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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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frankfurter und berliner Centralorgane dagegen gingen ein, während die Na¬
tionalzeitung, das angebliche Organ der Demokratie, sehr geschickt redigirt, sich
einen zahlreichen Lejerkreis erhielt. So glaubte man sich denn im Recht, wenn
man das Publicum dieser Zeitung als die demokratische Partei auffaßte. Man
wies triumphirend darauf hin, daß die Partei, dem Ruf ihrer Führer gehor¬
sam, sich fortdauernd der Wahlen enthielt, und wer es wagte, die Existenz der
demokratischen Partei zu bezweifeln, wurde ausgelacht. Heute ist der Schleier
gefallen. Die demokratischen Blätter haben einstimmig und mit lobenswerther
Ausdauer ihr Publicum zur Betheiligung an den Wahlen aufgefordert, und
obgleich die Demokratie angeblich die ungeheure Majorität des Volks aus¬
machen soll, ist die Physiognomie der Wahlen ungefähr ebenso gewesen, wie
vor drei Jahren. Wir halten das insofern für ein günstiges Ereigniß, als es
der thörichten Fehde zwischen zwei Parteien ein Ende macht, die nur in der
Einbildung eristiren. Ihre historischen Beziehungen sind in jeder Weise zer¬
rissen, Ersahrungen und ein ruhiges Nachdenken haben ihre Begriffe und ihre
Neigungen geläutert, und ihre Interessen sind für den Augenblick ausgeglichen.
Es gilt, für den preußischen Staat die alte historische Entwicklung festzuhalten,
die bürgerliche Gesetzgebung und die Verfassung von dem Einfluß jener ver¬
derblichen Doctrinen zu befreien, die halb aus romantischen Grillen, halb aus
dem Eigennutz hervorgehen, die durch die angebliche Sonderung der Stände
einen Haß zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft und damit die
Auflösung des Staats in seine Elemente herbeizuführen drohen.

Noch weniger Schwierigkeit, als das EinVerständniß zwischen den ehema¬
ligen Demokraten und den Altliberalen, bietet das Verhältniß zu den soge¬
nannten Altpreußen. Auch hier beruht der Gegensatz fast ausschließlich aus
den historischen Erinnerungen. Die Bethmann-Hollwegianer sind aus den
Kreisen der höhern Büreaukratie hervorgegangen, sie sind durch die historische
Schule gebildet und haben früher gegen den herrschenden Rotteck-Welckerschen
Liberalismus die leidenschaftlichste Opposition gemacht; aber durch diese Schule
ist auch der Liberalismus gegangen. Die abstracten Phrasen der frühern Zeit,
wo das Volk seine Orakel aus Baden holte, sind vollständig über Bord ge¬
worfen. Wir haben in die Tiefe des historischen Lebens geblickt, und sein
organischer Zusammenhang ist uns nicht mehr fremd. Die gewissenhafte Durch¬
arbeitung der historischen Schule mußte in ihren letzten Resultaten mit der ge¬
wissenhaften Durcharbeitung der philosophischen übereinkommen. Auch die
historische Schule ist in der Erkenntniß vorgeschritten; sie har eingesehen, daß
Zwischen der organischen Entwicklung der Gesetze, dem Fortbau der Sprache
und dem Naturwuchs der Pflanzen bei aller Analogie doch auch ein Unterschied
ist, weil der Fortschritt in den menschlichen Dingen, so naturgemäß das Eine
aus dem Andern entspringt, doch nur durch die Vermittlung des Bewußtseins


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frankfurter und berliner Centralorgane dagegen gingen ein, während die Na¬
tionalzeitung, das angebliche Organ der Demokratie, sehr geschickt redigirt, sich
einen zahlreichen Lejerkreis erhielt. So glaubte man sich denn im Recht, wenn
man das Publicum dieser Zeitung als die demokratische Partei auffaßte. Man
wies triumphirend darauf hin, daß die Partei, dem Ruf ihrer Führer gehor¬
sam, sich fortdauernd der Wahlen enthielt, und wer es wagte, die Existenz der
demokratischen Partei zu bezweifeln, wurde ausgelacht. Heute ist der Schleier
gefallen. Die demokratischen Blätter haben einstimmig und mit lobenswerther
Ausdauer ihr Publicum zur Betheiligung an den Wahlen aufgefordert, und
obgleich die Demokratie angeblich die ungeheure Majorität des Volks aus¬
machen soll, ist die Physiognomie der Wahlen ungefähr ebenso gewesen, wie
vor drei Jahren. Wir halten das insofern für ein günstiges Ereigniß, als es
der thörichten Fehde zwischen zwei Parteien ein Ende macht, die nur in der
Einbildung eristiren. Ihre historischen Beziehungen sind in jeder Weise zer¬
rissen, Ersahrungen und ein ruhiges Nachdenken haben ihre Begriffe und ihre
Neigungen geläutert, und ihre Interessen sind für den Augenblick ausgeglichen.
Es gilt, für den preußischen Staat die alte historische Entwicklung festzuhalten,
die bürgerliche Gesetzgebung und die Verfassung von dem Einfluß jener ver¬
derblichen Doctrinen zu befreien, die halb aus romantischen Grillen, halb aus
dem Eigennutz hervorgehen, die durch die angebliche Sonderung der Stände
einen Haß zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft und damit die
Auflösung des Staats in seine Elemente herbeizuführen drohen.

Noch weniger Schwierigkeit, als das EinVerständniß zwischen den ehema¬
ligen Demokraten und den Altliberalen, bietet das Verhältniß zu den soge¬
nannten Altpreußen. Auch hier beruht der Gegensatz fast ausschließlich aus
den historischen Erinnerungen. Die Bethmann-Hollwegianer sind aus den
Kreisen der höhern Büreaukratie hervorgegangen, sie sind durch die historische
Schule gebildet und haben früher gegen den herrschenden Rotteck-Welckerschen
Liberalismus die leidenschaftlichste Opposition gemacht; aber durch diese Schule
ist auch der Liberalismus gegangen. Die abstracten Phrasen der frühern Zeit,
wo das Volk seine Orakel aus Baden holte, sind vollständig über Bord ge¬
worfen. Wir haben in die Tiefe des historischen Lebens geblickt, und sein
organischer Zusammenhang ist uns nicht mehr fremd. Die gewissenhafte Durch¬
arbeitung der historischen Schule mußte in ihren letzten Resultaten mit der ge¬
wissenhaften Durcharbeitung der philosophischen übereinkommen. Auch die
historische Schule ist in der Erkenntniß vorgeschritten; sie har eingesehen, daß
Zwischen der organischen Entwicklung der Gesetze, dem Fortbau der Sprache
und dem Naturwuchs der Pflanzen bei aller Analogie doch auch ein Unterschied
ist, weil der Fortschritt in den menschlichen Dingen, so naturgemäß das Eine
aus dem Andern entspringt, doch nur durch die Vermittlung des Bewußtseins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/131>, abgerufen am 12.05.2024.