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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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beherzigt werden, dessen Lage sie weit günstiger auffassen, als es selbst der
sanguinischeste preußische Beamte erwarten sollte.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir über die Haltung unsrer Freunde von
der ehemaligen Gothaischen Partei einige Bemerkungen machen. Es ist gewiß
zweckmäßig und nothwendig, daS deutsche Volf, das leicht geneigt ist, sich
ein neues Götzenbild zu schnitzen, vor einem voreiligen Enthusiasmus für
Oestreich zu warnen. Eine so hohe Anerkennung die redliche, feste und con-
sequente Haltung der östreichischen Politik in der orientalischen Frage verdient,
so sind doch damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten hinweggeräumt, die
Oestreich bisher abgehalten haben, sich an die Spitze Deutschlands zu stellen.
So entschieden wir der Haltung Oestreichs vor der Haltung Preußens den
Borzug geben, so dürfen wir darüber doch'nicht vergessen, daß alle diejenigen
Hoffnungen, die sich nicht auf die augenblickliche Haltung des Cabinets, son¬
dern auf die Gesammtheit der geschichtlichen Zustände beziehen, uns bis auf
weiteres immer noch mehr auf Preußen als auf Oestreich hinweisen, obgleich
wir nicht leugnen, daß im Lause des gegenwärtigen Conflicts Fälle eintreten
können, die dieses Verhältniß aufheben.

Aber unweise scheint es uns zu sein, in diesem Augenblicke wieder die
alten Uniönsprojccte aufzunehmen. Kein Zeitpunkt war so wenig geeignet,
auch nur ganz entfernt für die Verwirklichung derselben zu arbeiten, als der
gegenwärtige. Wenn man in diesem Augenblicke den östreichischen Staats¬
männern zumuthet, sie sollen Preußen zum Lohn für seine bisherige Haltung
freiwillig diejenige Hegemonie in Deutschland einräumen, die ihm im Jahre
18i'9 von der Weidenbuschpartei zugedacht war, so kann die Antwort wol nur
ein mitleidiges Lächeln sein.




Aus Konstantinopel.

Wir sind hier schon mitten im Spätherbst, wiewol in andern Jahren die
sonnigen Tage bis zum Schluß 'des November, ja zuweilen tief in den De¬
cember hinein zu währen pflegen. Ein trüber, bleigrauer Himmel breitet sich
über Land und Meer aus, und dermaßen ist die Luft feucht und von Dünsten
erfüllt, daß der Blick eine verengte Scene vor sich findet und nicht mehr über
die Prinzeninseln, den Kaischdagh und- die Höhen von Ejub hinausreicht.
Dabei bläst ein sröstelnmachender Nordwind von Bujukdere her die Meerenge
entlang und über die kahlen Berge hin, welche Pera und die Nebenvorstädte


beherzigt werden, dessen Lage sie weit günstiger auffassen, als es selbst der
sanguinischeste preußische Beamte erwarten sollte.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir über die Haltung unsrer Freunde von
der ehemaligen Gothaischen Partei einige Bemerkungen machen. Es ist gewiß
zweckmäßig und nothwendig, daS deutsche Volf, das leicht geneigt ist, sich
ein neues Götzenbild zu schnitzen, vor einem voreiligen Enthusiasmus für
Oestreich zu warnen. Eine so hohe Anerkennung die redliche, feste und con-
sequente Haltung der östreichischen Politik in der orientalischen Frage verdient,
so sind doch damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten hinweggeräumt, die
Oestreich bisher abgehalten haben, sich an die Spitze Deutschlands zu stellen.
So entschieden wir der Haltung Oestreichs vor der Haltung Preußens den
Borzug geben, so dürfen wir darüber doch'nicht vergessen, daß alle diejenigen
Hoffnungen, die sich nicht auf die augenblickliche Haltung des Cabinets, son¬
dern auf die Gesammtheit der geschichtlichen Zustände beziehen, uns bis auf
weiteres immer noch mehr auf Preußen als auf Oestreich hinweisen, obgleich
wir nicht leugnen, daß im Lause des gegenwärtigen Conflicts Fälle eintreten
können, die dieses Verhältniß aufheben.

Aber unweise scheint es uns zu sein, in diesem Augenblicke wieder die
alten Uniönsprojccte aufzunehmen. Kein Zeitpunkt war so wenig geeignet,
auch nur ganz entfernt für die Verwirklichung derselben zu arbeiten, als der
gegenwärtige. Wenn man in diesem Augenblicke den östreichischen Staats¬
männern zumuthet, sie sollen Preußen zum Lohn für seine bisherige Haltung
freiwillig diejenige Hegemonie in Deutschland einräumen, die ihm im Jahre
18i'9 von der Weidenbuschpartei zugedacht war, so kann die Antwort wol nur
ein mitleidiges Lächeln sein.




Aus Konstantinopel.

Wir sind hier schon mitten im Spätherbst, wiewol in andern Jahren die
sonnigen Tage bis zum Schluß 'des November, ja zuweilen tief in den De¬
cember hinein zu währen pflegen. Ein trüber, bleigrauer Himmel breitet sich
über Land und Meer aus, und dermaßen ist die Luft feucht und von Dünsten
erfüllt, daß der Blick eine verengte Scene vor sich findet und nicht mehr über
die Prinzeninseln, den Kaischdagh und- die Höhen von Ejub hinausreicht.
Dabei bläst ein sröstelnmachender Nordwind von Bujukdere her die Meerenge
entlang und über die kahlen Berge hin, welche Pera und die Nebenvorstädte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/232>, abgerufen am 06.05.2024.