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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Sultan Abdul Medschid Khan.

Die Ausgabe, an welche ich hiermit herantrete, ist eine äußerst schwere,
und ich werde nicht im Stande sein, sie vollständig zu lösen. Dennoch lag
sie mir zu nahe, um nicht mindestens meine Kräfte daran zu prüfen. Ich will
Ihnen den jetzt regierenden Beherrscher der Osmanen nach eigner oftmaliger
Anschauung seinem Aeußern nach vorführen, was viele vor mir gethan haben
und was im Grunde genommen nichts weiter voraussetzt, als ein gutes Auge;
Zugleich aber ist eS meine Absicht, Sie und Ihre Leser einen Blick in sein
Inneres werfen zu lassen, was viele Schwierigkeiten hat, und woran ich
möglicherweise scheitern werde. Denn der Padischah, wie oft er immerhin sich
auch zeigt und der oberflächlichen Beobachtung preisgibt, ist gleichwol derjenige
Mann in seiner weiten Hauptstadt, der den Massen gegenüber das verbor¬
genste Leben führt. Außer seinen Ministern, seinem Hofhaushalt und den
fremden Gesandten sind die Personen zu zählen, die in seinen Palästen in
Tschiraghan und Beylerbey Zutritt hatten. Wie schwer ist es, auch nur Kunde
von seinen alltäglichen Gewohnheiten zu bekommen: zu erfahren, wann er
aufsteht, Toilette macht und in welcher Form, wann, wo und wie er früh¬
stückt, - betet, die Hauptmahlzeit einnimmt. Allerdings müssen seine Diener,
Kammerherren und Würdenträger davon zu erzählen wissen, aber sie sind wie
alle Türken und zumal in Betreff dieser Person, die immer noch als eine un¬
nahbare angesehen wird, nicht eben gesprächig und am mindesten dem Christen
gegenüber. Außerdem ist es schwer, mit ihnen Bekanntschaft zu machen; die
Minister und hohen Würdenträger stehen außerhalb der Sphäre des Alltags¬
lebens und sind nicht zugänglich; der Hoftroß aber ist an den Palast gebun¬
den, und so streng ist der Dienst, daß die Kammerherren, welche verheirathet
se"d, ihre Familie nur je am neunten Tage zu sehen bekommen.

Der Großherr ist nicht älter als einunddreißig Jahr. Wiewol sein Geburts¬
tag nicht mit völliger Bestimmtheit auszumitteln ist, hat es viel'Wahrschein¬
lichkeit für sich, daß er am 23. April 1823 geboren wurde (bei den Muha-


Grenzbole". 111. ->M4.
Sultan Abdul Medschid Khan.

Die Ausgabe, an welche ich hiermit herantrete, ist eine äußerst schwere,
und ich werde nicht im Stande sein, sie vollständig zu lösen. Dennoch lag
sie mir zu nahe, um nicht mindestens meine Kräfte daran zu prüfen. Ich will
Ihnen den jetzt regierenden Beherrscher der Osmanen nach eigner oftmaliger
Anschauung seinem Aeußern nach vorführen, was viele vor mir gethan haben
und was im Grunde genommen nichts weiter voraussetzt, als ein gutes Auge;
Zugleich aber ist eS meine Absicht, Sie und Ihre Leser einen Blick in sein
Inneres werfen zu lassen, was viele Schwierigkeiten hat, und woran ich
möglicherweise scheitern werde. Denn der Padischah, wie oft er immerhin sich
auch zeigt und der oberflächlichen Beobachtung preisgibt, ist gleichwol derjenige
Mann in seiner weiten Hauptstadt, der den Massen gegenüber das verbor¬
genste Leben führt. Außer seinen Ministern, seinem Hofhaushalt und den
fremden Gesandten sind die Personen zu zählen, die in seinen Palästen in
Tschiraghan und Beylerbey Zutritt hatten. Wie schwer ist es, auch nur Kunde
von seinen alltäglichen Gewohnheiten zu bekommen: zu erfahren, wann er
aufsteht, Toilette macht und in welcher Form, wann, wo und wie er früh¬
stückt, - betet, die Hauptmahlzeit einnimmt. Allerdings müssen seine Diener,
Kammerherren und Würdenträger davon zu erzählen wissen, aber sie sind wie
alle Türken und zumal in Betreff dieser Person, die immer noch als eine un¬
nahbare angesehen wird, nicht eben gesprächig und am mindesten dem Christen
gegenüber. Außerdem ist es schwer, mit ihnen Bekanntschaft zu machen; die
Minister und hohen Würdenträger stehen außerhalb der Sphäre des Alltags¬
lebens und sind nicht zugänglich; der Hoftroß aber ist an den Palast gebun¬
den, und so streng ist der Dienst, daß die Kammerherren, welche verheirathet
se»d, ihre Familie nur je am neunten Tage zu sehen bekommen.

