der Historiker als merkwürdigen Zufall erwähnt oder als Fämilienzug verständig erklärt und in seinem innersten Zusammenhange darstellt, das darf der Dichter auffassen als Schicksal, als Folge einzelner ungeheurer Thaten, *) Anmerkung. In den letzten dreihundert Jahren sind zwanzig Braunschweiger auf dem Schlachtfelde geblieben, oder kurz darauf an ihren Wunden gestorben, und einer, Prinz Leopold, fand den Tod in der Oder (d. 27. April 178S). Für Preuße» starben in den letzten hundert Jahren außer Prinz Leopold nicht weniger als fünf: Prinz Albrecht von Braunschweig bei spor, 30. Sept. 174». Prinz Friedrich von Braunschweig bet Hochtirch, -It. Octbr. -17-38. Prinz Heinrich von Braunschweig bei Ruhen, 30. Juli, geht. 8. August 4761. Herzog Karl Wilhelm Ferdinand bei Jena. ki. Octbr., geht. 10 Nov. -1806. Herzog Friedrich Wilhelm bet Quatrebras, 16. Juni 1816.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/234>, abgerufen am 06.05.2024.