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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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König gewählt. Er war ein schwacher, abergläubischer Greis. Die neue Re¬
gierung hatte vor allem zwei Dinge zu thun: sie mußte einen allgemeinen
Frieden, mindestens besondere Verträge mir Rußland und Frankreich schließen,
sie mußte ferner durch die Wahl eines Thronfolgers den Thron befestigen, denn
Karl XI>I. war kinderlos. Die Russen waren nach der treulosen Besetzung
Finnlands nur noch einige Meilen von der Hauptstadt entfernt; schon hatten
einige Familien Stockholm verlassen und in das Innere des Landes sich ge¬
flüchtet. Die Russen waren in Schweden verhaßter, als je; man neigte zu
einer Allianz mit Frankreich. Der Herzog von Südermanland hatte schon
unter dem 19. März die Vermittlung Napoleons nachgesucht, um einen be¬
sondern Frieden mit Nußland zu vermeiden. Napoleon war Schweden nicht
abgeneigt; er hatte die Revolution, welche seinen hartnäckigen und unverstän¬
digen Widersacher, Gustav IV., gestürzt, gern gesehen. Jedoch eröffnete er grade
dana.is einen Feldzug gegen Oestreich, er konnte dazu die Mitwirkung Ru߬
lands nicht entbehren und mußte auf den Zaren Rücksicht nehmen. Ueberdies
hatte er in Tilsit und Erfurt versprochen, alle nordischen Angelegenheiten der
Entscheidung des Petersburger Cabinets zu überlassen. Er antwortete den
schwedischen Abgesandten: "Ihre Revolution kommt zu spät; ich habe Schweden
gegen Spanien ausgetauscht. Wenden Sie sich an Kaiser Alexander, er ist
groß und edelmüthig." Er verweigerte mit ihnen zu unterhandeln, bis der Friede
mit Nußland abgeschlossen sei. Alsdann wollte er ihnen Pommern und die
Insel Rügen zurückgeben. Mit demselben Vertrauen wendete sich Schweden
an Napoleon in Betreff der Wahl eines Thronfolgers. Mit Zustimmung Na¬
poleons nahm Karl XIII., als Sohn und Thronfolger Karl August, Prinzen
von Augustenburg und Statthalter von Norwegen an, er hoffte, durch diese
Wahl eine Vereinigung Norwegens mit Schweden anzubahnen und letzteres
so für den Verlust Finnlands zu entschädigen.

So war das Verhältniß Schwedens zu Frankreich. Anders sein Ver¬
hältniß zu Rußland. Obgleich die Revolution von 1809 den Wünschen des
pariser und Petersburger Cabinets entsprach, setzte die russische Armee nichts¬
destoweniger die Feindseligkeiten gegen Schweden fort. Nicht zufrieden mit der
Eroberung Finnlands, gedachte Kaiser Alexander die Verträge von Erfurt und
Tilsit aufs äußerste auszubeuten. Er verlangte außer Finnland noch die
Alandsinseln und selbst einen Theil des ursprünglich schwedischen Grund-
gebietS, das Land zwischen den Flüssen Kalir und Kein", im Osten und
Westen von Torrea. Vergeblich wendete das Stockholmer Cabinet ein, daß die
Alandsinseln der Vorposten seiner Hauptstadt, daß das Land zwischen Kalir
und Kemi das einzige Bollwerk im Norden gegen einen Ueberfall sei, daß auf
diese Weise der ganze finnische Meerbusen mit seinen zahlreichen Inseln in die
Gewalt Rußlands gerathe. Die Feindseligkeiten dauerten fort; man fürchtete


König gewählt. Er war ein schwacher, abergläubischer Greis. Die neue Re¬
gierung hatte vor allem zwei Dinge zu thun: sie mußte einen allgemeinen
Frieden, mindestens besondere Verträge mir Rußland und Frankreich schließen,
sie mußte ferner durch die Wahl eines Thronfolgers den Thron befestigen, denn
Karl XI>I. war kinderlos. Die Russen waren nach der treulosen Besetzung
Finnlands nur noch einige Meilen von der Hauptstadt entfernt; schon hatten
einige Familien Stockholm verlassen und in das Innere des Landes sich ge¬
flüchtet. Die Russen waren in Schweden verhaßter, als je; man neigte zu
einer Allianz mit Frankreich. Der Herzog von Südermanland hatte schon
unter dem 19. März die Vermittlung Napoleons nachgesucht, um einen be¬
sondern Frieden mit Nußland zu vermeiden. Napoleon war Schweden nicht
abgeneigt; er hatte die Revolution, welche seinen hartnäckigen und unverstän¬
digen Widersacher, Gustav IV., gestürzt, gern gesehen. Jedoch eröffnete er grade
dana.is einen Feldzug gegen Oestreich, er konnte dazu die Mitwirkung Ru߬
lands nicht entbehren und mußte auf den Zaren Rücksicht nehmen. Ueberdies
hatte er in Tilsit und Erfurt versprochen, alle nordischen Angelegenheiten der
Entscheidung des Petersburger Cabinets zu überlassen. Er antwortete den
schwedischen Abgesandten: „Ihre Revolution kommt zu spät; ich habe Schweden
gegen Spanien ausgetauscht. Wenden Sie sich an Kaiser Alexander, er ist
groß und edelmüthig." Er verweigerte mit ihnen zu unterhandeln, bis der Friede
mit Nußland abgeschlossen sei. Alsdann wollte er ihnen Pommern und die
Insel Rügen zurückgeben. Mit demselben Vertrauen wendete sich Schweden
an Napoleon in Betreff der Wahl eines Thronfolgers. Mit Zustimmung Na¬
poleons nahm Karl XIII., als Sohn und Thronfolger Karl August, Prinzen
von Augustenburg und Statthalter von Norwegen an, er hoffte, durch diese
Wahl eine Vereinigung Norwegens mit Schweden anzubahnen und letzteres
so für den Verlust Finnlands zu entschädigen.

So war das Verhältniß Schwedens zu Frankreich. Anders sein Ver¬
hältniß zu Rußland. Obgleich die Revolution von 1809 den Wünschen des
pariser und Petersburger Cabinets entsprach, setzte die russische Armee nichts¬
destoweniger die Feindseligkeiten gegen Schweden fort. Nicht zufrieden mit der
Eroberung Finnlands, gedachte Kaiser Alexander die Verträge von Erfurt und
Tilsit aufs äußerste auszubeuten. Er verlangte außer Finnland noch die
Alandsinseln und selbst einen Theil des ursprünglich schwedischen Grund-
gebietS, das Land zwischen den Flüssen Kalir und Kein«, im Osten und
Westen von Torrea. Vergeblich wendete das Stockholmer Cabinet ein, daß die
Alandsinseln der Vorposten seiner Hauptstadt, daß das Land zwischen Kalir
und Kemi das einzige Bollwerk im Norden gegen einen Ueberfall sei, daß auf
diese Weise der ganze finnische Meerbusen mit seinen zahlreichen Inseln in die
Gewalt Rußlands gerathe. Die Feindseligkeiten dauerten fort; man fürchtete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/138>, abgerufen am 12.05.2024.