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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zu Lande zu machen, oder bei Burgas zu debarkiren (siehe meine Reisebilder),
In jedem Fall mußten sie unter der gemachten Voraussetzung den Balkan
überschreiten, anstatt ihn zu umschiffen, wie es nunmehr geschehen ist.

Diesem klaren und folgerichtigen Operationsentwurf, der sich in jenen
Tagen jedem umsichtigen Militär aufdrängen mußte, welcher sich in den Geist des
Fürsten-Generalissimus versetzte, stellte derselbe einen andern voran, dessen
Hauptzweck darauf hinauslief, durch den Gewinn der Festung Silistria eine ausge¬
dehntere Basis auf dem rechten Donauufer in Besitz zu nehmen. Correct im kriti¬
schen Sinne wurde diese Absicht erst, nachdem im Juni die englisch-französische
Armee in der Bulgarei Fuß zu fassen begann und infolge dessen der russischen
Basis zwischen Ezernawoda und Kustendsche eine feindliche, sie links überragende,
von Varna bis Schumlci und Tirnowa entgegentrat. Aber die Initiative war
russischerseits, das konnte für niemanden mehr einem Zweifel unterliegen, für
immer aufgegeben. Aus der Offensive war man damit entschieden in die Defensive
zurückgetreten. Der Krieg hatte seine Form verändert, ohne daß eine Schlacht
verloren gegangen wäre, und zwar lediglich durch die falsche und einsichtslose
Methode, nach welcher der Fürst von Warschau ihn begonnen. Seine stra¬
tegische Niederlage war entschieden, noch ehe er die Belagerung von Silistria
in schmählicher Weise aufgegeben. Der spätere Rückzug über die Donau drückte
ihm eben nur noch das Siegel auf.

Für das Heil Europas, und insbesondere Deutschlands, können wir keinen
bessern Wunsch hegen, als daß des Feldmarschalls Paskewitsch Kriegssyste-n
sich traditionell im russischen Generalstabe erhalten möge. Wir sind, wen"
Rußland im jetzigen Kriege nicht gedemüthigt und niedergelegt wird, für die
Zukunft zwar neuer Attentate auf das Recht, die Freiheit und die Existenz
benachbarter Völker gewiß, aber wir fürchten sie nicht mehr, weil wir die
Ueberzeugung hegen: alle derartigen Versuche würden vereitelt
werden, falls der Zar und seine Feldherrn das alte System bei¬
behalten.




Ueber die neuen Aussichten für Deutschlands Macht
entfaltung zur See.

Die Tage sind noch in unser aller Erinnerung, wo die im Bewegungs¬
jahre 1848 geschaffene deutsche Marine, weil man sie als ein revolutionäres
Institut betrachtete, zur Auflösung verurtheilt und schließlich das letzte Schiff
unter den Hämmer des Auctionators gestellt wurde. Nichtsdestoweniger ver-


zu Lande zu machen, oder bei Burgas zu debarkiren (siehe meine Reisebilder),
In jedem Fall mußten sie unter der gemachten Voraussetzung den Balkan
überschreiten, anstatt ihn zu umschiffen, wie es nunmehr geschehen ist.

Diesem klaren und folgerichtigen Operationsentwurf, der sich in jenen
Tagen jedem umsichtigen Militär aufdrängen mußte, welcher sich in den Geist des
Fürsten-Generalissimus versetzte, stellte derselbe einen andern voran, dessen
Hauptzweck darauf hinauslief, durch den Gewinn der Festung Silistria eine ausge¬
dehntere Basis auf dem rechten Donauufer in Besitz zu nehmen. Correct im kriti¬
schen Sinne wurde diese Absicht erst, nachdem im Juni die englisch-französische
Armee in der Bulgarei Fuß zu fassen begann und infolge dessen der russischen
Basis zwischen Ezernawoda und Kustendsche eine feindliche, sie links überragende,
von Varna bis Schumlci und Tirnowa entgegentrat. Aber die Initiative war
russischerseits, das konnte für niemanden mehr einem Zweifel unterliegen, für
immer aufgegeben. Aus der Offensive war man damit entschieden in die Defensive
zurückgetreten. Der Krieg hatte seine Form verändert, ohne daß eine Schlacht
verloren gegangen wäre, und zwar lediglich durch die falsche und einsichtslose
Methode, nach welcher der Fürst von Warschau ihn begonnen. Seine stra¬
tegische Niederlage war entschieden, noch ehe er die Belagerung von Silistria
in schmählicher Weise aufgegeben. Der spätere Rückzug über die Donau drückte
ihm eben nur noch das Siegel auf.

