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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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stattfinden kann. Es eristirt heute ebensowenig ein Anhänger der historischen
Schule, der sich einbildete, die Gesetze machten sich von selbst, als ein Anhän¬
ger der philosophischen, der den Staat aus dem Nichts aufbauen wollte, Unter
diesen Umständen kann uns der Gewinn an Einsicht, Geist, Uebung in den
Geschäften und patriotischer Gesinnung, der uns durch den Uebertritt der Beth-
mann-Hollwegianer zu Theil geworden ist, nur höchst schätzenswert!) sein. In
den Sympathien einzelner unter ihnen mag noch vieles sein, was den unsrigen
widerspricht, wie wir denn auch gar nicht behaupten wollen, daß sämmtliche
Mitglieder der konstitutionellen Partei in allen Punkten miteinander überein¬
stimmen: aber das politische Princip, das sie mit ebensoviel Scharfsinn als
Gründlichkeit im preußischen Wochenblatt vertreten, ist fast durchaus das unsrige;
ja in vielen Punkten sind wir überrascht worden, wie genau bis inS kleinste
Detail der aufrichtige Liberalismus mit dem aufrichtigen Conservatismus über¬
einstimmt.

Diese angenehme Ueberraschung wurde uns auch in dem vorliegenden
Buch zu Theil. Es handelt zwar vorläufig nur von einem Gegenstand, der
augenblicklich nicht in der ersten Reihe unsrer Interessen steht, es ist außerdem
mit jener Redseligkeit geschrieben, die sich aus einer reichen und mannigfaltigen
Vergangenheit wol begreifen läßt, aber es trifft überall, wo es auf eine be¬
stimmte Frage eingeht, so scharf den Kern der Sache, seine Ideen sind theo¬
retisch so abgerundet und praktisch so durchführbar, daß wir uns überzeugt
halten, Herr Bunsen würde als Cultusminister die Beziehung zur katholischen
Kirche mit ebensoviel Festigkeit als Achtung für das Bestehende ordnen. Mit
Freuden sehen wir ihn daher in der Reihe der neuen Abgeordneten und hoffen
von seiner Einwirkung die günstigsten Resultate. -- Eine andere Empfindung
erregt die folgende Schrift, die wir mit fast nicht geringerem Interesse gelesen
haben:


Reisebriefe aus Belgien, Frankreich und England im Sommer 185i.
Von V. A. Huber. 2 Bände. Hamburg, Agentur des Rauben
Hauses. --

Herr Huber gehörte bekanntlich vor den Märztagen zu den leidenschaft¬
lichsten Borfechtern des sogenannten konservativen Princips. Sein Janus
eiferte gegen den Liberalismus in allen Formen, zuweilen in blinder Hitze, zu¬
weilen aber auch mit einem richtigen Jnstinct. Nach dem März ging der Ja¬
nus ein, und Herr Huber verlor sich in die Masse der Kreuzzeitungspartei,
bis er sich vor einiger Zeit in der Broschüre: Bruch mit der Revolution und
Ritterschaft, auf das entschiedenste von derselben lossagte. Auch das vorliegende
Buch enthält eine durchgehende, ziemlich heftige Polemik gegen seine alten
Freunde, was zum Theil aus persönlicher Gereiztheit, zum Theil aber auch


stattfinden kann. Es eristirt heute ebensowenig ein Anhänger der historischen
Schule, der sich einbildete, die Gesetze machten sich von selbst, als ein Anhän¬
ger der philosophischen, der den Staat aus dem Nichts aufbauen wollte, Unter
diesen Umständen kann uns der Gewinn an Einsicht, Geist, Uebung in den
Geschäften und patriotischer Gesinnung, der uns durch den Uebertritt der Beth-
mann-Hollwegianer zu Theil geworden ist, nur höchst schätzenswert!) sein. In
den Sympathien einzelner unter ihnen mag noch vieles sein, was den unsrigen
widerspricht, wie wir denn auch gar nicht behaupten wollen, daß sämmtliche
Mitglieder der konstitutionellen Partei in allen Punkten miteinander überein¬
stimmen: aber das politische Princip, das sie mit ebensoviel Scharfsinn als
Gründlichkeit im preußischen Wochenblatt vertreten, ist fast durchaus das unsrige;
ja in vielen Punkten sind wir überrascht worden, wie genau bis inS kleinste
Detail der aufrichtige Liberalismus mit dem aufrichtigen Conservatismus über¬
einstimmt.

