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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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die Barrikaden gegründete Verfassungsrecht "negirte, entschieden verleugnet, und
wir freuen uns, in diesem bedeutenden Blatt ein Organ derjenigen Partei zu
begrüßen, der wir seit 1848 angehört haben. Zwar erklärte die National¬
zeitung vor einigen Tagen, sie halte noch an dem allgemeinen Wahlrecht fest,
allein sie setzte hinzu, daß sie dieser Ansicht für jetzt keine praktische Bedeutung
beilege. Darauf allein aber kommt es an, denn daß es einmal möglich sein
wird, daß die untern Schichten des Volks soviel Reife erlangen, um gleich
den andern zu Nutzen des Staats ihr Wahlrecht auszuüben, können wir ja
auch nicht bestreiten; für jetzt haben sie diese Reife nicht, das zeigt ihr Ver¬
halten bei den Wahlen.

Wenn sich auch das Endergebniß der Wahlen bis jetzt nicht vollständig
übersehen läßt, so scheint doch soviel unzweifelhaft, daß wenigstens zu Anfang
der Session die Majorität entschieden auf der rechten Seite sein wird. Wie
nun das Verhältniß der ministeriellen Partei zur feudalistischen sich heraus¬
stellen wird, läßt sich noch nicht berechnen. Sollten beide in den Ansichten
über die Verfassung übereinstimmen, so würde es allerdings von ihrem Belieben
abhängen, ob Preuße" fortfahren soll, ein konstitutioneller Staat zu sein, und
wir können daher nur hoffen, daß die praktischen Rücksichten, die doch bei
jeder Negierung eine gewisse Sonderung von ihren doktrinären Freunden
herbeiführen, auch dies Mal sich geltend machen.




Die Wahl Vermoortes zum Kronprinzen von Schwedens)

Eins der merkwürdigsten Ereignisse in der Geschichte unsers Jahrhunderts
ist die Erhebung des Hauses Bernadotte auf den schwedischen Thron, die Wahl
eines französischen Bürgersohnes zum Kronprinzen von Schweden.

Die Acte vom -13. Mai 1809, welche auf den Thron Schwedens den
Bruder Gustavs III. erhob, war nicht allein ein glücklicher Handstreich der Chefs
der schwedischen Armee, um das Königthum von dem Abgrund zu erretten, in
welchen die Verblendung Gustavs IV. es zu stürzen drohte, sondern zugleich
ein Sieg der liberalen Ideen, welche zu Anfang des Jahrhunderts überall sich
geltend machten. Eine Verfassung wurde in vierzehn Tagen von dem schwe¬
dischen Reichstag entworfen, discutirt und abgefaßt. Der Herzog von Süder-
manland, der Bruder Gustavs 111., nahm sie am ö. Juni an und wurde zum



") ^. lZsüro^. oss ivtäröts <1u Uorü 8s""6in"vo ü""s I" guvrre S'Orisat. Herr Pro¬
fessor Geffroy hat für seine Arbeit sowol die französische" als die schwedischen Staatsarchive
benutzt.
Grenzboten. IV. 1866. 17

die Barrikaden gegründete Verfassungsrecht »negirte, entschieden verleugnet, und
wir freuen uns, in diesem bedeutenden Blatt ein Organ derjenigen Partei zu
begrüßen, der wir seit 1848 angehört haben. Zwar erklärte die National¬
zeitung vor einigen Tagen, sie halte noch an dem allgemeinen Wahlrecht fest,
allein sie setzte hinzu, daß sie dieser Ansicht für jetzt keine praktische Bedeutung
beilege. Darauf allein aber kommt es an, denn daß es einmal möglich sein
wird, daß die untern Schichten des Volks soviel Reife erlangen, um gleich
den andern zu Nutzen des Staats ihr Wahlrecht auszuüben, können wir ja
auch nicht bestreiten; für jetzt haben sie diese Reife nicht, das zeigt ihr Ver¬
halten bei den Wahlen.

Wenn sich auch das Endergebniß der Wahlen bis jetzt nicht vollständig
übersehen läßt, so scheint doch soviel unzweifelhaft, daß wenigstens zu Anfang
der Session die Majorität entschieden auf der rechten Seite sein wird. Wie
nun das Verhältniß der ministeriellen Partei zur feudalistischen sich heraus¬
stellen wird, läßt sich noch nicht berechnen. Sollten beide in den Ansichten
über die Verfassung übereinstimmen, so würde es allerdings von ihrem Belieben
abhängen, ob Preuße» fortfahren soll, ein konstitutioneller Staat zu sein, und
wir können daher nur hoffen, daß die praktischen Rücksichten, die doch bei
jeder Negierung eine gewisse Sonderung von ihren doktrinären Freunden
herbeiführen, auch dies Mal sich geltend machen.




