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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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andauern derll.Schaban 1238 nach der Hegyra). Dem entspricht nicht sein
Aeußeres, welches auf einen Vierziger eher, wie auf einen angehenden Drei¬
ßiger schließen läßt. Diesen bleichen Wangen sind zwar noch keine tiefen
Falten eingegraben, aber sie sind keineswegs mehr jugendlich aussehend; um
die äußeren Augenwinkel herum sind jene strahlenförmigen Runzeln bereits
sichtbar, die den Eintritt in ein reiferes Mannesalter bezeichnen, und nur der
Bart, wie mir scheinen will, mit seinem feinen Haar, entspricht noch der
Weichheit jüngerer Jahres Auf den Porträts wird Sultan Abdul Medschid
meistens idealisirt; mir will scheinen, daß man seine Nase, die zwar nicht
übergroß ist, immerhin aber äußerst markirt hervortritt, zu schmal zeichnet.
Im Widerspruch mit Moritz Hartmann muß ich gestehen, daß mir die Form
des Gesichts vom Padischah sehr orientalisch und auch wesentlich türkisch er¬
scheint, aber jenem osmqnischen besonderartigen Typus verwandt, der aus den
Heirathen der Vornehmen mit Circassierinnen entstanden ist. Ihm liegt, un¬
geachtet seiner Kränklichkeit und des Uebermaßes in mancherlei Genüssen ein
unverkennbarer Adel in den Zügen, um Augen und Mund. Aus wen des
Sultans Antlitz einen anderen Eindruck machte, der brachte es wol zu eng
mit der Haltung seiner ganzen Gestalt zusammen, die allerdings keineswegs
würdevoll, im Gegentheil als ein Bild immenser Schwäche und Hinfälligkeit
und Mangel an Schönheit erscheint. Abdul Medschid sitzt gedrückt zu Pferde
und mit einem nicht wiederzugebenden Ausdruck halb von Mißbehagen, halb
von Ermattung. Man erkennt, daß er von den Leidenschaften des Vaters
(Mahmud >l.) in dieser Hinsicht wenig geerbt und daß sich in ihm kein
Abglanz jener wilden Begierde nach physischen Thaten erhalten hat, die den
Vernichter der Janitscharen im Fluge von Baschik-Käses nach Kiathane reiten
und manches edle Roß aus Arabistan tvdtjagen ließ.

Wenn man den Hünkier (Würger, der am meisten im Gebrauch befind¬
liche Name für den Sultan unter der türkischen Bevölkerung) stehend sieht,
wird man gewahr, daß seine Größe unbedeutend ist und kaum das mittlere
Maß erreicht. Aber meinem Gefühl nach ist seine Haltung zu Fuß edler wie
die im Sattel. Mit einer feinen Hand hält er beim Hinaufsteigen auf die
Stufen der breiten Treppe, die von seinem Palais lTscheraghan) zum Meer
herniederführt, die Falten seines dunkelfarbigen weiten Mantels gefaßt, die
andere Hand ist in die Hüften eingelegt, gleichsam um den beim Hochheben
wankenden Körper mehr zu unterstützen. Langsam freilich ist der Schritt, an'er
nicht eine Bewegung erscheint plump oder eckig. Die ganze Erscheinung ver¬
räth durch alle Hinfälligkeit hindurch, welche sie umgibt, dennoch den vor¬
nehmen, hochstehenden, wenn auch nicht den gebietenden, herrschenden Mann
und höchsten Chef eines großen, kriegerischen Volkes.

Es ist bezeichnend für die ganze Art des Sultans Abdul Medschid, daß


andauern derll.Schaban 1238 nach der Hegyra). Dem entspricht nicht sein
Aeußeres, welches auf einen Vierziger eher, wie auf einen angehenden Drei¬
ßiger schließen läßt. Diesen bleichen Wangen sind zwar noch keine tiefen
Falten eingegraben, aber sie sind keineswegs mehr jugendlich aussehend; um
die äußeren Augenwinkel herum sind jene strahlenförmigen Runzeln bereits
sichtbar, die den Eintritt in ein reiferes Mannesalter bezeichnen, und nur der
Bart, wie mir scheinen will, mit seinem feinen Haar, entspricht noch der
Weichheit jüngerer Jahres Auf den Porträts wird Sultan Abdul Medschid
meistens idealisirt; mir will scheinen, daß man seine Nase, die zwar nicht
übergroß ist, immerhin aber äußerst markirt hervortritt, zu schmal zeichnet.
Im Widerspruch mit Moritz Hartmann muß ich gestehen, daß mir die Form
des Gesichts vom Padischah sehr orientalisch und auch wesentlich türkisch er¬
scheint, aber jenem osmqnischen besonderartigen Typus verwandt, der aus den
Heirathen der Vornehmen mit Circassierinnen entstanden ist. Ihm liegt, un¬
geachtet seiner Kränklichkeit und des Uebermaßes in mancherlei Genüssen ein
unverkennbarer Adel in den Zügen, um Augen und Mund. Aus wen des
Sultans Antlitz einen anderen Eindruck machte, der brachte es wol zu eng
mit der Haltung seiner ganzen Gestalt zusammen, die allerdings keineswegs
würdevoll, im Gegentheil als ein Bild immenser Schwäche und Hinfälligkeit
und Mangel an Schönheit erscheint. Abdul Medschid sitzt gedrückt zu Pferde
und mit einem nicht wiederzugebenden Ausdruck halb von Mißbehagen, halb
von Ermattung. Man erkennt, daß er von den Leidenschaften des Vaters
(Mahmud >l.) in dieser Hinsicht wenig geerbt und daß sich in ihm kein
Abglanz jener wilden Begierde nach physischen Thaten erhalten hat, die den
Vernichter der Janitscharen im Fluge von Baschik-Käses nach Kiathane reiten
und manches edle Roß aus Arabistan tvdtjagen ließ.

