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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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der Seestraße (ins ägäische Meer) zusteuert. Als Vorhüter liegen hier die soge¬
nannten neuen Dardanellenschlösser (im Gegensatz zu den alten bei Schanar-
Kalesst) und zwar aus der europäischen Küste das Fort Sed-Bahar,. und auf der
asiatischen Kum-Kalessi (Sand-Feste). Ein scharfer Wind weht kalt aus Nord¬
west. "Wie heißt die Insel gradeaus vor dem Bug?" "Stalimene!" erwiderte
der dalmatinische Bootsmann. Es ist das alte Lemnos.


3.
Aus dem ägäischen Meer.

Ein bedeutender Unterschied waltet zwischen dem Archipelagos und dem
Enxin. Letzterer, von Norden und Nordwesten den Stürmen offen, weil hier
keine Nandgebirge ihn umgürten, stellt auch im Sommer meist eine aufgeregte,
rollende Meeresfläche dar. In jetziger Jahreszeit lagern weite Nebelbänke über
ihn hin; die kurzen Wellen thürmen sich, eine über die andere hinstürzend, zu
Bergen auf und selbst die gewaltigen Schranbenlinienschisse der englischen und
französischen Escadre müssen ihre Dampfkraft auf die höchste Hohe spannen, um
dem Element zu trotzen. Anders im Archipelagos. Die Stürme, die hier herr¬
schen, sind Zephyre im Vergleich mit denen der Bleack Sea und konnten die
Schiffahrt wol nur in deren Kindheitsepoche, ernstlich bedrohen. Unser Dampf¬
schiff hat eine Wendung gemacht und steuert Nordwest. Links liegt Lemnos,
rechts Jmbros. Wir sind mitten in der Straße zwischen beiden Inseln. Zur
Rechten, vor uns, erkennen wir das Eiland Samvtraki. Das ist classische See!
Schade, daß die eingebrochene Nacht nur die Umrisse der Berggipfel, welche die -
Inseln überragen, erkennen läßt!

Als der Morgen angebrochen, nähert der Dampfer sich der Küste. Eine
Jusel zeigt sich über Backbord. Es ist Thasuö. Wir steuern zwischen ihr und dem
Festlande hindurch, und ankern eine Stunde darnach im Hasen von Kavala. Die
Alten nannten diesen Punkt Neapolis. Es ist hier, wo vor etwa fünfundachtzig
Jahren Mehemed Ali, der spätere Beherrscher von Aegypten, geboren wurde.
Die Stadt ist von hohen Mauern umgeben, die aus den Zeiten der Genueser,
wenn nicht aus byzantinischen herrühren mögen, aber der modernen Angrissö-
artillerie schwerlich zu widerstehen vermöchten. Von Interesse ist eine aus älte¬
sten Zeiten sich herschreibende Wasserleitung. Sie wird von zwei Etagen Rund¬
bögen getragen und überbrückt ein tiefes Thal, welches die Stadt von einem be¬
nachbarten Plateau trennt. -- Der Platz ist als Seefestung schon deshalb von
geringem Werth, weil man mit großen Schiffen diese Gegend des Meeres nicht
befahren kann, oder mindestens doch nicht im Stande ist, der Stadt sich zu nahen.
Es steht dies allerdings im Widerspruch mit einer ältern Seekarte, die mir vor¬
liegt, und nach der die Meerestiefe nahe bei Kavala noch zwölf Faden (siebzig
Fuß) beträgt.


der Seestraße (ins ägäische Meer) zusteuert. Als Vorhüter liegen hier die soge¬
nannten neuen Dardanellenschlösser (im Gegensatz zu den alten bei Schanar-
Kalesst) und zwar aus der europäischen Küste das Fort Sed-Bahar,. und auf der
asiatischen Kum-Kalessi (Sand-Feste). Ein scharfer Wind weht kalt aus Nord¬
west. „Wie heißt die Insel gradeaus vor dem Bug?" „Stalimene!" erwiderte
der dalmatinische Bootsmann. Es ist das alte Lemnos.


3.
Aus dem ägäischen Meer.

Ein bedeutender Unterschied waltet zwischen dem Archipelagos und dem
Enxin. Letzterer, von Norden und Nordwesten den Stürmen offen, weil hier
keine Nandgebirge ihn umgürten, stellt auch im Sommer meist eine aufgeregte,
rollende Meeresfläche dar. In jetziger Jahreszeit lagern weite Nebelbänke über
ihn hin; die kurzen Wellen thürmen sich, eine über die andere hinstürzend, zu
Bergen auf und selbst die gewaltigen Schranbenlinienschisse der englischen und
französischen Escadre müssen ihre Dampfkraft auf die höchste Hohe spannen, um
dem Element zu trotzen. Anders im Archipelagos. Die Stürme, die hier herr¬
schen, sind Zephyre im Vergleich mit denen der Bleack Sea und konnten die
Schiffahrt wol nur in deren Kindheitsepoche, ernstlich bedrohen. Unser Dampf¬
schiff hat eine Wendung gemacht und steuert Nordwest. Links liegt Lemnos,
rechts Jmbros. Wir sind mitten in der Straße zwischen beiden Inseln. Zur
Rechten, vor uns, erkennen wir das Eiland Samvtraki. Das ist classische See!
Schade, daß die eingebrochene Nacht nur die Umrisse der Berggipfel, welche die -
Inseln überragen, erkennen läßt!