Die Wahl Vermoortes zum Kronprinzen von Schwedens)

Eins der merkwürdigsten Ereignisse in der Geschichte unsers Jahrhunderts
ist die Erhebung des Hauses Bernadotte auf den schwedischen Thron, die Wahl
eines französischen Bürgersohnes zum Kronprinzen von Schweden.

Die Acte vom -13. Mai 1809, welche auf den Thron Schwedens den
Bruder Gustavs III. erhob, war nicht allein ein glücklicher Handstreich der Chefs
der schwedischen Armee, um das Königthum von dem Abgrund zu erretten, in
welchen die Verblendung Gustavs IV. es zu stürzen drohte, sondern zugleich
ein Sieg der liberalen Ideen, welche zu Anfang des Jahrhunderts überall sich
geltend machten. Eine Verfassung wurde in vierzehn Tagen von dem schwe¬
dischen Reichstag entworfen, discutirt und abgefaßt. Der Herzog von Süder-
manland, der Bruder Gustavs 111., nahm sie am ö. Juni an und wurde zum



«) ^. lZsüro^. oss ivtäröts <1u Uorü 8s»»6in»vo ü»»s I» guvrre S'Orisat. Herr Pro¬
fessor Geffroy hat für seine Arbeit sowol die französische» als die schwedischen Staatsarchive
benutzt.
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[0137] die Barrikaden gegründete Verfassungsrecht »negirte, entschieden verleugnet, und wir freuen uns, in diesem bedeutenden Blatt ein Organ derjenigen Partei zu begrüßen, der wir seit 1848 angehört haben. Zwar erklärte die National¬ zeitung vor einigen Tagen, sie halte noch an dem allgemeinen Wahlrecht fest, allein sie setzte hinzu, daß sie dieser Ansicht für jetzt keine praktische Bedeutung beilege. Darauf allein aber kommt es an, denn daß es einmal möglich sein wird, daß die untern Schichten des Volks soviel Reife erlangen, um gleich den andern zu Nutzen des Staats ihr Wahlrecht auszuüben, können wir ja auch nicht bestreiten; für jetzt haben sie diese Reife nicht, das zeigt ihr Ver¬ halten bei den Wahlen. Wenn sich auch das Endergebniß der Wahlen bis jetzt nicht vollständig übersehen läßt, so scheint doch soviel unzweifelhaft, daß wenigstens zu Anfang der Session die Majorität entschieden auf der rechten Seite sein wird. Wie nun das Verhältniß der ministeriellen Partei zur feudalistischen sich heraus¬ stellen wird, läßt sich noch nicht berechnen. Sollten beide in den Ansichten über die Verfassung übereinstimmen, so würde es allerdings von ihrem Belieben abhängen, ob Preuße» fortfahren soll, ein konstitutioneller Staat zu sein, und wir können daher nur hoffen, daß die praktischen Rücksichten, die doch bei jeder Negierung eine gewisse Sonderung von ihren doktrinären Freunden herbeiführen, auch dies Mal sich geltend machen. Die Wahl Vermoortes zum Kronprinzen von Schwedens) Eins der merkwürdigsten Ereignisse in der Geschichte unsers Jahrhunderts ist die Erhebung des Hauses Bernadotte auf den schwedischen Thron, die Wahl eines französischen Bürgersohnes zum Kronprinzen von Schweden. Die Acte vom -13. Mai 1809, welche auf den Thron Schwedens den Bruder Gustavs III. erhob, war nicht allein ein glücklicher Handstreich der Chefs der schwedischen Armee, um das Königthum von dem Abgrund zu erretten, in welchen die Verblendung Gustavs IV. es zu stürzen drohte, sondern zugleich ein Sieg der liberalen Ideen, welche zu Anfang des Jahrhunderts überall sich geltend machten. Eine Verfassung wurde in vierzehn Tagen von dem schwe¬ dischen Reichstag entworfen, discutirt und abgefaßt. Der Herzog von Süder- manland, der Bruder Gustavs 111., nahm sie am ö. Juni an und wurde zum «) ^. lZsüro^. oss ivtäröts <1u Uorü 8s»»6in»vo ü»»s I» guvrre S'Orisat. Herr Pro¬ fessor Geffroy hat für seine Arbeit sowol die französische» als die schwedischen Staatsarchive benutzt. Grenzboten. IV. 1866. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/137>, abgerufen am 28.04.2024.