Wenn man den Hünkier (Würger, der am meisten im Gebrauch befind¬
liche Name für den Sultan unter der türkischen Bevölkerung) stehend sieht,
wird man gewahr, daß seine Größe unbedeutend ist und kaum das mittlere
Maß erreicht. Aber meinem Gefühl nach ist seine Haltung zu Fuß edler wie
die im Sattel. Mit einer feinen Hand hält er beim Hinaufsteigen auf die
Stufen der breiten Treppe, die von seinem Palais lTscheraghan) zum Meer
herniederführt, die Falten seines dunkelfarbigen weiten Mantels gefaßt, die
andere Hand ist in die Hüften eingelegt, gleichsam um den beim Hochheben
wankenden Körper mehr zu unterstützen. Langsam freilich ist der Schritt, an'er
nicht eine Bewegung erscheint plump oder eckig. Die ganze Erscheinung ver¬
räth durch alle Hinfälligkeit hindurch, welche sie umgibt, dennoch den vor¬
nehmen, hochstehenden, wenn auch nicht den gebietenden, herrschenden Mann
und höchsten Chef eines großen, kriegerischen Volkes.

Es ist bezeichnend für die ganze Art des Sultans Abdul Medschid, daß


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[0330] andauern derll.Schaban 1238 nach der Hegyra). Dem entspricht nicht sein Aeußeres, welches auf einen Vierziger eher, wie auf einen angehenden Drei¬ ßiger schließen läßt. Diesen bleichen Wangen sind zwar noch keine tiefen Falten eingegraben, aber sie sind keineswegs mehr jugendlich aussehend; um die äußeren Augenwinkel herum sind jene strahlenförmigen Runzeln bereits sichtbar, die den Eintritt in ein reiferes Mannesalter bezeichnen, und nur der Bart, wie mir scheinen will, mit seinem feinen Haar, entspricht noch der Weichheit jüngerer Jahres Auf den Porträts wird Sultan Abdul Medschid meistens idealisirt; mir will scheinen, daß man seine Nase, die zwar nicht übergroß ist, immerhin aber äußerst markirt hervortritt, zu schmal zeichnet. Im Widerspruch mit Moritz Hartmann muß ich gestehen, daß mir die Form des Gesichts vom Padischah sehr orientalisch und auch wesentlich türkisch er¬ scheint, aber jenem osmqnischen besonderartigen Typus verwandt, der aus den Heirathen der Vornehmen mit Circassierinnen entstanden ist. Ihm liegt, un¬ geachtet seiner Kränklichkeit und des Uebermaßes in mancherlei Genüssen ein unverkennbarer Adel in den Zügen, um Augen und Mund. Aus wen des Sultans Antlitz einen anderen Eindruck machte, der brachte es wol zu eng mit der Haltung seiner ganzen Gestalt zusammen, die allerdings keineswegs würdevoll, im Gegentheil als ein Bild immenser Schwäche und Hinfälligkeit und Mangel an Schönheit erscheint. Abdul Medschid sitzt gedrückt zu Pferde und mit einem nicht wiederzugebenden Ausdruck halb von Mißbehagen, halb von Ermattung. Man erkennt, daß er von den Leidenschaften des Vaters (Mahmud >l.) in dieser Hinsicht wenig geerbt und daß sich in ihm kein Abglanz jener wilden Begierde nach physischen Thaten erhalten hat, die den Vernichter der Janitscharen im Fluge von Baschik-Käses nach Kiathane reiten und manches edle Roß aus Arabistan tvdtjagen ließ. Wenn man den Hünkier (Würger, der am meisten im Gebrauch befind¬ liche Name für den Sultan unter der türkischen Bevölkerung) stehend sieht, wird man gewahr, daß seine Größe unbedeutend ist und kaum das mittlere Maß erreicht. Aber meinem Gefühl nach ist seine Haltung zu Fuß edler wie die im Sattel. Mit einer feinen Hand hält er beim Hinaufsteigen auf die Stufen der breiten Treppe, die von seinem Palais lTscheraghan) zum Meer herniederführt, die Falten seines dunkelfarbigen weiten Mantels gefaßt, die andere Hand ist in die Hüften eingelegt, gleichsam um den beim Hochheben wankenden Körper mehr zu unterstützen. Langsam freilich ist der Schritt, an'er nicht eine Bewegung erscheint plump oder eckig. Die ganze Erscheinung ver¬ räth durch alle Hinfälligkeit hindurch, welche sie umgibt, dennoch den vor¬ nehmen, hochstehenden, wenn auch nicht den gebietenden, herrschenden Mann und höchsten Chef eines großen, kriegerischen Volkes. Es ist bezeichnend für die ganze Art des Sultans Abdul Medschid, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/330>, abgerufen am 19.05.2024.