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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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als Wirkung eines Fluchs oder Segens u. s. w. Rühmend muß erwähnt
werden, daß der Verfasser des Welfenliedes dies mit Geschick und vor allem
mit Maß gethan hat. Denn so wirksam eine solche Methode ist, die Idee
einer Erzählung dem Leser eindringlich zu machen, so ist doch bei historischem
Stoff und großer Ausdehnung die Gefahr nicht zu vermeiden, daß sehr vieles,
was uns aus der Geschichte wohlbekannt ist, sich nicht dem Zwange der
poetischen Grundidee fügen will. Und es wird unvermeidlich sein, daß der
Dichter zuweilen nach den Analogien und Aehnlichkeiten, nach dem Gemein¬
samen und für ihn Bedeutenden erst suchen muß, und daß er aus der Masse
des historischen Stoffes einzelnes mit einer Willkür auswählt, welche uns
leicht den Eindruck des Ganzen verkümmert. Herr v. Meyern ist diesem Uebel¬
stand soviel als möglich aus dem Wege gegangen, ganz konnte auch er ihn
nicht vermeiden. Wenn es schon Schwierigkeiten machte, dieselbe Idee, einen
charakteristischen Grundzug für daS Leben so vieler Familienglieder im Laufe
von tausend Jahren bei' den ganz veränderten Staatsverhältnissen dem Leser
anschaulich zu machen, so war der Conflict zwischen der geschichtlichen Wirk¬
lichkeit und den Gesetzen der poetischen Darstellung am Schluß des Ganzen,
der bis in unser Jahrhundert reicht, doppelt fühlbar. Denn.der poetische
Schluß verlangte eine starke Steigerung in den Momenten der dargestellten
Handlung, eine mächtige und in diesem Fall eine tragische Erfüllung des
Schicksals der Familie. Der Fluch, den der Ahnherr ausgesprochen, muß von
dem letzten Helden der Familie erfüllt oder glorreich gesühnt werden. Die
historische Wirklichkeit gestattete das nicht. Wol konnte der Dichter in seinem
Herzen als tragisch empfinden, daß der ritterliche Herr, welcher jetzt den Herzvgs-
hut von Braunschweig trägt, der letzte seines Geschlechtes ist, und daß mit
seinem Leben wahrscheinlich die deutsche Linie des stolzen Welsenhauseö unter¬
geht. Möglich auch, daß der wohlbekannte mannhafte Sinn dieses deutsch¬
gestimmten Fürsten im Stillen für sich das glorreiche Ende, welches in seinem
Stamme herkömmlich scheint, als sein Schicksal mit düsterer Freude erhofft, aber
das Rührende und Elegische, welches für den Dichter in solcher Betrachtung
liegen kann, ließ sich in Romcinzenform als ein Factum doch nicht darstellen.
So kommt es, daß das Ende deö vorliegenden Gedichtes in Betreff der poeti¬
schen Idee als unvollendet erscheint.

Unter den einzelnen Romanzen sind mehre von ausgezeichneter Ausführung
der wirksamen Momente, am besten die über Heinrich den Löwen. Der Dichter
versteht sehr gut das Dramatische des einzelnen Momentes zu erfassen. Durch¬
weg zeigt die Darstellung ein Streben nach würdigem Ton. Ost ist, na¬
mentlich in den angeführten Reden, der körnige Inhalt vortrefflich wiederge¬
geben. Aber zuweilen begegnet es dem Verfasser noch, daß seine Satz-
construction im Kampf mit der poetischen Form an Klarheit leidet. Neben


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als Wirkung eines Fluchs oder Segens u. s. w. Rühmend muß erwähnt
werden, daß der Verfasser des Welfenliedes dies mit Geschick und vor allem
mit Maß gethan hat. Denn so wirksam eine solche Methode ist, die Idee
einer Erzählung dem Leser eindringlich zu machen, so ist doch bei historischem
Stoff und großer Ausdehnung die Gefahr nicht zu vermeiden, daß sehr vieles,
was uns aus der Geschichte wohlbekannt ist, sich nicht dem Zwange der
poetischen Grundidee fügen will. Und es wird unvermeidlich sein, daß der
Dichter zuweilen nach den Analogien und Aehnlichkeiten, nach dem Gemein¬
samen und für ihn Bedeutenden erst suchen muß, und daß er aus der Masse
des historischen Stoffes einzelnes mit einer Willkür auswählt, welche uns
leicht den Eindruck des Ganzen verkümmert. Herr v. Meyern ist diesem Uebel¬
stand soviel als möglich aus dem Wege gegangen, ganz konnte auch er ihn
nicht vermeiden. Wenn es schon Schwierigkeiten machte, dieselbe Idee, einen
charakteristischen Grundzug für daS Leben so vieler Familienglieder im Laufe
von tausend Jahren bei' den ganz veränderten Staatsverhältnissen dem Leser
anschaulich zu machen, so war der Conflict zwischen der geschichtlichen Wirk¬
lichkeit und den Gesetzen der poetischen Darstellung am Schluß des Ganzen,
der bis in unser Jahrhundert reicht, doppelt fühlbar. Denn.der poetische
Schluß verlangte eine starke Steigerung in den Momenten der dargestellten
Handlung, eine mächtige und in diesem Fall eine tragische Erfüllung des
Schicksals der Familie. Der Fluch, den der Ahnherr ausgesprochen, muß von
dem letzten Helden der Familie erfüllt oder glorreich gesühnt werden. Die
historische Wirklichkeit gestattete das nicht. Wol konnte der Dichter in seinem
Herzen als tragisch empfinden, daß der ritterliche Herr, welcher jetzt den Herzvgs-
hut von Braunschweig trägt, der letzte seines Geschlechtes ist, und daß mit
seinem Leben wahrscheinlich die deutsche Linie des stolzen Welsenhauseö unter¬
geht. Möglich auch, daß der wohlbekannte mannhafte Sinn dieses deutsch¬
gestimmten Fürsten im Stillen für sich das glorreiche Ende, welches in seinem
Stamme herkömmlich scheint, als sein Schicksal mit düsterer Freude erhofft, aber
das Rührende und Elegische, welches für den Dichter in solcher Betrachtung
liegen kann, ließ sich in Romcinzenform als ein Factum doch nicht darstellen.
So kommt es, daß das Ende deö vorliegenden Gedichtes in Betreff der poeti¬
schen Idee als unvollendet erscheint.

Unter den einzelnen Romanzen sind mehre von ausgezeichneter Ausführung
der wirksamen Momente, am besten die über Heinrich den Löwen. Der Dichter
versteht sehr gut das Dramatische des einzelnen Momentes zu erfassen. Durch¬
weg zeigt die Darstellung ein Streben nach würdigem Ton. Ost ist, na¬
mentlich in den angeführten Reden, der körnige Inhalt vortrefflich wiederge¬
geben. Aber zuweilen begegnet es dem Verfasser noch, daß seine Satz-
construction im Kampf mit der poetischen Form an Klarheit leidet. Neben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/235>, abgerufen am 28.05.2024.