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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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in'vielfachen Reihen .umgürten. Schon sind die Blumenverkäufer seltener ge¬
worden in der großen Perastraße; nur die breiten Astern, die rothen Fuchs¬
schwänze und bunten, vielfarbigen Georginen behaupten sich noch auf dem
Platze, indeß, wie es scheint, um ihn auch bald zu räumen.

Ehe ich mich zum Schreiben niedersetzte, machte ich einen Gang über das
große Todtenfeld, welches sich in der Nähe meiner Wohnung ausbreitet, und,
im Unterschiede vom älteren Piccolo Campo in der inneren Stadt zwischen
Per" und Kassen Pascha, Campo grande genannt avird. Einzelne von den
hohen Bäumen, deren Laub sich namentlich im letzten Sommer so prächtig
entfaltet hatte, stehen bereits kahl; in den Zweigen der andern braust der Wind
und schüttelt einen Regen gelber Blätter auf die Frankengräber hernieder.
Dabei ist der Weg schon feucht vom letzten Guß, den die Sonne nicht mehr,
wie im Sommer, schnell auszutrocknen vermag; der Koth mehrt sich, die Passage
wird schwieriger und uns beschleicht jenes seinem Grundton nach unbehagliche
Gefühl, was wir beim Herannahen des Winters empfinden.

Das Jahr, in dessen letztes Viertel wir mit dem Beginn dieses Monats
eingetreten sind, hat, das kann nicht geleugnet werden, die Lage dieses Reiches
im hohen Maße zum Bessern umgewandelt. Noch vor weniger als zehn Mo¬
naten war die Zahl derjenigen überwiegend, welche der Zukunft der Pforte
ein nur kurzes Ziel setzten. Man meinte, sie werde unter den Händen
der zu ihrem Beistand herbeieilenden europäischen Mächte verscheiden; wer auf
Fortbestehen der gegenwärtigen Verhältnisse für die Dauer von zehn Jahren
rechnete, galt schon für einen kühnen Speculanten, ja es sollen Wetten abge¬
schlossen worden sein, daß binnen fünf Jahren der Großsultan seine Residenz
in Brussa oder Konieh nehmen werde.

Das wiedergewonnene Vertrauen wird seiner ganzen Größe nach nicht
durch die Cursverbesserung des Papiergeldes um volle fünf Procent seit einem
Vierteljahr repräsentirt; denn die Finanzen sind immerhin noch der wunde Fleck
dieses Gouvernements und sie werden es auf viele Jahre hin noch verbleiben;
aber aus dem steten Steigen des Grundeigenthums im Werthe, aus der Größe
der Geschäfte, die in dieser Beziehung täglich gemacht werden, und bei denen
es vorkommt, daß Gehöfte und Baustellen nach einigen Wochen mit dem dop¬
pelten Preise der Einkaufssumme auss neue verhandelt werden, kann man ent¬
nehmen, daß die hiesigen Verhältnisse im allgemeinen nicht für allzu unsicher
betrachtet werden. Ich habe nicht genaue Kenntniß darüber, aber ich vermuthe,
auf mancherlei Gründe gestützt, daß in diesen Tagen von auswärtigen Kapi¬
talisten manches ,sür die Zukunft äußerst ergiebige Geschäft hier abgeschlossen
worden ist. Vorerst handelt es sich nur um Erwerbung von Land, als da sind
Aecker, Gärten; aber schon regen sich wieder die Agenten der verschiedenen
Compagnien, welche auf den Ausbau dieser oder jener Eisenbahnlinie speculiren,


Grenzboten. IV. -!8si. , 29

in'vielfachen Reihen .umgürten. Schon sind die Blumenverkäufer seltener ge¬
worden in der großen Perastraße; nur die breiten Astern, die rothen Fuchs¬
schwänze und bunten, vielfarbigen Georginen behaupten sich noch auf dem
Platze, indeß, wie es scheint, um ihn auch bald zu räumen.

Ehe ich mich zum Schreiben niedersetzte, machte ich einen Gang über das
große Todtenfeld, welches sich in der Nähe meiner Wohnung ausbreitet, und,
im Unterschiede vom älteren Piccolo Campo in der inneren Stadt zwischen
Per« und Kassen Pascha, Campo grande genannt avird. Einzelne von den
hohen Bäumen, deren Laub sich namentlich im letzten Sommer so prächtig
entfaltet hatte, stehen bereits kahl; in den Zweigen der andern braust der Wind
und schüttelt einen Regen gelber Blätter auf die Frankengräber hernieder.
Dabei ist der Weg schon feucht vom letzten Guß, den die Sonne nicht mehr,
wie im Sommer, schnell auszutrocknen vermag; der Koth mehrt sich, die Passage
wird schwieriger und uns beschleicht jenes seinem Grundton nach unbehagliche
Gefühl, was wir beim Herannahen des Winters empfinden.

Das Jahr, in dessen letztes Viertel wir mit dem Beginn dieses Monats
eingetreten sind, hat, das kann nicht geleugnet werden, die Lage dieses Reiches
im hohen Maße zum Bessern umgewandelt. Noch vor weniger als zehn Mo¬
naten war die Zahl derjenigen überwiegend, welche der Zukunft der Pforte
ein nur kurzes Ziel setzten. Man meinte, sie werde unter den Händen
der zu ihrem Beistand herbeieilenden europäischen Mächte verscheiden; wer auf
Fortbestehen der gegenwärtigen Verhältnisse für die Dauer von zehn Jahren
rechnete, galt schon für einen kühnen Speculanten, ja es sollen Wetten abge¬
schlossen worden sein, daß binnen fünf Jahren der Großsultan seine Residenz
in Brussa oder Konieh nehmen werde.

