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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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lischen Dichters gemacht und man wird bei ihm handgreiflicher an den Stil des¬
selben erinnert, als in der Schlegel-Tieckschen Übersetzung. Aber man kann das
Ganze doch nur als eine Studie ansehen, praktisch brauchbar ist es nicht. Schlegel
hat ganz genau die Grenzscheide getroffen, bis zu welcher man in der Nachbildung
der individuellen Eigenthümlichkeiten gehen durste, ohne aus dem Gebiet der Poesie
herauszutreten; jedes Ueberschreiten dieser Grenze stört den unbefangenen Genuß
am Schönen, und dieser kaun bei einer Uebersetzung doch nur bezweckt sein, da man
zum eigentlichen Sprachstudium sich billigerweise an das Original selbst wendet. --

Freude macht Angst, Lustspiel in 1 Act, nach dem Französischen der Frau Emile
Girardin, übertragen von W. Wachmann. Berlin, Decker. --

Das Büchlein interessirt uns zunächst insofern, als es, soviel wir wissen, das
erste ist, welches unter dem Schutze des Gesetzes vom 20. Februar 1834 erschienen
ist, wonach das Recht, über die Ausführung seiner Stücke zu verfügen, dem Dichter
auch nach dem Drucke seines Werkes bleibt., Was den Inhalt betrifft, so scheint
uns dieses Lustspiel vorzugsweise sür Kindcrthcatcr geschrieben. . Zu Anfang der
Scene sehen wir drei Damen sitzen, und weinen, zuerst weinen sie, ohne etwas zu
sprechen, nachher weinen sie motivirt; nämlich der Sohn der einen, der. Bruder der
andern, der Bräutigam der dritten ist verloren gegangen und man hält ihn sür
todt.. Jede der betreffenden Damen drückt also ihren Schmerz und ihren Kummer
auf ihre individuelle Weise sehr ausführlich und eindringlich aus. Auch ein alter
Bedienter und ein Freund verfehlen nicht, ihre stillen Thränen in dies Bad der
Liebe und Freundschaft mit einfließen zu lassen. Nun kommt aber in der 8. Scene
der todtgeglaubte Sohn, Bruder und Bräutigam wieder und man glaubt, das Stück
wäre zu Ende. Allein jetzt kommt erst die Hauptkatastrophe. Nämlich der Diener
bemerkt sehr weise, die Damen müßten erst vorbereitet werden, da sie sonst die
Freude leicht erschrecken, vielleicht gar todten würde. Sie werden also der Reihe nach
vorbereitet, zuerst die eine, dann die andere und endlich die dritte. Ueberall geht
der Kummer zuerst in Schreck über und zerfließt dann in Thränen der Freude. Mit
diesem allgemeinen warmen und innigen Frühlingsregen schließt das Stück zur voll¬
kommenen Erbauung des Publicums. Es ist unstreitig das spaßhafteste, das uns
seit langer Zeit vorgekommen ist. --

Ein Tag im Gasthofe, Lustspiel in 5 Acten, von Friedr. Nuperti.
Bremen, Schünemann. -- Die Erfindung dieser kleinen Intrigue ist artig und
die Stimmung heiter, wie es sich für das Lustspiel paßt: aber der Vers, ist in
der Ausführung' etwas zu sehr ins Breite gegangen und hat dadurch den guten
'Eindruck abgeschwächt. Der Stil ist etwas zu anspruchsvoll, selbst die Jamben
eignen sich nicht für ein ganz einfaches modernes Gemälde. --




Herausgegeben vo" Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Ais'verantwortl, Redacteur legitimirt: F. W. Gruuvw, -- Verlag von F. L" Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

lischen Dichters gemacht und man wird bei ihm handgreiflicher an den Stil des¬
selben erinnert, als in der Schlegel-Tieckschen Übersetzung. Aber man kann das
Ganze doch nur als eine Studie ansehen, praktisch brauchbar ist es nicht. Schlegel
hat ganz genau die Grenzscheide getroffen, bis zu welcher man in der Nachbildung
der individuellen Eigenthümlichkeiten gehen durste, ohne aus dem Gebiet der Poesie
herauszutreten; jedes Ueberschreiten dieser Grenze stört den unbefangenen Genuß
am Schönen, und dieser kaun bei einer Uebersetzung doch nur bezweckt sein, da man
zum eigentlichen Sprachstudium sich billigerweise an das Original selbst wendet. —

Freude macht Angst, Lustspiel in 1 Act, nach dem Französischen der Frau Emile
Girardin, übertragen von W. Wachmann. Berlin, Decker. —