Für das Heil Europas, und insbesondere Deutschlands, können wir keinen
bessern Wunsch hegen, als daß des Feldmarschalls Paskewitsch Kriegssyste-n
sich traditionell im russischen Generalstabe erhalten möge. Wir sind, wen»
Rußland im jetzigen Kriege nicht gedemüthigt und niedergelegt wird, für die
Zukunft zwar neuer Attentate auf das Recht, die Freiheit und die Existenz
benachbarter Völker gewiß, aber wir fürchten sie nicht mehr, weil wir die
Ueberzeugung hegen: alle derartigen Versuche würden vereitelt
werden, falls der Zar und seine Feldherrn das alte System bei¬
behalten.




Ueber die neuen Aussichten für Deutschlands Macht
entfaltung zur See.

Die Tage sind noch in unser aller Erinnerung, wo die im Bewegungs¬
jahre 1848 geschaffene deutsche Marine, weil man sie als ein revolutionäres
Institut betrachtete, zur Auflösung verurtheilt und schließlich das letzte Schiff
unter den Hämmer des Auctionators gestellt wurde. Nichtsdestoweniger ver-


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[0334] zu Lande zu machen, oder bei Burgas zu debarkiren (siehe meine Reisebilder), In jedem Fall mußten sie unter der gemachten Voraussetzung den Balkan überschreiten, anstatt ihn zu umschiffen, wie es nunmehr geschehen ist. Diesem klaren und folgerichtigen Operationsentwurf, der sich in jenen Tagen jedem umsichtigen Militär aufdrängen mußte, welcher sich in den Geist des Fürsten-Generalissimus versetzte, stellte derselbe einen andern voran, dessen Hauptzweck darauf hinauslief, durch den Gewinn der Festung Silistria eine ausge¬ dehntere Basis auf dem rechten Donauufer in Besitz zu nehmen. Correct im kriti¬ schen Sinne wurde diese Absicht erst, nachdem im Juni die englisch-französische Armee in der Bulgarei Fuß zu fassen begann und infolge dessen der russischen Basis zwischen Ezernawoda und Kustendsche eine feindliche, sie links überragende, von Varna bis Schumlci und Tirnowa entgegentrat. Aber die Initiative war russischerseits, das konnte für niemanden mehr einem Zweifel unterliegen, für immer aufgegeben. Aus der Offensive war man damit entschieden in die Defensive zurückgetreten. Der Krieg hatte seine Form verändert, ohne daß eine Schlacht verloren gegangen wäre, und zwar lediglich durch die falsche und einsichtslose Methode, nach welcher der Fürst von Warschau ihn begonnen. Seine stra¬ tegische Niederlage war entschieden, noch ehe er die Belagerung von Silistria in schmählicher Weise aufgegeben. Der spätere Rückzug über die Donau drückte ihm eben nur noch das Siegel auf. Für das Heil Europas, und insbesondere Deutschlands, können wir keinen bessern Wunsch hegen, als daß des Feldmarschalls Paskewitsch Kriegssyste-n sich traditionell im russischen Generalstabe erhalten möge. Wir sind, wen» Rußland im jetzigen Kriege nicht gedemüthigt und niedergelegt wird, für die Zukunft zwar neuer Attentate auf das Recht, die Freiheit und die Existenz benachbarter Völker gewiß, aber wir fürchten sie nicht mehr, weil wir die Ueberzeugung hegen: alle derartigen Versuche würden vereitelt werden, falls der Zar und seine Feldherrn das alte System bei¬ behalten. Ueber die neuen Aussichten für Deutschlands Macht entfaltung zur See. Die Tage sind noch in unser aller Erinnerung, wo die im Bewegungs¬ jahre 1848 geschaffene deutsche Marine, weil man sie als ein revolutionäres Institut betrachtete, zur Auflösung verurtheilt und schließlich das letzte Schiff unter den Hämmer des Auctionators gestellt wurde. Nichtsdestoweniger ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/334>, abgerufen am 07.05.2024.