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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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H. Heine und G. Sand.
Vermischte Schriften von Heinrich Heine. 3 Bände. Hamburg,
Hoffmann und Campe. --
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Es ist charakteristisch, daß die beiden Schriftsteller, welche Ungefähr für die
nämliche Periode der deutschen und französischen Literatur eine ungewöhnliche
Bedeutung in Anspruch nehmen dürfen, im gegenwärtigen Augenblick daraus
denken, das Publicum, welches sie bisher durch freie Schöpfungen erfreut, mit
ihren eignen Erinnerungen zu unterhalten. Man fühlt sich in der Stimmung,
von seinem Leben Rechenschaft zu geben, sobald man merkt, daß es mit der
eignen Production zur Neige geht; und das konnte man in der That schon
seit einiger Zeit bei beiden Schriftstellern finden. Wir geben zwar nicht die
Hoffnung auf, im einzelnen noch manche glückliche Leistung von ihnen zu er¬
leben, die uns an die alte Zeit erinnert, aber daß sie noch einmal bedeutend
in die Literatur eingreifen sollten, läßt sich nicht erwarten. Für eine bestimmte
Entwicklungsperiode der Cultur füllen sie einen ansehnlichen Platz aus, aber
diese Entwicklungsperiode ist jetzt vorüber, und man möge es uns nicht ver¬
argen, wenn wir "Gott sei Dank" dazu sagen.

Selbstbiographien sind unzweifelhaft für die Auffassung historischer Zustände
und auch für die Kenntniß des menschlichen Herzens höchst belehrend, wenn
sie mit Hingebung und Gewissenhaftigkeit geschrieben werden. Es läßt sich
aber nicht leugnen, daß für ein sein empfindendes Gemüth mit dieser Thätigkeit
immer etwas Unbequemes verknüpft ist; besonders wenn man dem Publicum
nicht bedeutende Erlebnisse mitzutheilen hat, wo man sich selbst gewissermaßen
über den Thatsachen vergessen kann, sondern nur die Geschichte des eignen
Herzens und der eignen Bildung, von denen ohnehin der Schriftsteller in sei¬
nen Werken dem Publicum das Beste vorgelegt haben muß. Diese Unbequem¬
lichkeit verdoppelt sich bei einer Frau, die gewiß Anstand nehmen wird, die


Grenzboten. IV. 21
H. Heine und G. Sand.
Vermischte Schriften von Heinrich Heine. 3 Bände. Hamburg,
Hoffmann und Campe. —
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Es ist charakteristisch, daß die beiden Schriftsteller, welche Ungefähr für die
nämliche Periode der deutschen und französischen Literatur eine ungewöhnliche
Bedeutung in Anspruch nehmen dürfen, im gegenwärtigen Augenblick daraus
denken, das Publicum, welches sie bisher durch freie Schöpfungen erfreut, mit
ihren eignen Erinnerungen zu unterhalten. Man fühlt sich in der Stimmung,
von seinem Leben Rechenschaft zu geben, sobald man merkt, daß es mit der
eignen Production zur Neige geht; und das konnte man in der That schon
seit einiger Zeit bei beiden Schriftstellern finden. Wir geben zwar nicht die
Hoffnung auf, im einzelnen noch manche glückliche Leistung von ihnen zu er¬
leben, die uns an die alte Zeit erinnert, aber daß sie noch einmal bedeutend
in die Literatur eingreifen sollten, läßt sich nicht erwarten. Für eine bestimmte
Entwicklungsperiode der Cultur füllen sie einen ansehnlichen Platz aus, aber
diese Entwicklungsperiode ist jetzt vorüber, und man möge es uns nicht ver¬
argen, wenn wir „Gott sei Dank" dazu sagen.

Selbstbiographien sind unzweifelhaft für die Auffassung historischer Zustände
und auch für die Kenntniß des menschlichen Herzens höchst belehrend, wenn
sie mit Hingebung und Gewissenhaftigkeit geschrieben werden. Es läßt sich
aber nicht leugnen, daß für ein sein empfindendes Gemüth mit dieser Thätigkeit
immer etwas Unbequemes verknüpft ist; besonders wenn man dem Publicum
nicht bedeutende Erlebnisse mitzutheilen hat, wo man sich selbst gewissermaßen
über den Thatsachen vergessen kann, sondern nur die Geschichte des eignen
Herzens und der eignen Bildung, von denen ohnehin der Schriftsteller in sei¬
nen Werken dem Publicum das Beste vorgelegt haben muß. Diese Unbequem¬
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[0169] H. Heine und G. Sand. Vermischte Schriften von Heinrich Heine. 3 Bände. Hamburg, Hoffmann und Campe. — lieorge 8»mal. Ili8l,viro als mu vie. 1. ^url-lo 1. I^vip/.ig, Lebnüo. — Es ist charakteristisch, daß die beiden Schriftsteller, welche Ungefähr für die nämliche Periode der deutschen und französischen Literatur eine ungewöhnliche Bedeutung in Anspruch nehmen dürfen, im gegenwärtigen Augenblick daraus denken, das Publicum, welches sie bisher durch freie Schöpfungen erfreut, mit ihren eignen Erinnerungen zu unterhalten. Man fühlt sich in der Stimmung, von seinem Leben Rechenschaft zu geben, sobald man merkt, daß es mit der eignen Production zur Neige geht; und das konnte man in der That schon seit einiger Zeit bei beiden Schriftstellern finden. Wir geben zwar nicht die Hoffnung auf, im einzelnen noch manche glückliche Leistung von ihnen zu er¬ leben, die uns an die alte Zeit erinnert, aber daß sie noch einmal bedeutend in die Literatur eingreifen sollten, läßt sich nicht erwarten. Für eine bestimmte Entwicklungsperiode der Cultur füllen sie einen ansehnlichen Platz aus, aber diese Entwicklungsperiode ist jetzt vorüber, und man möge es uns nicht ver¬ argen, wenn wir „Gott sei Dank" dazu sagen. Selbstbiographien sind unzweifelhaft für die Auffassung historischer Zustände und auch für die Kenntniß des menschlichen Herzens höchst belehrend, wenn sie mit Hingebung und Gewissenhaftigkeit geschrieben werden. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß für ein sein empfindendes Gemüth mit dieser Thätigkeit immer etwas Unbequemes verknüpft ist; besonders wenn man dem Publicum nicht bedeutende Erlebnisse mitzutheilen hat, wo man sich selbst gewissermaßen über den Thatsachen vergessen kann, sondern nur die Geschichte des eignen Herzens und der eignen Bildung, von denen ohnehin der Schriftsteller in sei¬ nen Werken dem Publicum das Beste vorgelegt haben muß. Diese Unbequem¬ lichkeit verdoppelt sich bei einer Frau, die gewiß Anstand nehmen wird, die Grenzboten. IV. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/169>, abgerufen am 06.05.2024.