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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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schränkten, auf der andern Seite wieder ein großer Vortheil für die Kunst
waren, weil sie einen idealen Stil aufrechthielten, und die naturalistische Ver¬
wilderung unmöglich machten, haben in unsrer Zeit die Kunsttheoretiker richtig
hervorgehoben. Das Bestreben der Künstler, einen neuen idealen Gehalt zu
gewinnen, eine neue Symbolik zu erfinden, welche die empirischen Thatsachen
der gewöhnlichen Historienmalerei wieder in einem höheren Licht darstellt, ist
an sich durchaus zu billigen, und auch die Ausführung dieses Princips ist in
der bildenden Kunst mit mehr Glück versucht worden, als in der Poeste durch
die romantische Schule, deren Bemühungen, eine neue Mythologie und damit
eine neue Religion zu gewinnen, durchaus gescheitert sind. Kaulbachs Idee,
die Thatsachen der Geschichte und der Sage ideell zu bearbeiten, und von einem
freieren kosmopolitischen Standpunkte aus dieselbe Symbolik wieder aufzu¬
nehmen, welche dem Maler durch daS Christenthum gegeben war, ist ein wirk¬
licher Fortschritt in der künstlerischen Idee. Und es wird hier nur darauf an--
kommen, in seinen Idealen so unbefangen zu Werke zu gehen, daß sie wirklich
den Sinn des Volks erfassen; das übrige muß dann die Ausführung thun,
die nicht mehr den poetischen, sondern den plastischen Gesetzen folgt. Wenn
aber diese dem Grundgedanken entsprechen soll, so muß man sogleich beim Ent-,
wurf desselben das plastische Gesetz vor Augen haben, man muß ihn nicht erst
aus dem Poetischen ins Plastische übersetzen wollen, sondern ihn sogleich pla¬
stisch- concipiren. Und dieser Punkt ist es, auf den die Gegner Kaulbachs hin¬
deuten, wenn sie seine künstlerische Thätigkeit als eine reflectirte bezeichnen; nicht
daß er überhaupt Symbole darstellt, machen sie ihm zum Vorwurf, sondern daß
er poetische Symbole plastisch zu versinnlichen strebt: und von diesem'Vor¬
wurf wird der geistvolle Künstler nicht ganz freizusprechen sein.


Zur Nivelu ugcnfrage. Ein Vortrag, gehalten in der Aula der Universität
Leipzig am 28. Juli von Friedrich Zarnckc. Nebst zwei Anhängen
und eiuer Tabelle. Leipzig, S. Hirzel. --

In der Streitfrage über die Entstehung des volkstümlichen Epos, die
seit Wolf unsre Gelehrten vielfältig beschäftigt hat, muß man den allge¬
meinen Gesichtspunkt über die Natur des Epos überhaupt von dem speciellen,
der die Geschichte des bestimmten Epos betrifft, sorgfältig unterscheiden. Die
erste Frage, die eigentlich diejenige ist, welche ausschließlich das größere Pu-
blicum beschäftigt, kann man heute wol als entschieden betrachten. Es wird
wol niemand mehr geben, der sich die Entstehung eines volksthümlichen, das
sittliche Bewußtsein der Nation darstellenden Epos so dächte, wie etwa die Ent¬
stehung eines modernen Romans. Eine Ilias und ein Nibelungenlied gehl
nicht aus der Phantasie eines einzelnen Dichters hervor, es muß im Stoff und
im Stil bereits seine bestimmte Basis -vorfinden. Wie nun aber das Verhältniß


schränkten, auf der andern Seite wieder ein großer Vortheil für die Kunst
waren, weil sie einen idealen Stil aufrechthielten, und die naturalistische Ver¬
wilderung unmöglich machten, haben in unsrer Zeit die Kunsttheoretiker richtig
hervorgehoben. Das Bestreben der Künstler, einen neuen idealen Gehalt zu
gewinnen, eine neue Symbolik zu erfinden, welche die empirischen Thatsachen
der gewöhnlichen Historienmalerei wieder in einem höheren Licht darstellt, ist
an sich durchaus zu billigen, und auch die Ausführung dieses Princips ist in
der bildenden Kunst mit mehr Glück versucht worden, als in der Poeste durch
die romantische Schule, deren Bemühungen, eine neue Mythologie und damit
eine neue Religion zu gewinnen, durchaus gescheitert sind. Kaulbachs Idee,
die Thatsachen der Geschichte und der Sage ideell zu bearbeiten, und von einem
freieren kosmopolitischen Standpunkte aus dieselbe Symbolik wieder aufzu¬
nehmen, welche dem Maler durch daS Christenthum gegeben war, ist ein wirk¬
licher Fortschritt in der künstlerischen Idee. Und es wird hier nur darauf an--
kommen, in seinen Idealen so unbefangen zu Werke zu gehen, daß sie wirklich
den Sinn des Volks erfassen; das übrige muß dann die Ausführung thun,
die nicht mehr den poetischen, sondern den plastischen Gesetzen folgt. Wenn
aber diese dem Grundgedanken entsprechen soll, so muß man sogleich beim Ent-,
wurf desselben das plastische Gesetz vor Augen haben, man muß ihn nicht erst
aus dem Poetischen ins Plastische übersetzen wollen, sondern ihn sogleich pla¬
stisch- concipiren. Und dieser Punkt ist es, auf den die Gegner Kaulbachs hin¬
deuten, wenn sie seine künstlerische Thätigkeit als eine reflectirte bezeichnen; nicht
daß er überhaupt Symbole darstellt, machen sie ihm zum Vorwurf, sondern daß
er poetische Symbole plastisch zu versinnlichen strebt: und von diesem'Vor¬
wurf wird der geistvolle Künstler nicht ganz freizusprechen sein.


Zur Nivelu ugcnfrage. Ein Vortrag, gehalten in der Aula der Universität
Leipzig am 28. Juli von Friedrich Zarnckc. Nebst zwei Anhängen
und eiuer Tabelle. Leipzig, S. Hirzel. —

In der Streitfrage über die Entstehung des volkstümlichen Epos, die
seit Wolf unsre Gelehrten vielfältig beschäftigt hat, muß man den allge¬
meinen Gesichtspunkt über die Natur des Epos überhaupt von dem speciellen,
der die Geschichte des bestimmten Epos betrifft, sorgfältig unterscheiden. Die
erste Frage, die eigentlich diejenige ist, welche ausschließlich das größere Pu-
blicum beschäftigt, kann man heute wol als entschieden betrachten. Es wird
wol niemand mehr geben, der sich die Entstehung eines volksthümlichen, das
sittliche Bewußtsein der Nation darstellenden Epos so dächte, wie etwa die Ent¬
stehung eines modernen Romans. Eine Ilias und ein Nibelungenlied gehl
nicht aus der Phantasie eines einzelnen Dichters hervor, es muß im Stoff und
im Stil bereits seine bestimmte Basis -vorfinden. Wie nun aber das Verhältniß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/56>, abgerufen am 19.05.2024.