Der Großherr ist nicht älter als einunddreißig Jahr. Wiewol sein Geburts¬
tag nicht mit völliger Bestimmtheit auszumitteln ist, hat es viel'Wahrschein¬
lichkeit für sich, daß er am 23. April 1823 geboren wurde (bei den Muha-


Grenzbole». 111. ->M4.
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[0329] Sultan Abdul Medschid Khan. Die Ausgabe, an welche ich hiermit herantrete, ist eine äußerst schwere, und ich werde nicht im Stande sein, sie vollständig zu lösen. Dennoch lag sie mir zu nahe, um nicht mindestens meine Kräfte daran zu prüfen. Ich will Ihnen den jetzt regierenden Beherrscher der Osmanen nach eigner oftmaliger Anschauung seinem Aeußern nach vorführen, was viele vor mir gethan haben und was im Grunde genommen nichts weiter voraussetzt, als ein gutes Auge; Zugleich aber ist eS meine Absicht, Sie und Ihre Leser einen Blick in sein Inneres werfen zu lassen, was viele Schwierigkeiten hat, und woran ich möglicherweise scheitern werde. Denn der Padischah, wie oft er immerhin sich auch zeigt und der oberflächlichen Beobachtung preisgibt, ist gleichwol derjenige Mann in seiner weiten Hauptstadt, der den Massen gegenüber das verbor¬ genste Leben führt. Außer seinen Ministern, seinem Hofhaushalt und den fremden Gesandten sind die Personen zu zählen, die in seinen Palästen in Tschiraghan und Beylerbey Zutritt hatten. Wie schwer ist es, auch nur Kunde von seinen alltäglichen Gewohnheiten zu bekommen: zu erfahren, wann er aufsteht, Toilette macht und in welcher Form, wann, wo und wie er früh¬ stückt, - betet, die Hauptmahlzeit einnimmt. Allerdings müssen seine Diener, Kammerherren und Würdenträger davon zu erzählen wissen, aber sie sind wie alle Türken und zumal in Betreff dieser Person, die immer noch als eine un¬ nahbare angesehen wird, nicht eben gesprächig und am mindesten dem Christen gegenüber. Außerdem ist es schwer, mit ihnen Bekanntschaft zu machen; die Minister und hohen Würdenträger stehen außerhalb der Sphäre des Alltags¬ lebens und sind nicht zugänglich; der Hoftroß aber ist an den Palast gebun¬ den, und so streng ist der Dienst, daß die Kammerherren, welche verheirathet se»d, ihre Familie nur je am neunten Tage zu sehen bekommen. Der Großherr ist nicht älter als einunddreißig Jahr. Wiewol sein Geburts¬ tag nicht mit völliger Bestimmtheit auszumitteln ist, hat es viel'Wahrschein¬ lichkeit für sich, daß er am 23. April 1823 geboren wurde (bei den Muha- Grenzbole». 111. ->M4.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/329>, abgerufen am 06.05.2024.