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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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der bestimmten Redaction zu dieser Basis beschaffen ist, darüber kann die Phi¬
losophie der Geschichte nichts ausmachen, es muß daS der Gelehrsamkeit über¬
lassen bleiben. -- Ueber die Nibelungen hatte Lachmann, der eigentliche Be¬
gründer der Methode innerhalb der deutschen Philologie, die Ansicht festzustellen
gesucht, daß unter den vorhandenen Bearbeitungen derselben die rohere, wider¬
spruchsvollere die älteste sei, daß wir in ihr die unmittelbarste Verarbeitung
der alten Volkslieder haben, und daß erst allmälig durch Erweiterungen und
Einschiebungen, Ausgleichungen der Widersprüche und dergleichen die vollkom¬
menere Form des Epos entstanden sei. -- In unsren Tagen hat Holtzmann
den Versuch gemacht, die entgegengesetzte Ansicht zu begründen, daß nämlich
die vollkommenere Form die ursprüngliche und die weitere Bearbeitung eine
Verwilderung und Abschwächung gewesen sei.

Der Verfasser der vorliegenden Schrift, der sich der letzteren Ansicht an¬
schließt, sucht die kritischen Gesichtspunkte, die bei der Entscheidung dieser Frage
in Betracht kommen, methodisch festzustellen. Von dieser Seite ist das Büch¬
lein für den Freund der altdeutschen Literatur, der auf die eigentliche Gelehr¬
tenuntersuchung nicht eingehen kann, sehr interessant, denn es trägt die spseiss
l-iLli anschaulich vor und eröffnet einen Einblick in die wissenschaftliche Methode.
Es versteht sich von selbst, daß man sich daraus nur über die Fragestellung
unterrichten darf, nicht etwa über das Urtheil selbst, über welches nur derjenige
mitzusprechen hat, der diese bestimmte Seite der Wissenschaft zum Gegenstand
seines speciellen Studiums gemacht hat. --


.
Walther von Aquitanien. Eine altdeutsche Heldensage im Versmaße des Ni¬
belungenliedes von "r. Aug. Geydcr. Breslau, Kern. --

Bekanntlich sind uns die Abenteuer Walthers von Aquitanien in einer
lateinischen Bearbeitung in Hexametern aus dem zehnten Jahrhundert erhalten.
Man nimmt an, daß dieser Bearbeitung ursprünglich eine deutsche Dichtung
zu Grunde liegt. Der Verfasser der gegenwärtigen Schrift hat versucht, sowol
durch die Form, wie auch durch die Vereinfachung des Costüms gewissermaßen
zu jener altdeutschen Auffassung zurückzukehren, und so diese Dichtung, die eng
in den Sagenkreis des Nibelungenliedes gehört, in der Weise wieder herzu¬
stellen, wie auch das moderne Publicum sie sich anzueignen pflegt. Die För¬
derung, die dem Interesse für unsre Vorzeit durch solche Bearbeitungen zu Theil
wird, ist unbestreitbar und wiegt wol den Nachtheil aus, den eine freie Be¬
arbeitung stets den älteren Gedichten zufügt. Den Ton der Erzählung hat der
Uebersetzer ganz modern gehalten, eS wäre daher zweckmäßig gewesen, wenn
er einzelne alterthümliche Anklänge, z. B. die Nachstellung der Pronomina
Possessiva um der Konsequenz willen gleichfalls vermieden hätte. --


"rcnzbolcn. IV. -1864, 7

der bestimmten Redaction zu dieser Basis beschaffen ist, darüber kann die Phi¬
losophie der Geschichte nichts ausmachen, es muß daS der Gelehrsamkeit über¬
lassen bleiben. — Ueber die Nibelungen hatte Lachmann, der eigentliche Be¬
gründer der Methode innerhalb der deutschen Philologie, die Ansicht festzustellen
gesucht, daß unter den vorhandenen Bearbeitungen derselben die rohere, wider¬
spruchsvollere die älteste sei, daß wir in ihr die unmittelbarste Verarbeitung
der alten Volkslieder haben, und daß erst allmälig durch Erweiterungen und
Einschiebungen, Ausgleichungen der Widersprüche und dergleichen die vollkom¬
menere Form des Epos entstanden sei. — In unsren Tagen hat Holtzmann
den Versuch gemacht, die entgegengesetzte Ansicht zu begründen, daß nämlich
die vollkommenere Form die ursprüngliche und die weitere Bearbeitung eine
Verwilderung und Abschwächung gewesen sei.

Der Verfasser der vorliegenden Schrift, der sich der letzteren Ansicht an¬
schließt, sucht die kritischen Gesichtspunkte, die bei der Entscheidung dieser Frage
in Betracht kommen, methodisch festzustellen. Von dieser Seite ist das Büch¬
lein für den Freund der altdeutschen Literatur, der auf die eigentliche Gelehr¬
tenuntersuchung nicht eingehen kann, sehr interessant, denn es trägt die spseiss
l-iLli anschaulich vor und eröffnet einen Einblick in die wissenschaftliche Methode.
Es versteht sich von selbst, daß man sich daraus nur über die Fragestellung
unterrichten darf, nicht etwa über das Urtheil selbst, über welches nur derjenige
mitzusprechen hat, der diese bestimmte Seite der Wissenschaft zum Gegenstand
seines speciellen Studiums gemacht hat. —


.
Walther von Aquitanien. Eine altdeutsche Heldensage im Versmaße des Ni¬
belungenliedes von »r. Aug. Geydcr. Breslau, Kern. —

Bekanntlich sind uns die Abenteuer Walthers von Aquitanien in einer
lateinischen Bearbeitung in Hexametern aus dem zehnten Jahrhundert erhalten.
Man nimmt an, daß dieser Bearbeitung ursprünglich eine deutsche Dichtung
zu Grunde liegt. Der Verfasser der gegenwärtigen Schrift hat versucht, sowol
durch die Form, wie auch durch die Vereinfachung des Costüms gewissermaßen
zu jener altdeutschen Auffassung zurückzukehren, und so diese Dichtung, die eng
in den Sagenkreis des Nibelungenliedes gehört, in der Weise wieder herzu¬
stellen, wie auch das moderne Publicum sie sich anzueignen pflegt. Die För¬
derung, die dem Interesse für unsre Vorzeit durch solche Bearbeitungen zu Theil
wird, ist unbestreitbar und wiegt wol den Nachtheil aus, den eine freie Be¬
arbeitung stets den älteren Gedichten zufügt. Den Ton der Erzählung hat der
Uebersetzer ganz modern gehalten, eS wäre daher zweckmäßig gewesen, wenn
er einzelne alterthümliche Anklänge, z. B. die Nachstellung der Pronomina
Possessiva um der Konsequenz willen gleichfalls vermieden hätte. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/57>, abgerufen am 07.05.2024.