Das Büchlein interessirt uns zunächst insofern, als es, soviel wir wissen, das
erste ist, welches unter dem Schutze des Gesetzes vom 20. Februar 1834 erschienen
ist, wonach das Recht, über die Ausführung seiner Stücke zu verfügen, dem Dichter
auch nach dem Drucke seines Werkes bleibt., Was den Inhalt betrifft, so scheint
uns dieses Lustspiel vorzugsweise sür Kindcrthcatcr geschrieben. . Zu Anfang der
Scene sehen wir drei Damen sitzen, und weinen, zuerst weinen sie, ohne etwas zu
sprechen, nachher weinen sie motivirt; nämlich der Sohn der einen, der. Bruder der
andern, der Bräutigam der dritten ist verloren gegangen und man hält ihn sür
todt.. Jede der betreffenden Damen drückt also ihren Schmerz und ihren Kummer
auf ihre individuelle Weise sehr ausführlich und eindringlich aus. Auch ein alter
Bedienter und ein Freund verfehlen nicht, ihre stillen Thränen in dies Bad der
Liebe und Freundschaft mit einfließen zu lassen. Nun kommt aber in der 8. Scene
der todtgeglaubte Sohn, Bruder und Bräutigam wieder und man glaubt, das Stück
wäre zu Ende. Allein jetzt kommt erst die Hauptkatastrophe. Nämlich der Diener
bemerkt sehr weise, die Damen müßten erst vorbereitet werden, da sie sonst die
Freude leicht erschrecken, vielleicht gar todten würde. Sie werden also der Reihe nach
vorbereitet, zuerst die eine, dann die andere und endlich die dritte. Ueberall geht
der Kummer zuerst in Schreck über und zerfließt dann in Thränen der Freude. Mit
diesem allgemeinen warmen und innigen Frühlingsregen schließt das Stück zur voll¬
kommenen Erbauung des Publicums. Es ist unstreitig das spaßhafteste, das uns
seit langer Zeit vorgekommen ist. —

Ein Tag im Gasthofe, Lustspiel in 5 Acten, von Friedr. Nuperti.
Bremen, Schünemann. — Die Erfindung dieser kleinen Intrigue ist artig und
die Stimmung heiter, wie es sich für das Lustspiel paßt: aber der Vers, ist in
der Ausführung' etwas zu sehr ins Breite gegangen und hat dadurch den guten
'Eindruck abgeschwächt. Der Stil ist etwas zu anspruchsvoll, selbst die Jamben
eignen sich nicht für ein ganz einfaches modernes Gemälde. —




Herausgegeben vo» Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Ais'verantwortl, Redacteur legitimirt: F. W. Gruuvw, — Verlag von F. L» Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0368] lischen Dichters gemacht und man wird bei ihm handgreiflicher an den Stil des¬ selben erinnert, als in der Schlegel-Tieckschen Übersetzung. Aber man kann das Ganze doch nur als eine Studie ansehen, praktisch brauchbar ist es nicht. Schlegel hat ganz genau die Grenzscheide getroffen, bis zu welcher man in der Nachbildung der individuellen Eigenthümlichkeiten gehen durste, ohne aus dem Gebiet der Poesie herauszutreten; jedes Ueberschreiten dieser Grenze stört den unbefangenen Genuß am Schönen, und dieser kaun bei einer Uebersetzung doch nur bezweckt sein, da man zum eigentlichen Sprachstudium sich billigerweise an das Original selbst wendet. — Freude macht Angst, Lustspiel in 1 Act, nach dem Französischen der Frau Emile Girardin, übertragen von W. Wachmann. Berlin, Decker. — Das Büchlein interessirt uns zunächst insofern, als es, soviel wir wissen, das erste ist, welches unter dem Schutze des Gesetzes vom 20. Februar 1834 erschienen ist, wonach das Recht, über die Ausführung seiner Stücke zu verfügen, dem Dichter auch nach dem Drucke seines Werkes bleibt., Was den Inhalt betrifft, so scheint uns dieses Lustspiel vorzugsweise sür Kindcrthcatcr geschrieben. . Zu Anfang der Scene sehen wir drei Damen sitzen, und weinen, zuerst weinen sie, ohne etwas zu sprechen, nachher weinen sie motivirt; nämlich der Sohn der einen, der. Bruder der andern, der Bräutigam der dritten ist verloren gegangen und man hält ihn sür todt.. Jede der betreffenden Damen drückt also ihren Schmerz und ihren Kummer auf ihre individuelle Weise sehr ausführlich und eindringlich aus. Auch ein alter Bedienter und ein Freund verfehlen nicht, ihre stillen Thränen in dies Bad der Liebe und Freundschaft mit einfließen zu lassen. Nun kommt aber in der 8. Scene der todtgeglaubte Sohn, Bruder und Bräutigam wieder und man glaubt, das Stück wäre zu Ende. Allein jetzt kommt erst die Hauptkatastrophe. Nämlich der Diener bemerkt sehr weise, die Damen müßten erst vorbereitet werden, da sie sonst die Freude leicht erschrecken, vielleicht gar todten würde. Sie werden also der Reihe nach vorbereitet, zuerst die eine, dann die andere und endlich die dritte. Ueberall geht der Kummer zuerst in Schreck über und zerfließt dann in Thränen der Freude. Mit diesem allgemeinen warmen und innigen Frühlingsregen schließt das Stück zur voll¬ kommenen Erbauung des Publicums. Es ist unstreitig das spaßhafteste, das uns seit langer Zeit vorgekommen ist. — Ein Tag im Gasthofe, Lustspiel in 5 Acten, von Friedr. Nuperti. Bremen, Schünemann. — Die Erfindung dieser kleinen Intrigue ist artig und die Stimmung heiter, wie es sich für das Lustspiel paßt: aber der Vers, ist in der Ausführung' etwas zu sehr ins Breite gegangen und hat dadurch den guten 'Eindruck abgeschwächt. Der Stil ist etwas zu anspruchsvoll, selbst die Jamben eignen sich nicht für ein ganz einfaches modernes Gemälde. — Herausgegeben vo» Gustav Freytag und Julian Schmidt. Ais'verantwortl, Redacteur legitimirt: F. W. Gruuvw, — Verlag von F. L» Herbig in Leipzig. Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/367>, abgerufen am 06.05.2024.