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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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er sich am häufigsten im Wagen zeigt, den seine Vorgänger wol nie oder nur
selten bestiegen. Die Etikette leidet nicht, daß die Achsen desselben Fuhrwerks,
welches den Beherrscher der Gläubigen zum Insassen hat, noch ein anderes
Menschenkind tragen. Daraus geht die Nothwendigkeit hervor, daß der Pa¬
uschal) die Zügel in eigner Person führt. Er liegt nicht, wie man vermu¬
then möchte, in dem Fond des Wagens, nach hinten überlehnend, sondern
sitzt vorgebeugt und führt die beiden herrlichen Pferde mit besonderer Aufmerk¬
samkeit, jeden Stein inmitten des Weges, der den Rädern ein Anstoß werden
konnte, sorgsam vermeidend. Rechts und links vom Wazenschlagc schreitet ein
Reitknecht in dem bekannten blauen Rock mit dem hellen Schnurenbesatz. Sie
brauchen sich nicht zu übereilen, denn das Ganze geht meistens wie ein Leichen¬
zug daher. Unmittelbar hinter dem Wagen reiten die Kammerherren und wer
sich sonst im Gefolge befindet; es mögen wol in der Regel fünfzig Kavaliere
sein; zwanzig Lanciers schließen hinter diesen den Zug.

In Erstaunen müßte es setzen, wenn in dem fragilen Körper des Mon¬
archen, hinter diesen braunen, etwas matten, aber unendlich mild schauenden
Augen ein energischer Geist, etwa wie der des Sultan Mahmud, aufge¬
richtet stände. Es ist das nicht der Fall. Aus dem Throne Osmans saß ent¬
schieden noch nie ein Fürst, dem die Wildheit und schreckende Kraftfülle des
türkischen Charakters fremder gewesen wäre. Abdul Medschid soll das Eben¬
bild seiner Mutter in dieser Hinsicht sein. Vom Vater hat er in, Gesicht zwar
Züge, im Innern keine. Unzählige Anekdoten belegen dies.




Fürst Pnskewitfch und feine Kriegführungsmethode.

Wir haben mit der strategischen Befähigung russisch er Heerführer seither
nie große Vorstellungen verbunden. In den meisten großen Kriegen, welche
das Zarenreich bis dahin geführt hat, machte sich die obere Armeeleitung
durch eine ganz besondere Ungeschicklichkeit bemerkbar. Nur bedingungsweise
wachen hiervon die Feldzüge Suwarows und die Campagne des Jahres 1812
ni"e Ausnahme. In neuerer Zeit bot der polnische Jnsurrectionskrieg einen
Neuen Beleg für den Mangel aller strategischen Einsicht im russischen General-
^ab. Niemals wurde indeß diese Schwäche offener zu Tage gelegt, wie in
unsren Tagen durch den ungarischen Feldzug des Fürsten Paskewitsch und seine
diesjährige Campagne in der Türkei.

Der letztere russische Feldherr ist -- wiewol er jüngst vom Schauplatz abtrat
Und schwerlich wieder auf demselben erscheinen wird, -- darum eine Person
von hohem und bleibendem Interesse für alle diejenigen, welche sich mit der


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er sich am häufigsten im Wagen zeigt, den seine Vorgänger wol nie oder nur
selten bestiegen. Die Etikette leidet nicht, daß die Achsen desselben Fuhrwerks,
welches den Beherrscher der Gläubigen zum Insassen hat, noch ein anderes
Menschenkind tragen. Daraus geht die Nothwendigkeit hervor, daß der Pa¬
uschal) die Zügel in eigner Person führt. Er liegt nicht, wie man vermu¬
then möchte, in dem Fond des Wagens, nach hinten überlehnend, sondern
sitzt vorgebeugt und führt die beiden herrlichen Pferde mit besonderer Aufmerk¬
samkeit, jeden Stein inmitten des Weges, der den Rädern ein Anstoß werden
konnte, sorgsam vermeidend. Rechts und links vom Wazenschlagc schreitet ein
Reitknecht in dem bekannten blauen Rock mit dem hellen Schnurenbesatz. Sie
brauchen sich nicht zu übereilen, denn das Ganze geht meistens wie ein Leichen¬
zug daher. Unmittelbar hinter dem Wagen reiten die Kammerherren und wer
sich sonst im Gefolge befindet; es mögen wol in der Regel fünfzig Kavaliere
sein; zwanzig Lanciers schließen hinter diesen den Zug.

In Erstaunen müßte es setzen, wenn in dem fragilen Körper des Mon¬
archen, hinter diesen braunen, etwas matten, aber unendlich mild schauenden
Augen ein energischer Geist, etwa wie der des Sultan Mahmud, aufge¬
richtet stände. Es ist das nicht der Fall. Aus dem Throne Osmans saß ent¬
schieden noch nie ein Fürst, dem die Wildheit und schreckende Kraftfülle des
türkischen Charakters fremder gewesen wäre. Abdul Medschid soll das Eben¬
bild seiner Mutter in dieser Hinsicht sein. Vom Vater hat er in, Gesicht zwar
Züge, im Innern keine. Unzählige Anekdoten belegen dies.




Fürst Pnskewitfch und feine Kriegführungsmethode.

Wir haben mit der strategischen Befähigung russisch er Heerführer seither
nie große Vorstellungen verbunden. In den meisten großen Kriegen, welche
das Zarenreich bis dahin geführt hat, machte sich die obere Armeeleitung
durch eine ganz besondere Ungeschicklichkeit bemerkbar. Nur bedingungsweise
wachen hiervon die Feldzüge Suwarows und die Campagne des Jahres 1812
ni»e Ausnahme. In neuerer Zeit bot der polnische Jnsurrectionskrieg einen
Neuen Beleg für den Mangel aller strategischen Einsicht im russischen General-
^ab. Niemals wurde indeß diese Schwäche offener zu Tage gelegt, wie in
unsren Tagen durch den ungarischen Feldzug des Fürsten Paskewitsch und seine
diesjährige Campagne in der Türkei.

Der letztere russische Feldherr ist — wiewol er jüngst vom Schauplatz abtrat
Und schwerlich wieder auf demselben erscheinen wird, — darum eine Person
von hohem und bleibendem Interesse für alle diejenigen, welche sich mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/331>, abgerufen am 06.05.2024.