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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Verlornen Sohnes, der von unruhigem Gemüth getrieben das väterliche Haus
verließ, um in die französische Armee einzutreten, und> der nach langer Abwesen¬
heit reuig zurückkehrt und sich mit seinem Vater versöhnt. Die Stelle, in . der
das erste Zusammentreffen des Vaters und Sohnes stattfindet, ist wirklich schön
und poetisch; es ist nicht blos warm, sondern auch sein empfunden. Die Ein¬
leitung ist für unsre ungeduldige Zeit etwas zu breit, und namentlich hätte der
Dichter die Predigt, in der er seinen Pfarrer den sittlichen Inhalt des Gedichts
verkündigen läßt, etwas gedrängter halten können. Uebrigens ist die religiöse
Gesinnung, die sich darin ausspricht, gesund und würdig. --


Der Doppelgänger. Ein Sylvestertraum von Max Serlo. Berlin,
Springer. --

Hier haben wir ein höheres Genre, als in dem vorigen, den vollkommnen
Anastasius Grün mit seinem reichen Streben nach Gedanken und Bildern, mit
seiner Jncvrrectheit und seiner Unruhe, ober ohne die gemüthliche Grundcmpfin-
dung dieses liebenswürdigen Dichters. Das Gedicht befriedigt um so weniger,
je- anspruchsvoller der Dichter auftritt, je tiefer er in die Mysterien des Gedan¬
kens einzudringen strebt. -- ,


Gedichte von Adolf Böttger. Neue Sammlung. Leipzig, Dürr. --

Wir setzen die Weise des Dichters als bekannt voraus. Er hat eine glück¬
liche Leichtigkeit in der Erfindung, im Versmaß und im'Ton; sein Talent ist
aber nicht bedeutend genug, um in der Form eine neue Bahn zu brechen und
seine Empfindung, obwol nicht ohne Leben, doch nicht von jener Innigkeit, daß sie
sich dem Gefühl ebenso einschmeichelt wie dem Gedächtniß. Ein Theil dieser
Sammlung hat den Titel "Bilder aus der Jugendzeit", es sind also wol schon
ältere Gedichte; wenigstens treten Reminiscenzen darin stärker hervor, als wir es
sonst bei Böttger gewöhnt sind. Auch die beliebten Epigramme gegen die Kri¬
tiker fehlen nicht. Woher kommt aber eigentlich diese Empfindlichkeit grade un¬
serer Lyriker gegen die Recensenten? Daß alle die 999, die jährlich ein Bändchen
Gedichte drucken lassen, wirklich die Ueberzeugung haben, sie boten etwas so Be¬
deutendes, daß sie ein tieferes Interesse erregen müßten, das ist doch wol
kaum anzunehmen. Freilich wird ihnen in den meisten Fällen das Schicksal,
daß überhaupt nur die Kritiker sie lesen, und daß diese sich nicht selten bei
einem Bande von mehren hundert Seiten mit 10 bis 20 Seiten begnügen, um
dann ihr Gutachten dahin abzugeben, daß sie durchaus keinen Grund finden,
überhaupt ein Gutachten abzugeben. Was ist denn dabei für ein Unglück? In
der Regel haben ja diese Gedichte ihre gute Wirkung schon gethan. Sie sind
guten Freunden vorgelesen, einer liebenswürdigen Dame als Angebinde gegeben,
vielleicht gar bei feierlichen Gelegenheiten als Prologe zur Eröffnung einer neuen
Saison vorgetragen, und vor allen Dingen sie sind gedruckt, vielleicht gar auf


Verlornen Sohnes, der von unruhigem Gemüth getrieben das väterliche Haus
verließ, um in die französische Armee einzutreten, und> der nach langer Abwesen¬
heit reuig zurückkehrt und sich mit seinem Vater versöhnt. Die Stelle, in . der
das erste Zusammentreffen des Vaters und Sohnes stattfindet, ist wirklich schön
und poetisch; es ist nicht blos warm, sondern auch sein empfunden. Die Ein¬
leitung ist für unsre ungeduldige Zeit etwas zu breit, und namentlich hätte der
Dichter die Predigt, in der er seinen Pfarrer den sittlichen Inhalt des Gedichts
verkündigen läßt, etwas gedrängter halten können. Uebrigens ist die religiöse
Gesinnung, die sich darin ausspricht, gesund und würdig. —


Der Doppelgänger. Ein Sylvestertraum von Max Serlo. Berlin,
Springer. —

Hier haben wir ein höheres Genre, als in dem vorigen, den vollkommnen
Anastasius Grün mit seinem reichen Streben nach Gedanken und Bildern, mit
seiner Jncvrrectheit und seiner Unruhe, ober ohne die gemüthliche Grundcmpfin-
dung dieses liebenswürdigen Dichters. Das Gedicht befriedigt um so weniger,
je- anspruchsvoller der Dichter auftritt, je tiefer er in die Mysterien des Gedan¬
kens einzudringen strebt. — ,


Gedichte von Adolf Böttger. Neue Sammlung. Leipzig, Dürr. —

Wir setzen die Weise des Dichters als bekannt voraus. Er hat eine glück¬
liche Leichtigkeit in der Erfindung, im Versmaß und im'Ton; sein Talent ist
aber nicht bedeutend genug, um in der Form eine neue Bahn zu brechen und
seine Empfindung, obwol nicht ohne Leben, doch nicht von jener Innigkeit, daß sie
sich dem Gefühl ebenso einschmeichelt wie dem Gedächtniß. Ein Theil dieser
Sammlung hat den Titel „Bilder aus der Jugendzeit", es sind also wol schon
ältere Gedichte; wenigstens treten Reminiscenzen darin stärker hervor, als wir es
sonst bei Böttger gewöhnt sind. Auch die beliebten Epigramme gegen die Kri¬
tiker fehlen nicht. Woher kommt aber eigentlich diese Empfindlichkeit grade un¬
serer Lyriker gegen die Recensenten? Daß alle die 999, die jährlich ein Bändchen
Gedichte drucken lassen, wirklich die Ueberzeugung haben, sie boten etwas so Be¬
deutendes, daß sie ein tieferes Interesse erregen müßten, das ist doch wol
kaum anzunehmen. Freilich wird ihnen in den meisten Fällen das Schicksal,
daß überhaupt nur die Kritiker sie lesen, und daß diese sich nicht selten bei
einem Bande von mehren hundert Seiten mit 10 bis 20 Seiten begnügen, um
dann ihr Gutachten dahin abzugeben, daß sie durchaus keinen Grund finden,
überhaupt ein Gutachten abzugeben. Was ist denn dabei für ein Unglück? In
der Regel haben ja diese Gedichte ihre gute Wirkung schon gethan. Sie sind
guten Freunden vorgelesen, einer liebenswürdigen Dame als Angebinde gegeben,
vielleicht gar bei feierlichen Gelegenheiten als Prologe zur Eröffnung einer neuen
Saison vorgetragen, und vor allen Dingen sie sind gedruckt, vielleicht gar auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/227>, abgerufen am 06.05.2024.