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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Ertreme verlocken zu lassen, und wenn man den Grundgedanken der modernen
Bildung immer festhält, so werden sich die Widersprüche wenigstens einiger¬
maßen ausgleichen.

Die Form der Darstellung ist im allgemeinen zu loben. Die Thatsachen
sind übersichtlich, geordnet und einfach erzählt; von dem Detail ist nur soviel
aufgenommen, als zum Verständniß des allgemeinen Ganges der Handlung
nothwendig ist. --


Das Reich der Wiedertäufer inMünster. El" historischer' Abriß von K a r l
Ziegler. Lemgo und Detmold, Mayersche Hofbuchhandlung. --

Der Inhalt dieses Büchleins, die Geschichte der Wiedertäufer in Münster,
erinnert in mancher Beziehung an die heutigen Mormonen, und gehört zu jenen
Blättern der Geschichte, die den menschlichen Verstand warnen können, wenn
er einmal gar zu übermüthig auf seine Kraft pochen wollte. In ruhigen Zeiten
kommt uns die .Erzählung einer so wahnwitzigen Begebenheit wie eine Ge¬
schichte aus Tausend und einer Nacht vor, aber niemand kann dafür stehen,
daß nicht noch einmal eine Zeit kommt, wo wir sie sehr begreiflich finden.
Das Reich der Wiedertäufer in Münster war ein Reich des Unsinns und der
Greuel, und doch hat es seine Märtyrer, die in den Qualen des Todes noch
ihren Glauben bekannten. -- Nebenbei muß man freilich bemerken, daß die
Quellen, aus denen wir die Geschichte der Wiedertäufer schöpfen, nicht ganz
rein sind, daß sie meistens von Zeugen ausgehen, die ein Interesse daran hatten,
die Sache so abscheulich als möglich darzustellen. -- Der Verfasser des vor¬
liegenden Büchleins macht zuweilen Bemerkungen, die uns außer Fassung
setzen. So erzählt er Seite 49. folgende Geschichte. Eine der Gemahlinnen
des Königs von Zion (bekanntlich war von den neuen Propheten die Vielweibe¬
rei eingeführt) hat in einem Anfall von Gewissensangst die Aeußerung gethan,
sie könne unmöglich glauben, daß Gott damit gedient sei, wenn das arme Volk
so hungere und verschmachte. Dein König ward die Aeußerung hinterbracht
und da uun verordnete er eine große Versammlung aus dem Markte und ließ
alle seine Frauen dort erscheinen; Else mußte aus dem Chor hervortreten, er
zückte das Richtschwert und ihr Haupt flog von den blendenden Schultern in
den Sand. Dann sprach er zum Volk, indem er den Leichnam mit dem Fuße
stieß: sie hat sich an dem heiligen Geist versündigt, der durch den König spricht;
sie hat also ihre Strafe wohl verdient. Ehre sei Gott in der Höhe. Seine
Frauen stimmten einen Lobgesang an, in welchen die ganze Versammlung ein¬
fiel und zum Schluß begann der König mit der Königin einen Reigentanz, an
den sich die ganze Gemeinde anschloß. -- Zu diesem Factum macht der Ver¬
sasser folgende Bemerkung: "Diejenigen, welchen der Zwang der Umstände das
höchste Gesetz ist, werden freilich wol geneigt sein, solche blutige Strenge


Grcnzbotc". IV. ISLi- ' 3

Ertreme verlocken zu lassen, und wenn man den Grundgedanken der modernen
Bildung immer festhält, so werden sich die Widersprüche wenigstens einiger¬
maßen ausgleichen.

Die Form der Darstellung ist im allgemeinen zu loben. Die Thatsachen
sind übersichtlich, geordnet und einfach erzählt; von dem Detail ist nur soviel
aufgenommen, als zum Verständniß des allgemeinen Ganges der Handlung
nothwendig ist. —


Das Reich der Wiedertäufer inMünster. El» historischer' Abriß von K a r l
Ziegler. Lemgo und Detmold, Mayersche Hofbuchhandlung. —

Der Inhalt dieses Büchleins, die Geschichte der Wiedertäufer in Münster,
erinnert in mancher Beziehung an die heutigen Mormonen, und gehört zu jenen
Blättern der Geschichte, die den menschlichen Verstand warnen können, wenn
er einmal gar zu übermüthig auf seine Kraft pochen wollte. In ruhigen Zeiten
kommt uns die .Erzählung einer so wahnwitzigen Begebenheit wie eine Ge¬
schichte aus Tausend und einer Nacht vor, aber niemand kann dafür stehen,
daß nicht noch einmal eine Zeit kommt, wo wir sie sehr begreiflich finden.
Das Reich der Wiedertäufer in Münster war ein Reich des Unsinns und der
Greuel, und doch hat es seine Märtyrer, die in den Qualen des Todes noch
ihren Glauben bekannten. — Nebenbei muß man freilich bemerken, daß die
Quellen, aus denen wir die Geschichte der Wiedertäufer schöpfen, nicht ganz
rein sind, daß sie meistens von Zeugen ausgehen, die ein Interesse daran hatten,
die Sache so abscheulich als möglich darzustellen. — Der Verfasser des vor¬
liegenden Büchleins macht zuweilen Bemerkungen, die uns außer Fassung
setzen. So erzählt er Seite 49. folgende Geschichte. Eine der Gemahlinnen
des Königs von Zion (bekanntlich war von den neuen Propheten die Vielweibe¬
rei eingeführt) hat in einem Anfall von Gewissensangst die Aeußerung gethan,
sie könne unmöglich glauben, daß Gott damit gedient sei, wenn das arme Volk
so hungere und verschmachte. Dein König ward die Aeußerung hinterbracht
und da uun verordnete er eine große Versammlung aus dem Markte und ließ
alle seine Frauen dort erscheinen; Else mußte aus dem Chor hervortreten, er
zückte das Richtschwert und ihr Haupt flog von den blendenden Schultern in
den Sand. Dann sprach er zum Volk, indem er den Leichnam mit dem Fuße
stieß: sie hat sich an dem heiligen Geist versündigt, der durch den König spricht;
sie hat also ihre Strafe wohl verdient. Ehre sei Gott in der Höhe. Seine
Frauen stimmten einen Lobgesang an, in welchen die ganze Versammlung ein¬
fiel und zum Schluß begann der König mit der Königin einen Reigentanz, an
den sich die ganze Gemeinde anschloß. — Zu diesem Factum macht der Ver¬
sasser folgende Bemerkung: „Diejenigen, welchen der Zwang der Umstände das
höchste Gesetz ist, werden freilich wol geneigt sein, solche blutige Strenge


Grcnzbotc». IV. ISLi- ' 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/25>, abgerufen am 07.05.2024.