Diese angenehme Ueberraschung wurde uns auch in dem vorliegenden
Buch zu Theil. Es handelt zwar vorläufig nur von einem Gegenstand, der
augenblicklich nicht in der ersten Reihe unsrer Interessen steht, es ist außerdem
mit jener Redseligkeit geschrieben, die sich aus einer reichen und mannigfaltigen
Vergangenheit wol begreifen läßt, aber es trifft überall, wo es auf eine be¬
stimmte Frage eingeht, so scharf den Kern der Sache, seine Ideen sind theo¬
retisch so abgerundet und praktisch so durchführbar, daß wir uns überzeugt
halten, Herr Bunsen würde als Cultusminister die Beziehung zur katholischen
Kirche mit ebensoviel Festigkeit als Achtung für das Bestehende ordnen. Mit
Freuden sehen wir ihn daher in der Reihe der neuen Abgeordneten und hoffen
von seiner Einwirkung die günstigsten Resultate. — Eine andere Empfindung
erregt die folgende Schrift, die wir mit fast nicht geringerem Interesse gelesen
haben:


Reisebriefe aus Belgien, Frankreich und England im Sommer 185i.
Von V. A. Huber. 2 Bände. Hamburg, Agentur des Rauben
Hauses. —

Herr Huber gehörte bekanntlich vor den Märztagen zu den leidenschaft¬
lichsten Borfechtern des sogenannten konservativen Princips. Sein Janus
eiferte gegen den Liberalismus in allen Formen, zuweilen in blinder Hitze, zu¬
weilen aber auch mit einem richtigen Jnstinct. Nach dem März ging der Ja¬
nus ein, und Herr Huber verlor sich in die Masse der Kreuzzeitungspartei,
bis er sich vor einiger Zeit in der Broschüre: Bruch mit der Revolution und
Ritterschaft, auf das entschiedenste von derselben lossagte. Auch das vorliegende
Buch enthält eine durchgehende, ziemlich heftige Polemik gegen seine alten
Freunde, was zum Theil aus persönlicher Gereiztheit, zum Theil aber auch


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[0132] stattfinden kann. Es eristirt heute ebensowenig ein Anhänger der historischen Schule, der sich einbildete, die Gesetze machten sich von selbst, als ein Anhän¬ ger der philosophischen, der den Staat aus dem Nichts aufbauen wollte, Unter diesen Umständen kann uns der Gewinn an Einsicht, Geist, Uebung in den Geschäften und patriotischer Gesinnung, der uns durch den Uebertritt der Beth- mann-Hollwegianer zu Theil geworden ist, nur höchst schätzenswert!) sein. In den Sympathien einzelner unter ihnen mag noch vieles sein, was den unsrigen widerspricht, wie wir denn auch gar nicht behaupten wollen, daß sämmtliche Mitglieder der konstitutionellen Partei in allen Punkten miteinander überein¬ stimmen: aber das politische Princip, das sie mit ebensoviel Scharfsinn als Gründlichkeit im preußischen Wochenblatt vertreten, ist fast durchaus das unsrige; ja in vielen Punkten sind wir überrascht worden, wie genau bis inS kleinste Detail der aufrichtige Liberalismus mit dem aufrichtigen Conservatismus über¬ einstimmt. Diese angenehme Ueberraschung wurde uns auch in dem vorliegenden Buch zu Theil. Es handelt zwar vorläufig nur von einem Gegenstand, der augenblicklich nicht in der ersten Reihe unsrer Interessen steht, es ist außerdem mit jener Redseligkeit geschrieben, die sich aus einer reichen und mannigfaltigen Vergangenheit wol begreifen läßt, aber es trifft überall, wo es auf eine be¬ stimmte Frage eingeht, so scharf den Kern der Sache, seine Ideen sind theo¬ retisch so abgerundet und praktisch so durchführbar, daß wir uns überzeugt halten, Herr Bunsen würde als Cultusminister die Beziehung zur katholischen Kirche mit ebensoviel Festigkeit als Achtung für das Bestehende ordnen. Mit Freuden sehen wir ihn daher in der Reihe der neuen Abgeordneten und hoffen von seiner Einwirkung die günstigsten Resultate. — Eine andere Empfindung erregt die folgende Schrift, die wir mit fast nicht geringerem Interesse gelesen haben: Reisebriefe aus Belgien, Frankreich und England im Sommer 185i. Von V. A. Huber. 2 Bände. Hamburg, Agentur des Rauben Hauses. — Herr Huber gehörte bekanntlich vor den Märztagen zu den leidenschaft¬ lichsten Borfechtern des sogenannten konservativen Princips. Sein Janus eiferte gegen den Liberalismus in allen Formen, zuweilen in blinder Hitze, zu¬ weilen aber auch mit einem richtigen Jnstinct. Nach dem März ging der Ja¬ nus ein, und Herr Huber verlor sich in die Masse der Kreuzzeitungspartei, bis er sich vor einiger Zeit in der Broschüre: Bruch mit der Revolution und Ritterschaft, auf das entschiedenste von derselben lossagte. Auch das vorliegende Buch enthält eine durchgehende, ziemlich heftige Polemik gegen seine alten Freunde, was zum Theil aus persönlicher Gereiztheit, zum Theil aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/132>, abgerufen am 28.04.2024.