Das wiedergewonnene Vertrauen wird seiner ganzen Größe nach nicht
durch die Cursverbesserung des Papiergeldes um volle fünf Procent seit einem
Vierteljahr repräsentirt; denn die Finanzen sind immerhin noch der wunde Fleck
dieses Gouvernements und sie werden es auf viele Jahre hin noch verbleiben;
aber aus dem steten Steigen des Grundeigenthums im Werthe, aus der Größe
der Geschäfte, die in dieser Beziehung täglich gemacht werden, und bei denen
es vorkommt, daß Gehöfte und Baustellen nach einigen Wochen mit dem dop¬
pelten Preise der Einkaufssumme auss neue verhandelt werden, kann man ent¬
nehmen, daß die hiesigen Verhältnisse im allgemeinen nicht für allzu unsicher
betrachtet werden. Ich habe nicht genaue Kenntniß darüber, aber ich vermuthe,
auf mancherlei Gründe gestützt, daß in diesen Tagen von auswärtigen Kapi¬
talisten manches ,sür die Zukunft äußerst ergiebige Geschäft hier abgeschlossen
worden ist. Vorerst handelt es sich nur um Erwerbung von Land, als da sind
Aecker, Gärten; aber schon regen sich wieder die Agenten der verschiedenen
Compagnien, welche auf den Ausbau dieser oder jener Eisenbahnlinie speculiren,


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[0233] in'vielfachen Reihen .umgürten. Schon sind die Blumenverkäufer seltener ge¬ worden in der großen Perastraße; nur die breiten Astern, die rothen Fuchs¬ schwänze und bunten, vielfarbigen Georginen behaupten sich noch auf dem Platze, indeß, wie es scheint, um ihn auch bald zu räumen. Ehe ich mich zum Schreiben niedersetzte, machte ich einen Gang über das große Todtenfeld, welches sich in der Nähe meiner Wohnung ausbreitet, und, im Unterschiede vom älteren Piccolo Campo in der inneren Stadt zwischen Per« und Kassen Pascha, Campo grande genannt avird. Einzelne von den hohen Bäumen, deren Laub sich namentlich im letzten Sommer so prächtig entfaltet hatte, stehen bereits kahl; in den Zweigen der andern braust der Wind und schüttelt einen Regen gelber Blätter auf die Frankengräber hernieder. Dabei ist der Weg schon feucht vom letzten Guß, den die Sonne nicht mehr, wie im Sommer, schnell auszutrocknen vermag; der Koth mehrt sich, die Passage wird schwieriger und uns beschleicht jenes seinem Grundton nach unbehagliche Gefühl, was wir beim Herannahen des Winters empfinden. Das Jahr, in dessen letztes Viertel wir mit dem Beginn dieses Monats eingetreten sind, hat, das kann nicht geleugnet werden, die Lage dieses Reiches im hohen Maße zum Bessern umgewandelt. Noch vor weniger als zehn Mo¬ naten war die Zahl derjenigen überwiegend, welche der Zukunft der Pforte ein nur kurzes Ziel setzten. Man meinte, sie werde unter den Händen der zu ihrem Beistand herbeieilenden europäischen Mächte verscheiden; wer auf Fortbestehen der gegenwärtigen Verhältnisse für die Dauer von zehn Jahren rechnete, galt schon für einen kühnen Speculanten, ja es sollen Wetten abge¬ schlossen worden sein, daß binnen fünf Jahren der Großsultan seine Residenz in Brussa oder Konieh nehmen werde. Das wiedergewonnene Vertrauen wird seiner ganzen Größe nach nicht durch die Cursverbesserung des Papiergeldes um volle fünf Procent seit einem Vierteljahr repräsentirt; denn die Finanzen sind immerhin noch der wunde Fleck dieses Gouvernements und sie werden es auf viele Jahre hin noch verbleiben; aber aus dem steten Steigen des Grundeigenthums im Werthe, aus der Größe der Geschäfte, die in dieser Beziehung täglich gemacht werden, und bei denen es vorkommt, daß Gehöfte und Baustellen nach einigen Wochen mit dem dop¬ pelten Preise der Einkaufssumme auss neue verhandelt werden, kann man ent¬ nehmen, daß die hiesigen Verhältnisse im allgemeinen nicht für allzu unsicher betrachtet werden. Ich habe nicht genaue Kenntniß darüber, aber ich vermuthe, auf mancherlei Gründe gestützt, daß in diesen Tagen von auswärtigen Kapi¬ talisten manches ,sür die Zukunft äußerst ergiebige Geschäft hier abgeschlossen worden ist. Vorerst handelt es sich nur um Erwerbung von Land, als da sind Aecker, Gärten; aber schon regen sich wieder die Agenten der verschiedenen Compagnien, welche auf den Ausbau dieser oder jener Eisenbahnlinie speculiren, Grenzboten. IV. -!8si. , 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/233>, abgerufen am 28.05.2024.