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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Den Berliner Geist schildert er sehr gut. Auf der einen Seite die steifen
Wachparaden und die damit übereinstimmende altkluge Hegelsche Philosophie,
auf der andern jenen übermüthigen Leichtsinn, der jeden Spaß ebenso versteht,
als ausübt. Steffens trat, da außerdem die Detailstudien immer mehr um
sich griffen, in eine ihm eigentlich ganz.fremde Welt. Wegen seiner gut¬
müthigen Haltung und seiner interessanten Einfälle war er allgemein beliebt,
aber in das allgemeine Leben griff er nicht mehr ein. Sein Zusammenleben
mit seinen alten Freunden aus der romantischen Schule, mit Schelling, Tieck
und andern, bewegte sich nur noch in Reminiscenzen. So auch seine Romane.
Im Gegensatz gegen alle sonstige Gewohnheit wandte er sich erst im späten
Alter zur Poesie. In seinem S2. Jahre schrieb er den "Walseth", dann
später die "vier Norweger", den "Malcolm", endlich im 6t. die "Re¬
volution". Er war als Dichter waS er früher als Philosoph war. Leben¬
dige Gestalten hat er nicht geschaffen; zu einer großen durchgreifenden Com-
Position fehlte ihm der Muth; aber seine Schilderungen aus dem geistigen
Leben der Zeit überströmen von artigen und zierlichen Einfällen, und seine
Anschauung der Natur ist in den wärmsten, lebendigsten Farben gehalten.

Seine poetische Thätigkeit erwarb ihm die allgemeine Gunst der geist¬
vollen Frauen. Mit Rahel, Bettine, Amalie von Helbig, Charlotte Stieg¬
litz u. a. stand er in einem intimen Verkehr. Sie durchschauten gegenseitig
'hre kleinen Schwächen und liebten einander um so eifriger. Es war das
^ublicum, für das er eigentlich immer empfunden und gedacht hatte. --

Schellings Tod.

-- Indem wir die obigen Bemerkungen niederschrei¬
en, geht durch die Zeitungen die Nachricht von SchelUngs Tod. So ist
denn einer der letzten von den Vertretern einer höchst denkwürdigen und trotz
"iter Verirrungen großen Literaturepoche dahingegangen. Er hat ein Alter
^reicht, welches ihn in der spätern Zeit der Polemik, der eine junge auf¬
gebende Kraft ausgesetzt ist, zu entziehen schien, und doch fand er noch
Zuhält genug in seinem Geist, um gleichsam in der letzten Periode der ab¬
sterbenden Speculation eine nicht geringe Anregung hervorzubringen. Die
^oductive Periode der abstracten Speculation möchte jetzt wenigstens vorläufig
Schlossen sein, und darum werden seine Schriften für den Augenblick in das
Gliede Leben der Wissenschaft nicht eingreifen. Aber als Denkmal einer Gäh-
^ug ohne Gleichen in der deutschen Literaturentwicklung müssen sie noch im-
ein großes Interesse erregen, und wir erwarten, daher die Sammlung seiner
Schriften, die doch wol nicht ausbleiben wird, mit Spannung. Auch über
>^>n Leben und seinen unmittelbaren persönlichen Einfluß aus unsre Literatur
'se bis jetzt verhältnißmäßig noch sehr wenig veröffentlicht. Es ist zu erwar¬
tn, daß sich vorläufig seine Verehrer dieser Ausgabe unterziehen werden, die
Mer ano nächsten liegt. Allein wir hoffen auch, daß von andrer Seite die


Grmzbole". lit. lijlli. 49

Den Berliner Geist schildert er sehr gut. Auf der einen Seite die steifen
Wachparaden und die damit übereinstimmende altkluge Hegelsche Philosophie,
auf der andern jenen übermüthigen Leichtsinn, der jeden Spaß ebenso versteht,
als ausübt. Steffens trat, da außerdem die Detailstudien immer mehr um
sich griffen, in eine ihm eigentlich ganz.fremde Welt. Wegen seiner gut¬
müthigen Haltung und seiner interessanten Einfälle war er allgemein beliebt,
aber in das allgemeine Leben griff er nicht mehr ein. Sein Zusammenleben
mit seinen alten Freunden aus der romantischen Schule, mit Schelling, Tieck
und andern, bewegte sich nur noch in Reminiscenzen. So auch seine Romane.
Im Gegensatz gegen alle sonstige Gewohnheit wandte er sich erst im späten
Alter zur Poesie. In seinem S2. Jahre schrieb er den „Walseth", dann
später die „vier Norweger", den „Malcolm", endlich im 6t. die „Re¬
volution". Er war als Dichter waS er früher als Philosoph war. Leben¬
dige Gestalten hat er nicht geschaffen; zu einer großen durchgreifenden Com-
Position fehlte ihm der Muth; aber seine Schilderungen aus dem geistigen
Leben der Zeit überströmen von artigen und zierlichen Einfällen, und seine
Anschauung der Natur ist in den wärmsten, lebendigsten Farben gehalten.

Seine poetische Thätigkeit erwarb ihm die allgemeine Gunst der geist¬
vollen Frauen. Mit Rahel, Bettine, Amalie von Helbig, Charlotte Stieg¬
litz u. a. stand er in einem intimen Verkehr. Sie durchschauten gegenseitig
'hre kleinen Schwächen und liebten einander um so eifriger. Es war das
^ublicum, für das er eigentlich immer empfunden und gedacht hatte. —

Schellings Tod.

