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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gründen wollte und der es als seine Lebensaufgabe ansah, das deutsche Volk
mit seinem größten Mann, mit dem herrlichen Jacob Böhme, bekannt zu
machen. So lebte er im schwankenden Mysticismus fort, obgleich ihm in sei¬
nem Leben mehrmals die Gefahr des Mysticismus sehr nahe getreten war.
Schon 1803 äußerte er sich bei Begegnung eines mystischen Abenteuers: "es
ward mir klar, wie ein solches unthätiges, träumendes und grübelndes Leben
nicht blos äußere, sondern auch innere sittliche Gefahren herbeiführt, und wie
die träumerische Trägheit und die scheinbare Beschäftigung mit gestaltlosen,
unfruchtbaren, religiösen Anschauungen ein unchristliches Leben erzeugt. Das
wahre christliche Leben zeichnet sich durch Mühe, Arbeit, angestrengte, ver¬
ständig auf die drängende Gegenwart berechnete Thätigkeit aus. Nur aus einer
solchen ununterbrochenen Thätigkeit entspringt die freudige Zuversicht, die
allein für den heutigen Tag sorgt und die nächste Zukunft ruhig Gott über¬
läßt." -- Trotz dieser sehr wahren Ueberzeugung war seine eigne Thätigkeit doch
ganz so, wie er sie hier als verwerflich schildert.

Einen Wendepunkt in seinem Leben bildete die Bekanntschaft mit dem luthe¬
rischen Prediger Scheibe! in Breslau, nicht weil dieser seinem Verstand und
seinem Gemüth neue Nahrung gegeben hätte, sondern weil ihm seine Persön¬
lichkeit imponirte. In Halle hatte sich Steffens zu der reformirten Kirche seines
Freundes Schleiermacher gehalten, weil ihm die Confesston an sich gleichgiltig war-
Nun erfolgten die bekannten Unionöprojecte. Man wollte die Vereinigung der
beiden Kirchen, die im Bewußtsein aller Gebildeten lange als nothwendig auf¬
gefaßt war, mit roher polizeilicher Gewalt durchführen. Steffens Phantasie
wurde angeregt und er erblickte die rennenden Altlutheraner, an deren spil^
sich sein Freund Scheibe! stellte, im Licht von Märtyrern. In seiner Schrift
"von der falschen Theologie und dem wahren Glauben" (1823) stellt'
er sich entschieden aus diese Seite und nahm auch mit dem Professor Husche'
dem einzigen aus den gebildeten Ständen, der sich außer ihm der Sekte an¬
schloß, an ihren Conventikeln theil. Aber es ging ihm darin ganz u""-
Chateaubriand, es kam ihm nur darauf an, sich vor seiner eignen Phantasie
glänzend zu drapiren; eigentlich verachtete er seine ungebildeten Verbündeten
und stellte sich ihnen als vornehmer Beschützer gegenüber. Er hatte wie d>e
meisten Männer aus den gebildeten Classen, die sich aus irgend einem Rä-
sonnement einer ungebildeten Bewegung anschließen, nie den höhern M",et)
seiner Meinung, sondern nur jene fliegene Hitze, die immer geheime Reserve
livrer macht. Mit den Altlutherancrn wurde in der That auf eine höchst u"-
gerechtfertigte Weise umgegangen. Steffens selbst wurde durch die Gunst des
Kronprinzen geschützt, und als die Sache eine ernstre Wendung nahm, wurde ^
durch eine Versetzung nach Berlin -1832 aus seiner unbequemen Stellung befreit-
Vorher hatte er noch die Schrift "Wie ich wieder lutherisch^wurde", veröffentlicht-


gründen wollte und der es als seine Lebensaufgabe ansah, das deutsche Volk
mit seinem größten Mann, mit dem herrlichen Jacob Böhme, bekannt zu
machen. So lebte er im schwankenden Mysticismus fort, obgleich ihm in sei¬
nem Leben mehrmals die Gefahr des Mysticismus sehr nahe getreten war.
Schon 1803 äußerte er sich bei Begegnung eines mystischen Abenteuers: „es
ward mir klar, wie ein solches unthätiges, träumendes und grübelndes Leben
nicht blos äußere, sondern auch innere sittliche Gefahren herbeiführt, und wie
die träumerische Trägheit und die scheinbare Beschäftigung mit gestaltlosen,
unfruchtbaren, religiösen Anschauungen ein unchristliches Leben erzeugt. Das
wahre christliche Leben zeichnet sich durch Mühe, Arbeit, angestrengte, ver¬
ständig auf die drängende Gegenwart berechnete Thätigkeit aus. Nur aus einer
solchen ununterbrochenen Thätigkeit entspringt die freudige Zuversicht, die
allein für den heutigen Tag sorgt und die nächste Zukunft ruhig Gott über¬
läßt." — Trotz dieser sehr wahren Ueberzeugung war seine eigne Thätigkeit doch
ganz so, wie er sie hier als verwerflich schildert.

Einen Wendepunkt in seinem Leben bildete die Bekanntschaft mit dem luthe¬
rischen Prediger Scheibe! in Breslau, nicht weil dieser seinem Verstand und
seinem Gemüth neue Nahrung gegeben hätte, sondern weil ihm seine Persön¬
lichkeit imponirte. In Halle hatte sich Steffens zu der reformirten Kirche seines
Freundes Schleiermacher gehalten, weil ihm die Confesston an sich gleichgiltig war-
Nun erfolgten die bekannten Unionöprojecte. Man wollte die Vereinigung der
beiden Kirchen, die im Bewußtsein aller Gebildeten lange als nothwendig auf¬
gefaßt war, mit roher polizeilicher Gewalt durchführen. Steffens Phantasie
wurde angeregt und er erblickte die rennenden Altlutheraner, an deren spil^
sich sein Freund Scheibe! stellte, im Licht von Märtyrern. In seiner Schrift
„von der falschen Theologie und dem wahren Glauben" (1823) stellt'
er sich entschieden aus diese Seite und nahm auch mit dem Professor Husche'
dem einzigen aus den gebildeten Ständen, der sich außer ihm der Sekte an¬
schloß, an ihren Conventikeln theil. Aber es ging ihm darin ganz u»«-
Chateaubriand, es kam ihm nur darauf an, sich vor seiner eignen Phantasie
glänzend zu drapiren; eigentlich verachtete er seine ungebildeten Verbündeten
und stellte sich ihnen als vornehmer Beschützer gegenüber. Er hatte wie d>e
meisten Männer aus den gebildeten Classen, die sich aus irgend einem Rä-
sonnement einer ungebildeten Bewegung anschließen, nie den höhern M",et)
seiner Meinung, sondern nur jene fliegene Hitze, die immer geheime Reserve
livrer macht. Mit den Altlutherancrn wurde in der That auf eine höchst u»-
gerechtfertigte Weise umgegangen. Steffens selbst wurde durch die Gunst des
Kronprinzen geschützt, und als die Sache eine ernstre Wendung nahm, wurde ^
durch eine Versetzung nach Berlin -1832 aus seiner unbequemen Stellung befreit-
Vorher hatte er noch die Schrift „Wie ich wieder lutherisch^wurde", veröffentlicht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/392>, abgerufen am 19.05.2024.