Als der Morgen angebrochen, nähert der Dampfer sich der Küste. Eine
Jusel zeigt sich über Backbord. Es ist Thasuö. Wir steuern zwischen ihr und dem
Festlande hindurch, und ankern eine Stunde darnach im Hasen von Kavala. Die
Alten nannten diesen Punkt Neapolis. Es ist hier, wo vor etwa fünfundachtzig
Jahren Mehemed Ali, der spätere Beherrscher von Aegypten, geboren wurde.
Die Stadt ist von hohen Mauern umgeben, die aus den Zeiten der Genueser,
wenn nicht aus byzantinischen herrühren mögen, aber der modernen Angrissö-
artillerie schwerlich zu widerstehen vermöchten. Von Interesse ist eine aus älte¬
sten Zeiten sich herschreibende Wasserleitung. Sie wird von zwei Etagen Rund¬
bögen getragen und überbrückt ein tiefes Thal, welches die Stadt von einem be¬
nachbarten Plateau trennt. — Der Platz ist als Seefestung schon deshalb von
geringem Werth, weil man mit großen Schiffen diese Gegend des Meeres nicht
befahren kann, oder mindestens doch nicht im Stande ist, der Stadt sich zu nahen.
Es steht dies allerdings im Widerspruch mit einer ältern Seekarte, die mir vor¬
liegt, und nach der die Meerestiefe nahe bei Kavala noch zwölf Faden (siebzig
Fuß) beträgt.


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[0293] der Seestraße (ins ägäische Meer) zusteuert. Als Vorhüter liegen hier die soge¬ nannten neuen Dardanellenschlösser (im Gegensatz zu den alten bei Schanar- Kalesst) und zwar aus der europäischen Küste das Fort Sed-Bahar,. und auf der asiatischen Kum-Kalessi (Sand-Feste). Ein scharfer Wind weht kalt aus Nord¬ west. „Wie heißt die Insel gradeaus vor dem Bug?" „Stalimene!" erwiderte der dalmatinische Bootsmann. Es ist das alte Lemnos. 3. Aus dem ägäischen Meer. Ein bedeutender Unterschied waltet zwischen dem Archipelagos und dem Enxin. Letzterer, von Norden und Nordwesten den Stürmen offen, weil hier keine Nandgebirge ihn umgürten, stellt auch im Sommer meist eine aufgeregte, rollende Meeresfläche dar. In jetziger Jahreszeit lagern weite Nebelbänke über ihn hin; die kurzen Wellen thürmen sich, eine über die andere hinstürzend, zu Bergen auf und selbst die gewaltigen Schranbenlinienschisse der englischen und französischen Escadre müssen ihre Dampfkraft auf die höchste Hohe spannen, um dem Element zu trotzen. Anders im Archipelagos. Die Stürme, die hier herr¬ schen, sind Zephyre im Vergleich mit denen der Bleack Sea und konnten die Schiffahrt wol nur in deren Kindheitsepoche, ernstlich bedrohen. Unser Dampf¬ schiff hat eine Wendung gemacht und steuert Nordwest. Links liegt Lemnos, rechts Jmbros. Wir sind mitten in der Straße zwischen beiden Inseln. Zur Rechten, vor uns, erkennen wir das Eiland Samvtraki. Das ist classische See! Schade, daß die eingebrochene Nacht nur die Umrisse der Berggipfel, welche die - Inseln überragen, erkennen läßt! Als der Morgen angebrochen, nähert der Dampfer sich der Küste. Eine Jusel zeigt sich über Backbord. Es ist Thasuö. Wir steuern zwischen ihr und dem Festlande hindurch, und ankern eine Stunde darnach im Hasen von Kavala. Die Alten nannten diesen Punkt Neapolis. Es ist hier, wo vor etwa fünfundachtzig Jahren Mehemed Ali, der spätere Beherrscher von Aegypten, geboren wurde. Die Stadt ist von hohen Mauern umgeben, die aus den Zeiten der Genueser, wenn nicht aus byzantinischen herrühren mögen, aber der modernen Angrissö- artillerie schwerlich zu widerstehen vermöchten. Von Interesse ist eine aus älte¬ sten Zeiten sich herschreibende Wasserleitung. Sie wird von zwei Etagen Rund¬ bögen getragen und überbrückt ein tiefes Thal, welches die Stadt von einem be¬ nachbarten Plateau trennt. — Der Platz ist als Seefestung schon deshalb von geringem Werth, weil man mit großen Schiffen diese Gegend des Meeres nicht befahren kann, oder mindestens doch nicht im Stande ist, der Stadt sich zu nahen. Es steht dies allerdings im Widerspruch mit einer ältern Seekarte, die mir vor¬ liegt, und nach der die Meerestiefe nahe bei Kavala noch zwölf Faden (siebzig Fuß) beträgt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/293>, abgerufen am 05.05.2024.