— Indem wir die obigen Bemerkungen niederschrei¬
en, geht durch die Zeitungen die Nachricht von SchelUngs Tod. So ist
denn einer der letzten von den Vertretern einer höchst denkwürdigen und trotz
"iter Verirrungen großen Literaturepoche dahingegangen. Er hat ein Alter
^reicht, welches ihn in der spätern Zeit der Polemik, der eine junge auf¬
gebende Kraft ausgesetzt ist, zu entziehen schien, und doch fand er noch
Zuhält genug in seinem Geist, um gleichsam in der letzten Periode der ab¬
sterbenden Speculation eine nicht geringe Anregung hervorzubringen. Die
^oductive Periode der abstracten Speculation möchte jetzt wenigstens vorläufig
Schlossen sein, und darum werden seine Schriften für den Augenblick in das
Gliede Leben der Wissenschaft nicht eingreifen. Aber als Denkmal einer Gäh-
^ug ohne Gleichen in der deutschen Literaturentwicklung müssen sie noch im-
ein großes Interesse erregen, und wir erwarten, daher die Sammlung seiner
Schriften, die doch wol nicht ausbleiben wird, mit Spannung. Auch über
>^>n Leben und seinen unmittelbaren persönlichen Einfluß aus unsre Literatur
'se bis jetzt verhältnißmäßig noch sehr wenig veröffentlicht. Es ist zu erwar¬
tn, daß sich vorläufig seine Verehrer dieser Ausgabe unterziehen werden, die
Mer ano nächsten liegt. Allein wir hoffen auch, daß von andrer Seite die


Grmzbole». lit. lijlli. 49
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[0393] Den Berliner Geist schildert er sehr gut. Auf der einen Seite die steifen Wachparaden und die damit übereinstimmende altkluge Hegelsche Philosophie, auf der andern jenen übermüthigen Leichtsinn, der jeden Spaß ebenso versteht, als ausübt. Steffens trat, da außerdem die Detailstudien immer mehr um sich griffen, in eine ihm eigentlich ganz.fremde Welt. Wegen seiner gut¬ müthigen Haltung und seiner interessanten Einfälle war er allgemein beliebt, aber in das allgemeine Leben griff er nicht mehr ein. Sein Zusammenleben mit seinen alten Freunden aus der romantischen Schule, mit Schelling, Tieck und andern, bewegte sich nur noch in Reminiscenzen. So auch seine Romane. Im Gegensatz gegen alle sonstige Gewohnheit wandte er sich erst im späten Alter zur Poesie. In seinem S2. Jahre schrieb er den „Walseth", dann später die „vier Norweger", den „Malcolm", endlich im 6t. die „Re¬ volution". Er war als Dichter waS er früher als Philosoph war. Leben¬ dige Gestalten hat er nicht geschaffen; zu einer großen durchgreifenden Com- Position fehlte ihm der Muth; aber seine Schilderungen aus dem geistigen Leben der Zeit überströmen von artigen und zierlichen Einfällen, und seine Anschauung der Natur ist in den wärmsten, lebendigsten Farben gehalten. Seine poetische Thätigkeit erwarb ihm die allgemeine Gunst der geist¬ vollen Frauen. Mit Rahel, Bettine, Amalie von Helbig, Charlotte Stieg¬ litz u. a. stand er in einem intimen Verkehr. Sie durchschauten gegenseitig 'hre kleinen Schwächen und liebten einander um so eifriger. Es war das ^ublicum, für das er eigentlich immer empfunden und gedacht hatte. — Schellings Tod. — Indem wir die obigen Bemerkungen niederschrei¬ en, geht durch die Zeitungen die Nachricht von SchelUngs Tod. So ist denn einer der letzten von den Vertretern einer höchst denkwürdigen und trotz "iter Verirrungen großen Literaturepoche dahingegangen. Er hat ein Alter ^reicht, welches ihn in der spätern Zeit der Polemik, der eine junge auf¬ gebende Kraft ausgesetzt ist, zu entziehen schien, und doch fand er noch Zuhält genug in seinem Geist, um gleichsam in der letzten Periode der ab¬ sterbenden Speculation eine nicht geringe Anregung hervorzubringen. Die ^oductive Periode der abstracten Speculation möchte jetzt wenigstens vorläufig Schlossen sein, und darum werden seine Schriften für den Augenblick in das Gliede Leben der Wissenschaft nicht eingreifen. Aber als Denkmal einer Gäh- ^ug ohne Gleichen in der deutschen Literaturentwicklung müssen sie noch im- ein großes Interesse erregen, und wir erwarten, daher die Sammlung seiner Schriften, die doch wol nicht ausbleiben wird, mit Spannung. Auch über >^>n Leben und seinen unmittelbaren persönlichen Einfluß aus unsre Literatur 'se bis jetzt verhältnißmäßig noch sehr wenig veröffentlicht. Es ist zu erwar¬ tn, daß sich vorläufig seine Verehrer dieser Ausgabe unterziehen werden, die Mer ano nächsten liegt. Allein wir hoffen auch, daß von andrer Seite die Grmzbole». lit. lijlli. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/393>, abgerufen am 06.05.2024.